Wohlbefindensforschung:Wellness für die Seele

Lesezeit: 3 min

Man kann ja über alles reden: Bei der prophylaktischen Psychologie kümmern sich Therapeuten um das Seelenheil.

Titus Arnu

Das Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin kann einem Angst machen. Von außen sieht das Monstergebäude so aus wie eine geheime Atomforschungsanlage aus einem James-Bond-Film, in der ein verrückter Wissenschaftler an der Formel für die Weltherrschaft arbeitet. Es ist auch extrem hart, sich im Inneren des ICC wohl zu fühlen. Fabrikhallengroße Tagungsräume, autobahnbreite Flure und grelle Flutlichtanlagen lassen wenig Gemütlichkeit aufkommen. Wer im ICC unter akuter psychischer Bedrückung leidet, kann sich dieser Tage aber schnell und kompetent helfen lassen. Es wimmelt nur so von Psychotherapeuten, denn gerade ist dort der 24. International Congress of Psychology (ICP) zu Ende gegangen.

Ab in die Wiese: Positive Lebensgefühle sind lebenswichtig. (Foto: Foto: Istock)

Der Psychologen-Weltkongress in Berlin ist die größte Tagung ihrer Art: 8600 akkreditierte Fachleute, 440 Fachvorträge, pausenlos Meetings, Foren und Arbeitsbesprechungen. Man kann ja über alles reden. Depressionen, Traumata, Suizid, Phobien, Neurosen - wer das Programm des einwöchigen Kongresses durchliest, leidet allein schon durch die Vorstellung, was der Seele alles zustoßen könnte, unter Schwindelanfällen und Augenflimmern, gefolgt von Migräne, allgemeiner Niedergeschlagenheit und Weltschmerz.

Das muss nicht sein. Denn die Psychologie kümmert sich mehr und mehr um positive seelische Aspekte. Ein erfreulich leichter Schwerpunkt beim diesjährigen Kongress ist die Konzentration auf positive Emotionen. Der Grundgedanke: Anstatt zu warten, bis die Menschen psychisch am Ende sind und dann professionelle Hilfe brauchen, wäre es besser, sie würden sich vorab konstruktiv um ihr Seelenheil kümmern - und die Psychologie hilft dabei. Um diese prophylaktische Psychologie zu etablieren, setzen sich immer mehr Experten für einen neuen Forschungszweig ein, der in Fachkreisen "Wohlbefindensforschung" genannt wird.

Erfunden wurde die relativ neue Fachrichtung von amerikanischen Glücksforschern. Nachdem in der Psychologie lange vornehmlich Störungen wie Phobien, Depressionen oder Sucht beleuchtet wurden, brachte der US-amerikanische Psychologe Ed Diener (University of Illinois) bereits 1984 die neue Forschungsrichtung auf den Weg.

Mit dem wegweisenden Artikel "Subjective Well-Being", der im Psychological Bulletin erschien, schaffte er eine wichtige Grundlage für die Psychologie des Wohlbefindens. Dass die Wohlbefindensforschung gerade aus den USA stammt, ist kein Wunder, schließlich gehört "Pursuit of Happiness", das Streben nach der eigenen Glückseligkeit, zu den amerikanischen Grundrechten. Und an diesem Glück soll möglichst die ganze Welt teilhaben. Mittlerweile hat die renommierte Gallup Organization bereits ein "Institute for Global Well-Being" gegründet.

Die Wellness-Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Lebenszufriedenheit und den Faktoren, die glücklich machen. Die Wohlbefindensforscher unterscheiden zwischen aktuellem Wohlbefinden und "habituellem Wohlbefinden", also zwischen momentaner und längerfristiger Lebenszufriedenheit.

Soweit die Theorie. Aber wovon hängt das Wohlbefinden im Alltag ab? Geld? Sex? Liebe? Oder gar von den Genen? Eine wesentliche Größe des Wohlbefindens sei der individuelle "Set-Point", behaupten die Glücksforscher. Dieser individuelle Sollwert ist zum Teil genetisch beeinflusst. So fanden die amerikanischen Psychologen David Lykken und Auke Tellegen von der University of Minnesota in Studien mit getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen heraus, dass deren Lebenszufriedenheit relativ ähnlich war, auch wenn sie in vollkommen unterschiedlichen sozialen Umfeldern aufgewachsen waren.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass sich der Psycho-Sollwert im Laufe des Lebens aufgrund emotionaler Ereignisse dauerhaft verändern kann. Nach einem positiven oder negativen Gefühlsausbruch kehren die meisten Menschen zu ihrem normalen Wohlbefindlichkeits-Level zurück. Aufgrund schwerer emotionaler Krisen könne sich dieser Level allerdings dauerhaft in den Negativbereich verschieben. Maike Luhmann und Michael Eid von der Freien Universität Berlin haben gezeigt, dass sich besonders beim mehrfachen Auftreten von starken emotionalen Ereignissen, etwa mehrmaliger Arbeitslosigkeit oder mehreren Schicksalsschlägen, der Level der Lebenszufriedenheit stark verschieben kann.

Das bedeutet umgekehrt: Es gibt auch Möglichkeiten, das eigene Wohlbefinden positiv zu beeinflussen. Die Fachleute sind sich einig, dass es Strategien gibt, mit deren Hilfe man sein Wohlbefinden steigern kann. Dazu zählen laut Fachmeinung der Wohlbefindensforscher:

- Ziele verfolgen, die man persönlich sehr wertschätzt; - Sich positiven Aspekten des Lebens öffnen; - Sich aktiv für andere Menschen einsetzen und ihnen helfen; - Soziale Kontakte pflegen und positive Gefühle anderen gegenüber ausdrücken und kultivieren.

Eine gesunde Seele wirkt wie eine dauerhafte Wellness-Behandlung auf den Körper, behaupten die Glücksforscher. Die Psychologin Sonja Lyubomirsky (University of California Riverside) hat belegt, dass glückliche Menschen länger leben, gesünder, kreativer, produktiver und beruflich erfolgreicher sind, sich gesellschaftlich stärker engagieren und befriedigende soziale Beziehungen haben. Wobei man hier kritisch hinterfragen muss, ob da nicht Ursache und Wirkung verwechselt wurden. Aber das ist wahrscheinlich zu negativ gedacht. Alles wird gut.

© SZ vom 28.07.2008/ imm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: