Wein:Die rote Diva

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Was, ein deutscher Rotwein hat immer mehr Fans? Ja, das gibt es. Vom Spätburgunder aus Baden, Franken oder der Pfalz schwärmen sogar französische Sommeliers.

Von Herbert Stiglmaier

Rot funkelte es in vielen Gläsern, als sich vor Kurzem die Sommeliers der besten Pariser Restaurants und eine Auswahl bekannter französischer Weinkritiker trafen: Im vornehmen "Hotel Baltimore", gelegen im nicht weniger vornehmen 16. Arrondissement zwischen Triumphbogen und Eiffelturm, geht es um konzentrierte, meist schweigend zelebrierte Verkostungsarbeit. Die Aufmerksamkeit gilt aber nicht etwa dem großen Bordeaux oder dem unbezahlbaren Burgunder, sondern Rotweinen aus Deutschland, für die sich die Weinexperten noch vor wenigen Jahren nicht ihr imposantes, ordensähnliches Sommelierabzeichen ans Revers gehängt hätten. Um einen Roten vom Ostufer des Rheins zu verkosten, das galt in Frankreich lange als ausgemacht, muss man nun wirklich keinen sonnigen Frühlingsnachmittag opfern. Bisher.

Die mehr als 140 Gäste probieren hier eine Auswahl fränkischer Weine, zusammengestellt von dem etwas nach Amtsstube klingenden Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP). Organisiert hat die Degustation Stéphane Thuriot, der französische Sommelier des Münchner Sterne-Restaurants "Königshof", zusammen mit einigen französischen Kollegen, die auch in München arbeiten - gewissermaßen als Kronzeugen der Qualität des deutschen Weins.

Die Silvaner, Scheureben und Rieslinge werden neugierig bestaunt. Den stärksten Eindruck aber hinterlässt eine Rebsorte, die in der Grande Nation des Weines bestens bekannt ist und im Burgund wahre Kostbarkeiten hervorbringt: der Pinot Noir - zu Deutsch Spätburgunder, auch bekannt als "rote Diva". Den anwesenden deutschen Winzern ist eine gewisse Spannung anzumerken. Und Stéphane Thuriot sagt nun einen Satz, der in Frankreich bei manchem als Hochverrat gelten dürfte: "Es ist spannend, mit deutschem Spätburgunder im Lokal zu arbeiten. Er hat mehr Relief als die Weine aus dem Burgund."

(Foto: Isabelle Rozenbaum/PhotoAlto/lai)

Ach, tatsächlich? Am besten, man fragt gleich noch einmal nach. Bei Bernd Kreis zum Beispiel, einem Weinhändler aus Stuttgart, der seit 15 Jahren deutsche Flaschen nach Paris exportiert. Ein großes Geschäft sei das nicht, sagt der. Dem Spätburgunder hingegen traut er viel zu: "Das Spannende an diesen Weinen ist, dass sie je nach Region verschiedenartig sind."

Um mehr zu erfahren, empfiehlt sich also eine Reise in das deutsche Spätburgunderland. Direkt an der deutsch-französischen Grenze, im südpfälzischen Schweigen, arbeitet Friedrich Becker sen. mit seinem Sohn Fritz an einem Spätburgunder, der neben den klassischen Aromen nach roten Beeren und Waldboden auch mit überraschend seidigen Gerbstoffen glänzt. Nur strenge Beobachter würden sagen, das sei ein wenig geschummelt, denn die Trauben dafür kommen zum Teil von der anderen Seite der Grenze. Die Beckers sind "Doppelbesitzer", seit 140 Jahren bewirtschaften sie auch Weinberge im benachbarten Elsass. Die Weine daraus keltern sie in der Pfalz. Und in der Grenzregion ist man beiderseitig kulinarisch flexibel geworden: Baguette, Enten- und Gänsepasteten holt man im französischen Wissembourg, Saumagen und andere Wurstwaren in Schweigen. Und auf der Einkaufsliste der Franzosen steht nun auch Pfälzer Spätburgunder.

Fabelkundige Weintrinker finden sich auf Beckers Flaschenetiketten schnell zurecht: Zu sehen ist ein Fuchs neben einem Rebstock. "Diese Trauben ess ich nicht", sagt er in Lafontaines Fabel "Der Fuchs und die Trauben" - und belügt sich damit selbst, weil sie für ihn eh unerreichbar hoch hängen. Mit dem Zitat machte sich Becker lustig über das Unverständnis seiner Winzerkollegen, als er sich in den 70er-Jahren entschloss, seine Spätburgunder ohne Kompromiss trocken auszubauen.

Eine Entscheidung, die Früchte trägt. "Viel Eleganz und eine mineralische Unterschrift", urteilt etwa der frühere Sommelier-Weltmeister Philippe Faure-Brac über diesen Roten. Der Kalkboden, auf dem Beckers Rebstöcke wachsen, ist fast identisch mit dem Untergrund im Burgund. Von dort stammt das Original: fruchtbetont und elegant von der Côte de Beaune, tanninreich und tiefgründig von der Côte de Nuits.

