Voodoo Jürgens:Gscheida Bua

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Keiner besingt derzeit die rauen Sitten der Straße, die Halbseidenen und die Toten so schön und klug wie der österreichische Liedermacher Voodoo Jürgens.

Von Claudia Fromme

Einer raucht Kringel in die Luft im Café Weidinger in Wien. Vor allem Männer sitzen hier, es ist 14 Uhr, draußen röhren die Autos über den Lerchenfelder Gürtel. Sie rauchen und trinken, die Männer, Verlängerten oder Bier, und sie sehen in den holzvertäfelten Raum mit den dichten Gardinen vor den Fenstern, als dächten sie angestrengt nach. Über sich, das Leben, die Welt da draußen. Vielleicht dösen sie aber auch nur. Von einem Garderobenständer aus den Fünfzigerjahren verdeckt, sitzt Voodoo Jürgens, raucht in die Gulaschsuppe vor ihm auf dem Tisch und sagt ein lang gezogenes "Naaaa", das hinten abhebt und klingt, als würde man einer Katze fest auf den Schwanz treten.

Ach, wieder dieses geronnene Klischee vom Kaffeehaus, wenn außerhalb von Österreich die Rede ist von Wien. Vom Schmäh, vom Rauchen. Gleich geht sicher wieder das Gerede vom Tod los, von der Lust der Wiener am Morbiden.

Voodoo Jürgens blickt nachdenklich, amüsiert fast, und sagt: "Und wenn es nun einmal so ist?"

Der Mann hat in Wien als Friedhofsgärtner gearbeitet, als die Musik zum Leben noch nichts abwarf. Er pflegte Gräber, nachdem er seine Konditorlehre beim Hofzuckerbäcker Demel geschmissen hat, und sein Studium auch. Er sang leidlich erfolgreich bei der Britpopband Die Eternias, auf Englisch, dem man das Österreichische immer deutlich anhörte. Irgendwann wechselte er zur Liedermacherei, zum Dialekt, und im vergangenen Jahr landete er den ersten Hit: "Heite grob ma Tote aus".

Wäre man auf der Suche nach einer Verkörperung eines der vielen Wiener Lebensgefühle, man würde womöglich haltmachen, hier an dieser Sitzkoje im Weidinger.

Mit seiner klassischen Strizzi-Uniform passt der 33-Jährige perfekt in das Lokal, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Er trägt ein auffälliges Musterhemd zur Anzughose unter einer braunen Lederjacke, dazu Panzerkette und Schlüpfschuhe und eine blonde Fransenfrisur mit Nackenmatte. Man möchte ihm sogleich zum Namen gratulieren. Selbst wer sich nicht für österreichische Musik interessiert, bleibt da hängen.

Voodoo Jürgens. Ein Künstlername aus seiner alten Band, "ein Spaß", sagt er. Auf seiner CD ist der echte Udo Jürgens zu sehen, auch ein Österreicher, mit drübergepinselter Voodoo-Bemalung. Hat sich dessen Familie gemeldet? Könnte ja sein, dass sie die Verballhornung des großen Sängers nicht lustig findet. Nein, sagt Voodoo Jürgens, der als David Öllerer in Tulln bei Wien zur Welt kam, ist doch harmlos. Er sei ja nicht der Einzige, der am Namen dreht. Es gibt noch Jugo Ürdens, einen Rapper mit mazedonischen Wurzeln. Man sollte vielleicht mal zusammen auftreten.

"Es ist nicht meine Aufgabe, meine Lieder so einfach wie möglich zu machen, dass wirklich jeder es versteht", sagt Voodoo Jürgens. (Foto: Wolfgang Bohusch/PR)

Wer Voodoo Jürgens verstehen will, was nicht immer einfach ist, sagen selbst Wiener, muss ihn hören. Sein Debüt "Ansa Woar" zum Beispiel, was so viel wie Einserware oder erste Ware heißt, im vergangenen Herbst erschienen ist und in Österreich sogleich auf Platz eins landete.

