Neue BBC-Serie:Mehr Frieden als Krieg

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Hauptdarsteller in einer epischen Seifenoper: James Norton als Fürst Andrej Nikolajewitsch in Krieg und Frieden. (Foto: Robert Viglasky/BBC 2015)

Die BBC hat Tolstois "Krieg und Frieden" als Fernsehserie verfilmt. Aber kann sie damit eine junge Generation erreichen?

Von Karoline Meta Beisel

Manchmal ist bei einem Interview gerade das besonders aussagekräftig, was nicht gesagt wird. Oder nicht gesagt werden darf. Am Montagnachmittag sitzt die britische Schauspielerin Lily James in einem piekfeinen Londoner Hotel und erinnert sich daran, wie es war, die Buchvorlage zu ihrem neuesten Fernsehprojekt zu lesen. "Ich habe schrecklich geweint, als Petya stirbt." Plötzlich hält sie inne und schaut, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt. Und irgendwie stimmt das sogar: "Oh nein, das hätte ich eigentlich gar nicht verraten dürfen."

Es kommt häufig vor, dass Sender und Produktionsfirmen den Mitwirkenden ihrer Werke gewisse Vorschriften machen, über welche Handlungsstränge sie nicht sprechen dürfen, um den Zuschauern den Spaß nicht zu verderben. Genau so eine Vorschrift hat Lily James, 26, gerade verletzt. In diesem Fall ist es aber doch sehr erstaunlich, dass der Sender, die BBC, zu diesem Mittel greift. Dass Petya stirbt, weiß die Welt nämlich schon seit 1869 - seit dem Jahr, in dem Leo Tolstoi seinen Roman Krieg und Frieden veröffentlichte. Das Werk wurde mehrmals verfilmt, jetzt bringen die BBC und die Weinstein Company das Buch als Serie ins Fernsehen. In England ist sie im Januar zu sehen, Montagabend wurde in London Premiere gefeiert. Wann und wo die sechs Folgen in Deutschland laufen, ist noch nicht bekannt.

Bittet man den Drehbuchautor, die Handlung in drei Sätzen zu schildern, braucht er nur einen

Krieg und Frieden ist einer jener Romane, die jedem einfallen, der Klassiker der Weltliteratur aufzählen soll. Aber eben einer mit 1400 bis 2000 Seiten, je nach Ausgabe. Die hochgelobte Neuübersetzung aus dem Hanser Verlag von 2010 hat sogar 2288 Seiten. Das macht das Buch viel zu lang, als dass man es zum Beispiel in der Schule lesen könnte. Und das ist wohl auch einer der Gründe dafür, dass man beim Smalltalk den Satz "Irgendwann will ich mal Krieg und Frieden lesen" häufiger hört als eben: "Ich habe schrecklich geweint, als Petya gestorben ist." Noch dazu lässt sich die epische Erzählung schlecht mit wenigen Worten zusammenfassen. Oder doch?

Bittet man Andrew Davies, die Handlung in drei Sätzen zu umreißen, denkt er einen langen Moment angestrengt nach, und braucht dann doch nur einen: "Krieg und Frieden zeigt, was es bedeutet, lebendig zu sein und wie man in schwierigen Zeiten den richtigen Weg findet."

Wer Weltliteratur fürs Fernsehen adaptieren will, darf keine Scheu haben, an der Vorlage herumzuschnippeln. Bei Davies dürften sich solche Berührungsängste längst abgeschliffen haben: Für das englische Fernsehen adaptiert der auch schon 79-jährige Drehbuchautor von Austen über Dickens bis Trollope alles, was nicht bei drei im Altpapier ist. Sein Kinofilm Bridget Jones wurde weltberühmt; Ende der Achtziger schrieb er außerdem das Drehbuch zu der Serie House of Cards. Die US-Version erreicht seit 2013 Zuschauer, die damals noch nicht mal geboren waren.

Tolstoi für eine junge Generation aufbereitet

Ähnliches möchte Davies jetzt mit Krieg und Frieden versuchen. Die strengen Interviewregeln zeigen, für wen die BBC die Serie zeigt: für Zuschauer, die das Buch nicht kennen. Das Plakat wirbt mit dem Slogan "Brought to life for a new generation" - und mit den jungen Hauptdarstellern, die diese Generation ansprechen sollen.

