ARD-Dokumentation "Sex - Made in Germany":Die große Puff-Lüge

TV-Dokumentation "Sex - Made in Germany" NDR Fernsehen

Frauen als Ware: die Prostituierte Candy Cash.

(Foto: NDR/Torsten Lapp)

Aus Japan, den USA und Arabien reisen Männer mittlerweile nach Deutschland, ins Bordell Europas. Wie schlimm es um die Sexindustrie hierzulande tatsächlich steht, beleuchtet ein großartiger Film im Ersten. Ohne Pathos und ohne Anklage zeigt er eine Welt, die sich eine Gesellschaft nicht wünschen kann.

Von Joachim Käppner

Manchmal fragt sich auch der Wohlwollende angesichts öder Quasselrunden, des Vorabend-Serientrashs, vertrottelter Shows und der Auslagerung ernsthafter Magazinbeiträge in die Mitternachtsstunden, mit welchem Recht die öffentlich-rechtlichen Sender eigentlich so hohe Gebühren verlangen. Und dann gibt es manchmal noch Sternstunden, die mit all dem versöhnen. Dazu gehört die für den NDR aufwendig recherchierte Reportage Sex - Made in Germany, die an diesem Montag gezeigt wird. Was der Film beschreibt, ist die Geschichte eines Scheiterns, der Legalisierung der Prostitution nämlich.

Ziel des Gesetzes von 2002 war es, Prostituierte aus dem Zustand der faktischen Rechtlosigkeit zu holen, aus der Abhängigkeit von kriminellen Banden. Es war ein rot-grünes Reformprojekt, das dieses Vorhaben auch teilweise erreichte. Prostitution sollte nicht mehr sittenwidrig sein, sondern von nun an behandelt (und besteuert) werden wie ein ganz normaler Beruf. Aber das ist es nun einmal nicht, auch wenn die Schöpfer sprachlicher Parallelwelten törichte Begriffe wie "Sexarbeiterinnen" erfanden. Die Journalistinnen Sonia Kennebeck und Tina Soliman haben die Folgen der Legalisierung untersucht, und ihr Fazit ist verheerend: "Die gute Absicht, Prostituierte per Gesetz zu stärken, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Die Frau wird zur Ressource, die so effizient wie möglich genutzt wird. Außerhalb dieses Tauschgeschäftes aber verliert sie jeden Wert."

Deutschland, so die Botschaft des Films, sei das Bordell Europas geworden. Selbst aus Japan, den USA und dem sittenstrengen Arabien reisen Männer in Gruppen an, um sich zu vergnügen. 30.000 Besucher im Monat kommen ins Kölner Großbordell "Pascha". Ein Teil des Films zeigt einige Freier mit versteckter Kamera bei der Fleischbeschau in einem großen Bordell, und man muss nicht übertrieben moralisch sein, um sich in Dantes Inferno versetzt zu fühlen.

"Wir sehen uns als Lifestyle-Marktplatz"

Die Betreiber solcher Orte sind längst keine tätowierten Brutalos mehr, sondern verstehen sich als Geschäftsmänner, die den Gesetzen des Marktes folgen, von Angebot und Nachfrage. Was die Männer so daherreden, wirkt wie eine schrille Parodie auf die Heilsversprechen des Neoliberalismus. Der "Pressesprecher" eines Bordells lamentiert über staatliche Reglementierung, obwohl die Reglementierungen doch fast zur Gänze entfallen sind. Der Geschäftsführer einer Internet-Sexbörse sagt: "Wir sehen uns als Lifestyle-Marktplatz." Der Kunde, auch die Kundin, darf das Gebotene mit Sternen bewerten wie ein Leser ein Buch bei Amazon. Es gibt Börsen, wo der Meistbietende Sex mit Jungfrauen, Schwangeren, ohne Kondom ersteigern kann. Wenn die Prostituierte Pech hat, und die Versteigerung mangels Nachfrage mal nicht gut läuft, darf sie eine Nacht mit zwei Kerlen verbringen, die ihr dann drei Euro zahlen. All dies wäre vor 2001 mehr oder weniger illegal gewesen.

Sehr beliebt sind auch Discount-Flatrates. Den Frauen, so hat es das Gesetz gewollt, sollte ihre Würde zurückgegeben werden. Das hat am wenigsten funktioniert: In der entfesselten Marktwirtschaft der deutschen Sexindustrie sind sie nur austauschbare Ware und jederzeit ersetzbar. Kennebeck und ihr Kameramann Torsten Lapp sind auch nach Rumänien gefahren, wo viele dieser Frauen herkommen; und was sie dort erfahren haben, lässt das Gerede vom freien und freiwilligen Markt schnell als das erscheinen, was es ist: eine Lüge.

Deutlich mehr als die Hälfte der Prostituierten eines Berliner Flatrate-Bordells stammen aus Rumänien und Bulgarien, und wenige von ihnen hatten gewusst, was sie dort in Deutschland erwartet. Der Besitzer, wieder ganz der Marketingmann, sagt in die Kamera: "Diese Frauen sind halt engagierter, weil sie neu in dem Gewerbe sind. Sie sind belastbarer, sag ich mal so."

Kein Kunde durfte abgelehnt werden

Eine Rumänin namens Sorana schildert, wie sie von Zuhältern nach Deutschland gelockt wurde. Sie hat gewusst, dass sie nicht als Kindermädchen arbeitet, dass es um Sex ging. Sie hat nicht gewusst, dass sie in einem Flatratebordell wie eine Sklavin bis zu 40 Freiern an Tag zu Willen sein musste: "Manchmal gab es in der Nacht nur zwei, drei Stunden Schlaf. Ich durfte keinen Kunden ablehnen. Es war schlimm." Sie würden "behandelt wie Müll": Viele dieser Frauen, so Tina Soliman, "wurden verschleppt, emotional manipuliert, zur Prostitution in Deutschland gezwungen". Das ist natürlich noch immer illegal, nur sieht sich der Bordellbetreiber keineswegs in der Pflicht: "Nicht meine Aufgabe", sagt einer, solange die Papiere stimmen. Er habe so viele Frauen beschäftigt, wie solle er jedesmal den Hintergrund checken? Dafür sei der Staat zuständig.

Der interessiert sich auch heftig für die Rotlichtpaläste, die inzwischen Sextouristen nach Deutschland locken wie früher nach Thailand. Die Prüfer vom Amt wollen aber nicht wissen, welche menschlichen Dramen sich hier womöglich abspielen. Sie kassieren für ihre Kommunen kräftig mit, selbst auf dem Straßenstrich. Zahlen müssen die Frauen. Auf die Frage, warum man nicht den Freier besteuere, sagt der Mann von der Stuttgarter Stadtkämmerei: "Ja, den kennen wir ja ned, den Freier."

All das schildern die Autorinnen dieses großartigen Films ohne Pathos, sogar ohne Anklage. Sie verurteilen niemanden, halten keine Moralpredigten aus dem Off. Sie schildern nur, wie es ist. Und doch zeigen ihre Bilder eine Welt, die sich eine Gesellschaft nicht wünschen kann. Einfach sind immer nur die guten Absichten. Die Welt, die mit ihnen verändert werden soll, ist es leider nicht.

Sex - Made in Germany, ARD, 22.45 Uhr.

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