Wie ich euch sehe: Tätowiererin:Wer "Ente süß-sauer" auf seinem Arm hat, ist selber schuld

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Eine Tätowiererin erzählt in einer neuen Folge "Wie ich euch sehe" aus ihrem Alltag. (Foto: Illustration Jessy Asmus)

Eine Tätowiererin erklärt in einer neuen Folge "Wie ich euch sehe", wie sie mit wehleidigen Kunden umgeht und warum ein Tattoo mehr als Körperschmuck ist.

Von Anna Fischhaber

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, denen wir täglich begegnen, über die fast alle eine Meinung, die Wenigsten aber eine Ahnung haben: die Frau an der Supermarktkasse, der Richter, die Zeugin Jehovas. Sie teilen uns mit, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Gäste, Mitmenschen. Diesmal erklärt eine Tätowiererin, welche Vorurteile sie nerven und warum ihre Arbeit oft auch aus Zuhören besteht.

Ja, es tut weh, wenn man sich tätowieren lässt. Eure erste Frage ist fast immer die gleiche. Meine Antwort auch. Deshalb steht in meinem Laden inzwischen ein Schild. Ich habe selbst viele Tattoos, deshalb weiß ich: Manche Stellen tun sogar sehr weh. Die Rippen und die Wirbelsäule sind echt empfindlich. Wenn man sich dagegen am Oberarm ein Motiv stechen lässt, kitzelt das eher und fühlt sich wie Epilieren an.

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Ich weiß, dass ein Mensch keine Leinwand ist, aber manchmal denke ich trotzdem: "Jetzt reiß dich mal zusammen!" Ein Stück weit ist es sicher Kopfsache, ob man Schmerz erträgt. Also steigert euch bitte nicht rein und macht eine Show daraus. Dann wird es schwierig, vor allem wenn ihr zappelt. Dann kann ich nicht exakt stechen. Zum Glück ist das den meisten von euch bewusst.

Heute habe ich einer alten Dame, Mitte sechzig, eine Biene gestochen. Sie ist Imkerin. Hinter den meisten Tattoos steckt eine persönliche Geschichte. Manche sind tragisch. Ein Tattoo ist nicht selten Teil eines Trauerprozesses und ich begleite ein Stück weit diese Trauer. Ich höre zu. Eine meiner Kundinnen hat ihr Baby verloren. Ein paar Tage nach der Geburt ist es gestorben. Sie hat sich dann einen Schmetterling stechen lassen, weil er für die Verwandlung steht.

Eine andere Mutter hat sich Stofftiere ihres verstorbenen Sohnes auf den Arm machen lassen. Wenn man den Arm sieht, denkt man: "Bäm!" Er ist ganz bunt und knallig, man würde nie so eine berührende Geschichte vermuten. Ich frage eigentlich immer nach. Natürlich könnte ich bloß einen hübschen Entwurf zeichnen. Aber wir verbringen Stunden Haut an Haut. Ich verändere euch für immer. Das ist schon sehr intim.

"Ich habe aufgehört, meine einzelnen Tattoos zu zählen"

Ich selbst habe aufgehört, meine einzelnen Tattoos zu zählen. Ich habe den rechten Arm voll. Und den linken. Und dann noch ein paar Motive verteilt am ganzen Körper. Ich war viel in Mexiko unterwegs. Dort habe ich mir mit 20 mein erstes Tattoo stechen lassen. Viele meiner Motive sind mexikanisch inspiriert. Mein rechter Arm ist auch ein Stück Trauerarbeit gewesen. Als ein wichtiger Mensch in meinem Leben gestorben ist, habe ich mir einen Totenkopf stechen lassen. Auf dem Unterarm vorne. Irgendwann wollte ich den Tod nicht mehr so präsent haben. Ich habe mir den Totenkopf weglasern lassen und daraus ist ein verfallenes Gesicht geworden. Das Tattoo bedeutet noch dasselbe, es sieht nur nicht mehr so düster aus.

Mein anderer Arm steht für meine lustige Seite. Er ist voll mit Comicmotiven. Da sind zum Beispiel meine Kindheitshelden: die Grinsekatze und Alice im Wunderland. Und eine Glückskatze mit einer Tattoomaschine. Alles hat einen Bezug. Für mich sind Tätowierungen nicht nur Körperschmuck. Sie sind wie Lesezeichen, die mich an Momente in meinem Leben erinnern, die mir wichtig waren. Dass ich sie irgendwann bereuen werde, glaube ich nicht. Meine Meinung ist: Wenn man alt und faltig ist, dann ist man alt und faltig - egal, ob man tätowiert ist oder nicht.