Er ist ständig auf Tour - auch dort, wo man ihn nicht versteht. Sogar in London

Noch besser: Man sieht ihn live. Die Chance ist groß, er ist ständig auf Tour, nicht nur in Österreich und Oberbayern, wo man ihn einigermaßen versteht. Voodoo Jürgens tritt auch in Berlin auf, als Wiedergänger, die letzten Male waren seine Konzerte ausverkauft. Chemnitz, Böblingen, Hamburg stehen auf dem Plan und erstaunlicherweise ein Jazzclub in London.

An diesem Abend im Januar gibt er ein Konzert in einer fahrenden Straßenbahn in Wien. Bim heißt sie hier, was vielen auch deshalb präsent ist, weil kürzlich eine unbesetzte Bim entführt wurde, als der Fahrer die Notdurft verrichtete. Voodoo Jürgens sitzt also in solch einer Tram vorne hinter Fahrer Herbert auf einem Hocker, er trägt einen dunkelgrauen Ludenanzug mit sehr viel Spiel im Bein. Seine Akustikgitarre hat er an den Verstärker gestöpselt, an den Haltestangen tragen festgekreppte Boxen die Musik durch die Wagen. Voodoo singt, Herbert fährt. Die Tram bimmelt, zweimal geht es um den Ring samt Schlenker zum Prater.

Die Bahn zuckelt, das Publikum, von einer Wiener Vorstadtbrauerei mit Gratisbier für die Tram-Session ausgestattet, johlt, schwitzt, verlangt nach Liedern, ruft: "Tulln", "Tote", "Gitti", "Gscheida Bua". Der Musiker vorne lacht, singt mit geschlossenen Augen, in der Bahn wird es immer stiller, atmosphärisch dichtet Voodoo Jürgens den Zug nach außen ab, irgendwann vergisst man den absurden Ort für ein Konzert. Voodoo Jürgens kann das, Konzentration einfordern, einfach indem er unbeirrt singt.

Der Musiker singt von Trinkern, Kleinkriminellen und "Hansi dem Boxer". Sein Vater war im Knast

Er singt von seiner Kindheit in Tulln, über der ein Geruch lag "zwischen Zuckerbude und Kadaverfabrik", und wo der "Stadtpark-Fredl" Kindern 500 Schilling gab, wenn sie ihm beim Wichsen zuschauten. Er besingt den einstigen Profiboxer Hansi Orsolics, der soff, knastete und mit dem Lied "Mei potschertes Leb'n" einen eigenwilligen Hit landete. Und er singt vom Café Fesch, einer inzwischen geschlossenen Milieuschänke im 15. Bezirk, in der er das maßgebliche Inventar seiner Lieder traf: die Gescheiterten, die Kleinkriminellen und die Trunksüchtigen. Alles, was er singt, habe er erlebt, sagt der Musiker. Oder erzählt bekommen von denen, über die er singt. Gitti, Django, Willi. Bei denen geht es immer hoch her. Das "Gnack" will einer dem anderen brechen, viel geht es ums "Hamdrahen", ums Umbringen halt.

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In der Straßenbahn, einer von den alten mit den Holzsitzen, klebt oben an der Verschalung ein Hinweis, dass "Personen, die geladene Schusswaffen mit sich führen", nicht mitgenommen werden können.

Musiker machen das zuweilen, sich den Geruch der Straße ankleben, den Schmutz unter den Nägeln kultivieren, damit es relevanter klingt, was sie machen. Beliebt im Hip-Hop und im Punk, kommt gut an, bei den Gymnasiasten, Akademikern, Buchhaltern, die auf solche Konzerte gehen, um sich wohlig der eigenen Sattheit zu vergewissern. Voodoo Jürgens muss sich nichts ausdenken. Die Ehe seiner Eltern war früh zerrüttet, der Vater, ein Mechaniker, war im Gefängnis, als sein Sohn noch ein Kind war, warum auch immer. Der Bub fliegt nach der abgebrochenen Lehre zu Hause raus, geht in die Spelunken, in der Zuhälter und Preisboxer verkehren. Er erzählt ihnen seine Geschichte, und sie erzählen ihm ihre. "Vorstadt-Strizzi" nennen manche ihn. "Das klingt wie eine Rolle", sagt Voodoo Jürgens, und dass er das Etikett gar nicht mag. "Es ist einfach mein Leben."

