"Bares für Rares":Quotenwunder Trödelshow

Bares für Rares

Ist es Nostalgie, das Goldgräber-Gen oder die Angst vor dem Erbe? Eine Spieluhr aus der Zeit der um 1900 in der Sendung "Bares für Rares".

(Foto: ZDF)

"Bares für Rares" hat Zuschauerzahlen wie sonst nur die Sportschau. Trödelshows sind das derzeit erfolgreichste Format im Nachmittagsfernsehen. Woran liegt das?

Von Josa Mania-Schlegel

Eine Frau verkauft ihren Schatz. Die alte Kohlezeichnung von einem schwarzen Pferdekopf hat ihrer verstorbenen Mutter gehört. Jetzt soll das Bild Geld für den ersten Urlaub seit 15 Jahren bringen. Moderator Horst Lichter bittet einen Experten, "den emotionalen Wert in Euro" auszudrücken, dann feilschen fünf Antiquitäten-Händler um den Pferdekopf. Am Ende kommt doch noch der Trennungsschmerz über die Kandidatin. Sie wird sagen: "Das tut mir sehr, sehr weh". Dann fragt die Stimme aus dem Off: "Gibt sich die Verkäuferin einen Ruck?"

So emotionsgeladen geht es zu in "Bares für Rares" und anderen Trödelshows, dem Fernsehformat der Stunde. Fast jeder Sender zeigt oder plant derzeit eine, "Kunst & Krempel" läuft im BR, "Der Trödeltrupp" auf RTL2. Doch an "Bares für Rares", die ZDF-Sendung mit Horst Lichter, kommt niemand ran. Keine Trödelshow, aber auch sonst niemand: "Bares für Rares" ist aktuell die erfolgreichste Nachmittagssendung im deutschen Fernsehen. Einer Episode im März sahen ein Viertel aller Fernsehzuschauer zu, solche Quoten schafft sonst nur die Sportschau. Im Juni und Juli wird es zwei abendfüllende Episoden zur Primetime geben, mit Steven Gätjen als Co-Moderator.

Dass "Bares für Rares" aus den Trödelshows heraussticht, die bisher entweder besonders bieder ("Kunst & Krempel") oder reichlich absurd ("Der Trödeltrupp") daherkamen, mag an der geschickten Kombination aus menschlichen Schicksalen und den Prinzipien der Castingshow liegen. Es geht bei "Bares für Rares" nicht nur um die bewegenden Geschichten hinter den Objekten, sondern auch um die feilschenden Händler: Wie bei "Deutschland sucht den Superstar" scharen sie sich im Halbkreis um die Kandidaten und hoffen, den Laien ein Schnäppchen abzuschwatzen.

Der Zuschauer fiebert mit den Kandidaten mit und hofft auf einen hohen Preis. Dann tun sie einem wieder leid, weil ein Händler sagt: "Erinnerungen an Verstorbene sind bei uns im Laden aber nix wert." In diesen Momenten bedient "Bares für Rares" die Erwartungen ans klassische Kummerfernsehen des Fernsehnachmittags. Parallel spricht auf Sat1 Barbara Salesch ihre harten Urteile, auf RTL schnüffeln die Trovato-Detektive hinterhältigen Beziehungsmördern nach. Menschliches Leid macht Quote, jetzt auch im ZDF. "Die Sendung lebt von den Geschichten hinter den Objekten", übersetzt das ein Sprecher des Senders.

Trödel in Zeiten des Minimalismus

Nur ist "Bares für Rares" nicht nur die neue Lieblingssendung der Deutschen am Nachmittag, sie zieht auch besonders viele junge Menschen vor die Glotze: Von den Zuschauern unter 49 gucken neun Prozent zu, eine kleine Sensation für das ZDF, dessen Zielgruppe normalerweise bei um die 60 anfängt.

Moment mal, denkt man da, wurde als letzter, heißer Millennials-Trend nicht gerade das Gegenteil von Trödel ausgerufen? Junge Menschen sparten für Erlebnisse, nicht für Besitztümer, haben New Yorker Marktforscher herausgefunden. Wertvolle Möbel und Kunst seien verpönt, das höchste Statussymbol junger Menschen sei: Eine leere Wohnung, Bewegungsfreiheit, Geld für Reisen. Wirtschaftsreporter von Forbes erfanden ein Wort für diese Haltung: "NOwnership", kein Besitz.

Doch der Minimalismus-Trend wurde schnell entzaubert. Es erhärtete sich der Verdacht: Es ist nicht eigentlich schick, nichts zu besitzen, sondern bloß eine Folge finanzieller Not. Junge Menschen hätten Besitzlosigkeit gar nicht für cool erklärt — sie seien schlicht eine Generation, die sich nichts leisten kann.

Nur: Warum leisten sie sich dann Trödel?

Nachfrage bei Moderator Horst Lichter. Ahnt er, warum ihm junge Menschen gerne beim Verramschen zusehen? "Ich bin mir ganz sicher, dass sich junge Menschen nicht nur für Trödel interessieren", antwortet Lichter. Es sei vor allem die "Sehnsucht nach Sicherheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit — nach Dingen, die einfach wahr sind", die altes Zeug für junge Menschen interessant macht.

Die Sehnsucht nach alten Dingen ist also eigentlich eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit? Und "Bares für Rares" der passende Nostalgie-Trip, also reinstes Sehnsuchtsfernsehen?

Ein alter Stuhl geht auf dem Flohmarkt besser weg, als ein neuer. Warum?

Auf Flohmärkten sieht man junge Menschen ja durchaus Besitz anhäufen: Mit gezücktem Smartphone laufen sie herum und googeln: Cocktail-Sessel aus den Sechzigern, Midcentury-Design! Vielleicht dänisch! Wenn sie auf dem Sperrmüll alte Fenster entdecken, halten sie die gewellten Scheiben schräg in die Sonne und rufen entzückt: "Mensch, altes Glas!" Ein alter Stuhl geht auf dem Flohmarkt besser weg als ein neuer. Warum?

Nehmen wir den alten Stuhl: Er ist vielleicht kein Statussymbol, dafür ist er identitätsstiftend. Ein alter Stuhl ist eben kein austauschbarer Ikea-Stuhl, der auch beim Nachbarn steht, im Gegenteil: Aus "Du bist, was du isst" wird "Du bist, was du besitzt" — und wer auf einem einzigartigen Stuhl sitzt, der fühlt sich auch selbst ein bisschen einzigartig.

Gleichzeitig sind junge Menschen nostalgisch — aber nicht, weil Kindheitserinnerungen wach werden, sondern weil sie sich nach Bewährtem sehnen. Sie waren ja nicht dabei, als Mid-Century-Möbel im New York der "Mad Men" der heiße Scheiß waren. Aber sie wissen, dass diese Möbel verlässlich sind, wenn man heute noch gut darauf sitzen kann.

Trödelshows als Therapie

"Nostalgie spendet jungen Menschen Trost", schreibt die New York Times, "und junge Menschen sehnen sich nach Trost wie nach sonst nichts". Wie wäre Bares als Trost? Ein rarer Mid-Century-Stuhl würde bei Horst Lichter wohl einiges bringen. Denn durch die wärmende Nostalgie blitzt natürlich auch ein Funken Hoffnung: Vielleicht ist mein Flohmarkt-Fund sogar richtig was wert?

Es muss ja nicht gleich ein Caravaggio für 120 Millionen sein, oder alte Baseball-Karten im Wert von einer halben Million. Aber einfaches Flohmarkt-Wissen, wie es bei "Bares für Rares" vermittelt wird, kann ein paar hundert Euro bringen - genug, um das Goldgräber-Gen einer Generation zu aktivieren, die sich große Sorgen um ihre finanzielle Zukunft macht.

Doch es gibt noch ein anderes Problem, das die Jugend mit "Bares für Rares" vielleicht zu bewältigen versucht: Eltern und Großeltern haben ein ganzes Leben lang Dinge angesammelt. Manche sind weder wertvoll, noch nostalgisch besetzt und nicht einmal Horst Lichter würde sagen, dass sie "einfach wahr" sind. Den Erben dämmert langsam: All das Zeug gehört irgendwann uns.

Angesichts der nahenden Trödelschwemme wird "Bares für Rares" für die Erben so vielleicht zur Therapie. Genau wie Spinnenphobiker ihre Ängste mit Dschungelcamp behandeln, gucken sich Leute, die erben werden, bei "Bares für Rares" an, wie man alten Kram loswerden kann. Und natürlich blitzt da wieder die Hoffnung auf: Soviel könnten Omas Porzellanpuppen bringen. Aha, so viel ist altes Hummerbesteck wert. Die Zuschauerzahlen für "Bares für Rares" dürften auf längere Zeit hin gesichert sein.

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