Manchmal wundere ich mich, dass so viele den gleichen Wolf aus der Google-Bildersuche wollen oder das Trend-Mandala von Pinterest. "Wow, das ist heute schon die Zehnte, die das toll findet", denke ich dann. Dabei ist das doch nur ein Abklatsch von einem Abklatsch von einem Abklatsch. Oder wenn ihr kommt und nicht wisst, was ich euch stechen soll. Wenn es nur cool aussehen soll. Ich schicke euch dann nochmal heim, und sage: "Macht euch erst einmal Gedanken! Ich kann doch nicht für euch entscheiden, was ihr wollt."

Ihr dürft auch nicht beleidigt sein, wenn ich ehrlich frage, ob ihr dieses oder jenes Motiv wirklich wollt. Schließlich bleibt ein Tattoo für immer. Und ein Unendlichkeitszeichen oder eine Feder haben doch schon so viele Leute. Das braucht ihr nicht auch noch! Nicht, weil es für mich als Tätowierer langweilig ist. Das ist es, aber in dem Fall bin ich Dienstleister. Ich sträube mich nicht. Aber ich will euch schon vorschlagen, dass wir gemeinsam etwas Eigenes entwickeln. Das ist doch auch für euch schöner!

Ich gucke natürlich auf Tattoos. Auf der Straße, aber auch in der Sauna. Dort sehe ich viel Trash. Manche von euch kommen auch zu mir und wollen, dass ich sie rette. "Der Bruder von 'nem Kumpel hat das für einen Fuffi auf dem Küchentisch gemacht." Und dann wundert ihr euch ernsthaft, dass es scheußlich geworden ist? Warum habt ihr nicht Stopp gerufen? Manche lassen sich auch in China ein Tattoo machen, ohne die Sprache zu sprechen. Wer "Ente süß-sauer" auf seinem Arm hat, ist selber schuld. Ich helfe oft trotzdem. Aber bei dunklen Tribals oder Arschgeweihen aus den Neunzigern habe ich mehr Mitleid. Und da kann man mit Farbe echt viel retten.

Einmal kam ein Mann in meinen Laden und wollte einen Elefantenkopf um seinen Penis tätowiert haben. Da musste ich sagen: "Nee, sorry." Nazisymbole wie beispielsweise die 88 oder der Reichsadler sind für mich auch ein Tabu. Und ich würde nicht zuerst den Hals oder die Händen tätowieren, wobei sich der Trend geändert hat: Früher waren Unterarme tabu, solange die Oberarme noch nicht voll waren. Heute ist es umgekehrt. Viele wollen sich nur die Unterarme bemalen lassen. Hauptsache möglichst präsent.

"In welcher Zeit lebt ihr eigentlich?"

Ich frage immer, wie alt ihr seid und ob ihr schon einen gefestigten Beruf habt - man kann sich schon etwas verbauen, wenn es blöd läuft. Sind ja nicht alle so supertolerant bei Tattoos. Ich habe eine kleine Tochter, die gerade in den Kindergarten gekommen ist. Bei Kinderwagen und Tattoos rümpfen viele die Nase, andere nicken einem aber auch zu und lächeln. Nach dem Motto: So eine Mutter ist cool.

Mir ist egal, wie ihr meine Tattoos findet, aber als ich einen Laden gesucht habe, dachte ich manchmal doch: In welcher Zeit lebt ihr eigentlich? Viele wollten wissen, was ich beruflich mache - und haben dann, zack, aufgelegt. "Tätowiererin? Auf gar keinen Fall!" Manche haben das gar nicht begründet. Andere hatten echt seltsame Argumente: "In dem Haus wohnen auch Ärzte und Professoren", hat ein Vermieter gesagt. Wahrscheinlich hat er gedacht, ich kreuze mit meiner Harley Davidson auf und stehe mit Rockerclub und Bier abends vor der Tür.

Manche von euch haben vielleicht noch das Klischee aus den Achtzigern im Kopf: In einem Tattoostudio ist es dunkel, es wird geraucht, es läuft laute Musik, es gibt einen Pitbull. Mein Laden ist aber keine düstere Höhle. Im Gegenteil: Er ist ganz weiß. Mit hübschen Zeichnungen an den Wänden. Er hat richtig nettes Altbauflair.

Sabine Hannak betreibt in Heidelberg das Tattoostudio Just B.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: violetta.simon@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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