Es lohnt sich, Voodoo Jürgens zuzuhören, gerade weil er echt ist, weil der Dialekt keine Pose ist, sondern ein Bedürfnis, was man schnell spürt, auch wenn man nicht jedes Wort versteht. Da stellt einer sein Leben aus, auch auf die Gefahr hin, dass ihn viele Menschen merkwürdig finden. Mit einem Gitarrenspiel, das nicht immer perfekt ist. Mit einer Stimme, die warm und zart sein kann, aber zuweilen auch nervig. Mit einer Haltung, mit der einer unter den normalen Gesetzen des Musikmarktes nicht viel werden kann. Geschmeidig ist er nicht. Fragt man bei seinem Manager nach einen Termin mit dem Musiker, sagt er: "Kann ich nicht sagen, ob der mit Ihnen sprechen will, das entscheidet er selber."

"Es klangat a bochn, wenn i's auf Englisch singan tat". Klänge doch peinlich

Im Lied "In deiner Nähe" singt der Wahlwiener: "Jo es klangat a bochn wenn i's auf Englisch singan tat oder auf Italienisch mit Amore einedrah." Es klänge peinlich, wenn ich auf Englisch singen würde, oder auf Italienisch von Amore erzählen täte. So ungefähr müsste man die Zeilen übersetzen, aber besser man lässt es einfach so stehen.

Den Dialekt, sagt der Sänger im Café, habe er schon immer geschätzt, und auch als Tullner habe er schon das Wienerische gekannt, das der Arbeiterbezirke. "Aber wirkt es nicht albern, wenn ich mit etwas über zwanzig vom Leben singe?" Also machte er erst zehn Jahre lang englische Musik, lernte Pete Doherty von den Libertines kennen, irgendwann spielte er auf dessen Wunsch als seine Vorband, zum Entsetzen der Veranstalter, die sich nicht zwingend einen zauseligen Wiener Bänkelsänger wünschten. Der Auftritt machte ihn ebenso bekannt wie jener als Support von Wanda, einer der erfolgreichsten Bands in Österreich. Mit etwas über dreißig Jahren singt Voodoo Jürgens also vom Leben, von den Höhen, mehr noch von den Tiefen. Man weiß nie genau, was autobiografisch ist, was miterlebt und was erfunden. Aber das macht seine Kunst aus, welche vom Vermuten der Zuhörer lebt, wie das abseitige, alte Wien ausgesehen haben könnte.

Voodoo Jürgens singt nach Art der Liedermacher und Kabarettisten, mit Hintersinn und Humor, orientiert sich am jungen Dandy André Heller, als der in den Sechziger- und Siebzigerjahren seine Lyrik in Chansons goss und mit Helmut Qualtinger finstere Wienerlieder aufnahm. Und das soll es dann auch sein, sagt Voodoo Jürgens. "Es braucht den Rattenschwanz nicht, um in der Sprache zu singen, in der man aufgewachsen ist." Der Rattenschwanz ist der Film, der sofort abläuft, wenn einer im Dialekt singt. Georg Danzer, Arik Brauer und natürlich Georg Kreisler, der Taubenvergifter. Die großen Namen der Wiener Liedermacherei, die Voodoo Jürgens schmeicheln, ihn aber ebenso einengen, wie er sagt. Und immer: Wanda. Die machen sehr erfolgreich Popmusik mit Rockanleihen im Dialekt, es geht um Amore und Bussi, Menschen in vollen Stadien hören sie. Jeder, der in Österreich Musik mit alternativem Einschlag macht, wird an ihnen und ihrem sogenannten neuen Austropop gemessen.

