Balkan:Nichts kommt mehr

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Bosnien und Herzegowina könnte bald das einzige europäische Land ohne nationalen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein. Gut möglich, dass nach der Fußball-EM das gebührenfinanzierte Fernsehen abgeschaltet wird.

Von Florian Hassel

Das Aufatmen für Bosniens Fußballfans kam kurz vor Anpfiff. Zwei Tage vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft erklärte die Europäische Rundfunkunion (EBU), das öffentlich-rechtliche Fernsehen von Bosnien und Herzegowina (BHRT) dürfe nun doch die EM übertragen. Und das, obwohl das BHRT der Rundfunkunion noch umgerechnet 6,6 Millionen Euro Übertragungsgebühren schuldet. Doch die EBU gewährte Bosnien noch einmal Zahlungsaufschub.

Doch Bosniens öffentlich-rechtliches Fernsehen steckt über die Schulden an die EBU hinaus in so großen Schwierigkeiten, dass Intendant Belmin Karamehmedovic das Szenario eines möglichen Sendestopps für das gesamte Fernsehen schon in einigen Wochen an die Wand malte: Dann wäre Bosnien und Herzegowina, das darauf hofft, bald Aufnahmekandidat für die EU zu werden, "das einzige europäische Land ohne landesweiten öffentlich-rechtlichen Rundfunk", warnte Karamehmedovic. Bisher ist nur eines sicher: Das Fernsehen bleibt bis zum 10. Juli auf Sendung - dem Tag des EM-Finales in Paris. Was danach kommt, weiß noch niemand.

Bosnien und Herzegowina ist nicht das einzige Balkanland, dessen öffentlich-rechtliches Fernsehen Probleme hat. Beim EU-Mitglied Rumänien ist die Sendeanstalt TVR ebenfalls defizitär und hoch verschuldet - so hoch, dass die EBU den Sender in diesem Jahr wegen seit acht Jahren unbezahlter Beiträge vom Eurovision Song Contest ausschloss. Auch beim EU-Kandidaten Serbien ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen knapp bei Kasse. Die Probleme der Öffentlich-Rechtlichen auf dem Balkan sind immer die gleichen: zunehmende Konkurrenz durch private Fernsehsender, politische Einflussnahme, krasse Überbesetzung, mangelnde Finanzierung durch den Staat und unwillige Gebührenzahler angesichts oft nur die Regierungslinie wiedergebender Nachrichten und mit ausländischen Soaps vollgestopfter Programme.

Eigentlich ist die Gebühr für jeden Fernsehbesitzer verpflichtend - zahlen aber tut nur die Hälfte

Auch Bosniens BHRT leidet unter all diesen Problemen - und weiteren dazu. Zwei Jahrzehnte nach Ende des Bosnienkrieges wächst Bosnien und Herzegowina, geteilt in eine Föderation von muslimischen Bosniaken und Kroaten und die vor allem von Serben bewohnte Republik Srpska, nicht zusammen, sondern driftet weiter auseinander. Es ist ein Land, das es bis heute nicht einmal schafft, die Ergebnisse einer Volkszählung vom Herbst 2013 zu veröffentlichen. Viele Kroaten, vor allem aber die oft mit ihrer Abspaltung drohenden Serben sabotieren alles, was eine nationale Identität stärken könnte. Dazu gehört auch ein nationaler Radio- und Fernsehsender. Der wird seit Jahren politisch dominiert, finanziell kurz gehalten und teilt sich die Gunst der Zuschauer nicht nur mit privaten Sendern, sondern auch mit zwei anderen öffentlich-rechtlichen Programmen, die aber jeweils nicht landesweit senden: einem für die Föderation von Bosniaken und Kroaten (RTV), einem für die Serben (RTRS) in der Republik Srpska.

Dass es überhaupt einen übergreifenden, nationalen Fernsehsender gibt, verdankt das Land dem nach dem Bosnienkrieg von den Vereinten Nationen als oberste Autorität in Bosnien eingesetzten Hohen Repräsentanten. Der etablierte von 1999 an BHRT als nationale Anstalt. Finanziert werden sollte der Sender von Beiträgen der Zuschauer, die die beiden anderen Fernsehanstalten aus der Serbenrepublik und der bosnisch-kroatischen Föderation an BHRT weiterreichen sollen. Das aber tun sie nicht: Allein RTV schuldet BHRT dem Intendanten zufolge umgerechnet gut acht Millionen Euro, der serbische Kanal RTRS noch einmal gut vier Millionen Euro.

Die drei Telefongesellschaften des Landes erklärten sich bereit, die Rundfunkgebühr zusammen mit der Telefonrechnung einzuziehen. Allein: Immer mehr Menschen in Bosnien und Herzegowina haben nur noch Mobiltelefone, "melden massenhaft ihre Festnetztelefone ab und zahlen die Rundfunkgebühren nicht mehr", klagte BHRT-Intendant Karamehmedovic. Eigentlich ist die Rundfunkgebühr für jeden Fernsehbesitzer verpflichtend - zahlen aber tut nur die Hälfte.

Der Rundfunkbeitrag könnte mit der Stromrechnung eingetrieben werden, doch das wird blockiert

Dazu kommen Überbesetzung, Misswirtschaft und Korruption bei BHRT selbst. Die kombinierte Folge: Bosniens öffentlich-rechtliches Fernsehen häuft jedes Jahr mehr Schulden an - und stand schon vor der aktuellen Krise mehrmals kurz vor der Pleite. Schon im Juli 2015 barmte der Intendant, BHRT nehme monatlich 300 000 Euro weniger ein als benötigt und fürchtete die Sperrung der Bankkonten.

Ideen, wie das nationale Fernsehen auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen sei, gibt es seit Jahren. Doch eine Rückkehr zur Finanzierung aus dem Staatshaushalt lehnen sowohl die in Bosnien lebenden Kroaten ab (sie wollen einen eigenen Fernsehsender in kroatischer Sprache durchsetzen) wie die Serben: Die sind nicht nur im Fall des Fernsehens, sondern etwa auch im Fall des Nationalmuseums gegen jede Stärkung nationaler Institutionen und blockieren die notwendige Finanzierung. Am einfachsten umzusetzen wäre wohl die Zwangseintreibung des Rundfunkbeitrages zusammen mit der Stromrechnung - auch diese Idee wird indes blockiert.

Seit Ende Februar liegt ein Gesetzentwurf zur Finanzreform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vor - eigentlich sollte er längst verabschiedet sein. Dem Entwurf zufolge sollen alle Bürger Bosniens eine Rundfunksteuer zahlen. Dass sie das auch tatsächlich tun, steht freilich auf einem anderen Blatt. Außerdem muss dem Gesetz nicht nur der Ministerrat Bosnien und Herzegowinas zustimmen, gefolgt vom Parlament, sondern danach auch die beiden Regierungen der Föderation und der Serbenrepublik - und ihre jeweiligen Parlamente. Dass dies bis zum 10. Juli geschieht, wäre im politischen Betrieb Bosnien und Herzegowinas allerdings ein Wunder.

Bisher können sich die Regierungschefs Bosniens, der Föderation und der Republik Srpska nicht einmal auf einen von der EU seit Jahren verlangten Abstimmungsmechanismus einigen, ohne den es keinen Fortschritt auf dem Weg zur EU-Kandidatur geben wird.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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