Weihnachtsplätzchen:Ein Stück heile Welt

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Warum noch selbst Plätzchen backen, wenn es das Gebäck normverpackt und vakuumversiegelt bereits ab Mitte August im Supermarkt gibt? Ein Plädoyer für eine vergessene Tradition.

Jürgen Schmieder

Vor 20 Jahren, während der Kindheit, da brauchte man keinen Kalender. Wenn man von der Schule nach Hause kam und es im Treppenhaus schon nach Vanille roch, dann war klar: Nächsten Sonntag ist der erste Advent. Auch klar war, dass Mutter und Oma in der Küche auf einen warteten und einem mit einer Mischung aus christkindlicher Freude und hundsgemeinem Sadismus ein Plätzchen hinhielten. Das eine durfte man probieren, auf die anderen musste man warten bis Sonntag - eine unerträglich lange Zeit.

Ein selbstgebackenes Lebkuchenhaus versüßt nicht nur die Vorweihnachtszeit, sondern erhält auch Traditionen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Heute ist vieles anders: Plätzchen gibt es normverpackt und vakuumversiegelt bereits ab Mitte August im Supermarkt, der Adventskalender enthält keine Süßigkeiten mehr, sondern Bildchen von Frauen mit wenig Sachen an. Nein, das soll nun kein kulturpessimistischer Text werden darüber, dass sich Weihnachten irgendwann selbst überholt und sich die Menschen im Oktober bei einem Einkauf mit Weihnachtsgeschenken, Schoko-Osterhasen und Faschingskostümen eindecken können.

Es soll vielmehr ein Plädoyer sein für eine Tradition, die bei jungen Menschen mit einem Nine-to-nine-Job und Freizeitverpflichtungen von beckenbauerschen Ausmaßen wie ein Anachronismus wirken mag: das Plätzchen-Backen.

Zugegeben, es ist nicht ganz einfach, an die köstlichen Rezepte zu kommen. Mütter und Omas hüten das Hinweisbüchlein wie ihre Sparsocke - man muss einen schwachen Moment erwischen, um sie frühzeitig vererbt zu bekommen. Der Einfachheit halber könnte man - auch das gab es vor 20 Jahren nicht - ins Internet gehen. Die Website chefkoch.de etwa hält 3487 verschiedene Rezepte bereit, für jeden Geschmack, für jedes Küchen-Talent und jedes Zeitfenster. "1-2-3-Butterplätzchen" dauern 30 Minuten, die "Pfefferminz-Trüffel-Plätzchen" fallen in die Kategorie pfiffig, man braucht dafür mehr als eine Stunde.

Der Einkauf der Zutaten kann zu einer entspannenden Angelegenheit werden, wenn man mit anderen Menschen über Plätzchen und Spekulatius philosophiert und den Fertig-Familienpack-Käufern einen überlegenen Blick zuwirft. Daheim folgt dann das Backen: Teigausrollen, Plätzchen ausstechen und Kokosmasse auf eine Oblate geben, ist um einiges entspannender als eine Zigarette oder Fernsehen mit einer Flasche Bier in der Hand - vor allem, weil beim Plätzchenbacken das Gleiche gilt wie beim Tangotanzen: Wenn man einen Fehler macht, tanzt man einfach weiter, als ob nichts gewesen sei.

Während das selbstgemachte Weihnachtsgebäck im Ofen seinen Duft entwickelt, gönnt sich der Plätzchen-Kreator eine Tasse Glühwein mit Schuss und wartet darauf, dass neben dem Duft heißen Weins auch ein wenig Kokos oder Vanille in die Nase steigt.

Und wenn die Plätzchen nach zehn Minuten fertig sind, dann - und deshalb ist das Backen heute noch viel schöner als vor 20 Jahren - darf man nicht nur eines versuchen, sondern je nach Lust und Laune auch das gesamte Blech. Man kann ja jederzeit neue machen.

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