Voodoo Jürgens spielt fast jede Woche, in der Heimat und anderswo. Hier auf dem Popfest in Wien im Sommer 2016. (Foto: Hans Punz/APA/dpa)

Ist er sonst großzügig bei Klischees zu seiner Heimat, fordert er bei seiner Musik Genauigkeit ein: "Ich bin Liedermacher, Bänkelsänger vielleicht." Sicher sei er nicht: Popmusiker. Noch weniger: Austropopper. Entkommen kann er dem Etikett trotzdem nicht, schließlich ist er bei Stefan Redelsteiner unter Vertrag. Der gilt als Pate der neuen österreichischen Bands, managt Wanda und den Nino aus Wien, bringt sie in die Rotation beim stilprägenden Jugendradiosender FM4, beschert ihnen lukrative Plattenverträge. Wanda zum Beispiel ist bei Universal unter Vertrag, und Voodoo Jürgens' nächstes Album wird wohl auch nicht mehr beim kleinen Lotterlabel erscheinen. Mitglied der illustren Austropopfamilie des Mainstream zu sein mag vielleicht nerven. Aber lukrativ ist es auch.

Ob auch Voodoo Jürgens den großen kommerziellen Erfolg haben wird? Wer seine Musik hört, kann nachvollziehen, dass es durchaus seine Berechtigung hat, wenn der Sänger am Ende seines Albums in dem Sprechlied "Meine Damen, meine Herren" darauf hinweist, dass er jetzt aufhört, weil er seine Zuhörer nicht weiter quälen möchte. Seine Lieder sind nicht zum Nebenbeihören, dazu ist seine Stimme bisweilen zu enervierend, sind die Texte zu sperrig. Sie sind vertonte Poeme eines oftmals tristen Alltags. "Das Tragische gibt mehr her", sagt der Musiker.

Voodoo Jürgens spricht mehr, als dass er singt, und mit seiner Wandergitarre im Anschlag erinnert das manchmal an Bob Dylan und Tom Waits, auch was die Huldigung des Wortes angeht. "Der Text ist für mich genauso, wenn nicht sogar noch wichtiger als die Musik", sagt Voodoo Jürgens. Darum müsse die Instrumentierung sparsam sein, sagt er, reduziertes Schlagzeug, auch sonst kein Firlefanz, idealerweise nur Gesang und seine Gitarre.

Der Text ist sperrig, der Gesang strengt oft an. "Wanda"-Schalala ist das nicht

Er schraubt an Wörtern, macht sich auf die Suche nach alten Dialektausdrücken, sammelt sie in einem Büchlein, das er stets mit sich führt. "Selbst in Wien verstehen mich nicht alle", sagt er. Manchmal erklärt er bei Konzerten vor den Liedern deren Bedeutung, aber eigentlich will er weg davon. "Es muss ja nicht alles schon daliegen. Wer sich damit auseinandersetzen will, kann es ja tun. Es ist auch nicht meine Aufgabe, es so einfach wie möglich zu machen, dass es jeder versteht." Für Konzerte im Ausland überlegt er sich gleichwohl, ein "Heftl" mit Übersetzungen zu drucken. In Bielefeld, sagt er, habe er einmal in sehr ahnungslose Gesichter geblickt. "Wenn man gar nicht versteht, worum es bei mir geht, ist das auch schade."

Die Tram setzt zur letzten Runde an, in den Wagen läuft das Kondenswasser die Scheiben herunter. Das Bier ist alle, die ersten Lautsprecher sind von den Haltestangen gefallen. Voodoo Jürgens singt, die Augen geschlossen, in der Bahn ist es still: "Du hängst an seine Lippn, I glaubat erm ka Wurt". Endstation. Servus. Alle aussteigen. Die Bim spuckt die Menschen in den Nebel. Voodoo Jürgens setzt sich eine unförmige braune Fellmütze mit Ohrenklappen auf und entschwindet in die Nacht.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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