Seine Verbreitung in Europa ist den Zisterziensermönchen zu verdanken. Denn wenn die Äbte der verschiedenen Klöster nach dem Konvent damals wieder in ihre Heimat aufbrachen, bekamen sie Rebstöcke mit auf den Weg. So gelangte der Pinot Noir auch ins österreichische Stift Zwettl, in dessen Weingut "Schloss Gobelsburg", Kamptal er noch heute zu einem der besten Rotweine Österreichs ausgebaut wird.

Doch welche Eigenschaften machen den Spätburgunder zu einer Rebsorte, von der Fachleute sagen, dass man als Rotweintrinker zwangsläufig dort enden müsse? Es ist vor allem das filigrane Geschmacksbild, es spannt sich von leicht zugänglichen kirschigen Aromen in jungem und einfachem Pinot Noir über Anklänge von Waldboden, welkem Herbstlaub bis zu Speck, erkaltetem Kamin und sogar Weihrauch - und das bei mäßigen Alkoholgraden von durchschnittlich 13 Prozent.

(Foto: N/A)

Dass man durch ein Glas Spätburgunder fast hindurchsehen kann, bedeutet nicht, dass es sich um dünnen Wein handelt. Pinot Noir hat wenig Farbpigmente in der Traubenschale - anders als die Konkurrenz aus dem Bordelais oder von der Rhône. Rote Burgunderweine bereiten so viel Vergnügen, weil sie nicht satt, sondern Lust auf den nächsten Schluck machen. Dies liegt an der präsenten Säure, um die zu ringen sich als Winzer lohnt.

Pikante Säure im Spätburgunder findet, wer aus der Pfalz rheinabwärts fährt bis fast nach Köln, in das kleine Anbaugebiet Ahr. Wie eine Miniaturausgabe des Grand Canyon mutet die Landschaft mit den engen Schleifen des Flüsschens an, die kalten Ostwinde aus der Kölner Bucht haben hier keinen Zugang. Hier wächst die Spätburgunderrebe auf Schiefer, einem Boden, der sonst feine Rieslinge gedeihen lässt. An den steilen Hängen über der Ahr gibt er dem Spätburgunder einzigartige Aromen von Brombeeren und schwarzen Johannisbeeren mit - und gern auch eine Lagerfähigkeit von weit über zehn Jahren wie zum Beispiel im Falle der Weine von Alexander Stodden aus Rech. Hier hat man bei der Weinprobe nicht viel übrig für Verbrüderungsrituale an langen Tischen. Und ähnlich spröde sind die Weine: von Tannin geprägt und dementsprechend verschlossen in der Jugend, aber nach einigen Jahren schon von höchster Qualität.

Neben dem Anbaugebiet Baden, das den höchsten Anteil an Spätburgunder in Deutschland hat, profiliert sich seit einigen Jahren auch das Mainviereck in Franken mit dieser Rebsorte. So wachsen die Reben im äußersten Nordwesten Frankens, in der Gegend um Bürgstadt, auf Buntsandstein, der auch Baustoff für den Mainzer und Frankfurter Dom war und eine strukturierte Eleganz in den Spätburgunder bringt. Der Erfolg des Pinot Noir hier hat einen Namen: Paul Fürst. Seine Weine gehören bereits zur international anerkannten Spitzenklasse.

Wie man das schafft? Neben gezielter Ertragsreduktion und Handlese, erklärt Paul Fürst, sei vor allem eines wichtig, wenn ein Spätburgunder filigran werden soll: der richtige Lesezeitpunkt. "Wir gehen vor der Lese jeden Tag mehrmals in alle unsere Lagen, um diesen Punkt haargenau zu treffen. Der Pinot darf nicht zu reif werden, sonst verliert er seine Finesse und wird marmeladig", sagt er. Als sei das nicht genug Mühe, braucht Spätburgunder als "Cool-Climate"-Sorte kühle Nächte und warme Tage, um seine Qualitäten wie Eleganz und Frische zu entwickeln. Der Pinot Noir verlangt seinen Erzeugern also einiges ab.

Doch zurück nach Paris. Denn im Baltimore Hotel klemmt nun der bekannte britisch-französische Weinkritiker David Cobbold das Verkostungsglas mit drei Fingern auf sein Schreibbord und beendet seine Notizen. Konkret bedeutet das: Die Ode an den deutschen Spätburgunder wird bald auch in Weinzeitschriften in Frankreich, Kanada und Japan nachzulesen sein. Mit Cobbold-Sätzen wie: "Diese Weine tanzen delikat am Rande der Bitternis."

Auch Paul Fürst ist nach Paris gereist. Die wohlwollenden Urteile über seine Weine, die nicht schmelzig und ausladend sind, sondern sich langsam am Gaumen aufbauen, hat er genau registriert. Nun räumt er ab, alle Flaschen seiner Großen Gewächse "Hundsrück", "Schlossberg" und "Centgrafenberg" sind ausgetrunken. Deutschland, sagt Fürst zufrieden, sei vielleicht kein Rotweinland, aber zumindest "ein Spätburgunderland". Man hört ihm an, dass das noch keine Selbstverständlichkeit ist.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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