Tolstois Roman wimmelt vor Figuren. "Das erste Kapitel ist im Grunde eine lange Namensliste", sagt Andrew Davies. Für die Fernsehfassung hat er drei von ihnen in den Mittelpunkt gestellt: den plötzlich zu Reichtum gekommenen Außenseiter Pierre Bezukhov (hervorragend: Paul Dano aus 12 Years a Slave und Little Miss Sunshine), dessen Freund Fürst Andrej, der eigentlich alles hat und trotzdem immer auf der Suche ist (James Norton) und Natascha Rostova (Lily James aus Downton Abbey), in die Andrej sich später verliebt.

Neben ihnen spielt ein Heer von bekannten "erwachseneren" Schauspielern: Jim Broadbent, Stephen Rea, Gillian Anderson, Brian Cox. Der Deutsche Ludger Pistor spielt den österreichischen General Karl Mack.

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In Davies' Version ist mehr Frieden als Krieg, die Kamera verbringt mehr Zeit in den prunkvollen Salons der Reichen als auf dem Schlachtfeld. Wo es möglich war, wurde an Orten gedreht, die auch im Buch vorkommen. Eine Ballszene durfte Regisseur Tom Harper, auch erst 35 Jahre alt, gar im quietschblauen Katharinenpalast außerhalb von St. Petersburg drehen, mit 200 tanzenden Statisten.

Natürlich zeigt die Serie auch den Krieg gegen Napoleon, zeigt Schlachten, Pferde, Kanonenschüsse. Aber Davies hat gerade an den Stellen beherzt gekürzt, an denen Tolstoi in der Vorlage über Krieg und Geschichte philosophiert. "Es wird immer Leute geben, die sagen, dass man an der Vorlage kein einziges Wort verändern dürfe", sagt Davies. "Ich glaube aber: Wenn Tolstoi meine Fassung lesen könnte, dann würde er sagen, dass man das sogar noch kürzer hätte machen können."

In der ersten Folge müssen so viele Figuren eingeführt werden, dass man kaum alle lieb gewinnt

Aber auch so bleibt viel Stoff für 600 Fernsehminuten. Vielleicht zu viel, wenn man die erste Folge, die am Montag gezeigt wurde, als Maßstab nimmt. Darin müssen so viele Charaktere eingeführt und Handlungsstränge in Gang gesetzt werden, dass es bisweilen schwer fällt, sich emotional auf all diese Figuren einzulassen.

Tolstois Vorlage hat durchaus komische Momente, und an manchen Stellen hat Davies Dialoge aus dem Buch nahezu unverändert übernommen. Aber die Raffung lässt einige Szenen der Fernsehversion schon deshalb komisch erscheinen, weil nicht genug Zeit ist, das Handeln der Personen nachvollziehbar zu machen.

An Gewicht verloren

Andererseits: Vielleicht ist es nicht das Schlechteste, wenn ein Werk, das viele für einen schweren Brocken halten - ohne es selbst gelesen zu haben - auf diese Weise an Gewicht verliert. Durchaus wahrscheinlich erscheint aber auch: dass die "neue Generation", um die hier geworben wird, jetzt einfach die Fernsehversion ansieht - und das Buch erst recht nicht mehr liest.

Kontrollfrage also an die jungen Leute: Wie ist Krieg und Frieden denn so, also das Buch? "Ich dachte, es sei irre schwer zu lesen. Aber es war toll, ich habe es mit mir herumgetragen wie eine Bibel", sagt Lily James und wirkt, als meinte sie das auch so.

James Norton vergleicht das Werk sogar mit einer Seifenoper, im positiven Sinne - "nur eben um das Jahr 1805": Es geht um fünf Familien, irgendjemand verliebt sich, irgendjemand ist immer eifersüchtig. Ermuntert die Serie nun also zum Lesen oder doch eher zum Glotzen? Norton, ganz pragmatisch: "Wer sich von der Show abhalten lässt, hätte das Buch vermutlich sowieso nicht gelesen."

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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