Umgang mit Vergewaltigungsopfern:Nicht so traumatisiert wie gewünscht

Giorgio Armani Speaks At FIT

Samantha Geimer bei der Premiere von "Roman Polanski: Wanted And Desired" im Jahr 2008 in New York.

(Foto: Getty Images/AFP)

Samantha Geimers Buch "The Girl" zeigt, wie schwer es für Frauen nach einer Vergewaltigung ist, sich dem lebenslangen Trauma zu entziehen. Denn die Gesellschaft kennt für sie nur eine tolerierbare Haltung: die Opferrolle.

Von Susan Vahabzadeh

Vor ziemlich genau fünfundzwanzig Jahren, im Oktober 1988, kam in den USA der Film "Angeklagt" mit Jodie Foster ins Kino. Dieser Filmstart war damals eine aufsehenerregende Sache - zum einen, weil Jodie Fosters Auftritt, sie spielte eine junge Frau, die von mehreren Männern vergewaltigt wurde, ziemlich einhellig als grandios wahrgenommen wurde und sie im Frühjahr darauf einen Oscar dafür bekam.

Zum anderen, weil dieser Film, inszeniert von Jonathan Kaplan und geschrieben von John Topor, für sich genommen eine Besonderheit war. Das Kino kannte zuvor schon Vergewaltigungs-Szenen, und im Jahrzehnt darauf sollte es einige geben, die über jene in "Angeklagt" in Länge, Brutalität und Explizitheit weit hinaus gingen. Aber einen Mainstream-Film darüber, wie es ist, eine Vergewaltigung anzuzeigen und anschließend einen Prozess durchzustehen, in dem es weitgehend um die Frage geht, ob die Vergewaltigte nicht eigentlich selbst schuld sei: den gab es nicht.

Fünfundzwanzig Jahre sind nach heutigen Maßstäben eine Ewigkeit, und die Welt hat sich seither in vielerlei Hinsicht sehr verändert. Es kommen immer noch Vergewaltigungen im Kino vor, sie sind aber nicht mehr - das war in den Neunzigern mal eine Weile anders - Thema eines ganzen Films. Ist das so, weil die Probleme, die Jonathan Kaplan damals zeigen wollte, nicht mehr existieren? In "Angeklagt", basierend auf einem realen Fall, ging es darum, dass sich Sarah Tobias, die von Foster gespielte Frau, verteidigen muss - selber schuld, so der Tenor. Dass das so heute keiner mehr laut sagen würde, heißt nicht, dass keiner mehr so denkt.

Was aus dieser Schuld resultiert, ist eine lebenslange Bestrafung: Als "Angeklagt" ins Kino kam, sagte Jodie Foster, die Verurteilung am Ende des Films sei kein Happy-End, denn Sarah Tobias müsse nun ihre Heimatstadt verlassen - für immer mit einem Makel behaftet. Und daran hat sich nicht viel geändert. Wer das bezweifelt, muss nur das Buch lesen, das Samantha Geimer geschrieben hat, jene Frau, die 1977 von Roman Polanski missbraucht wurde und ihn seither nicht los wird, oder weite Teile der Berichterstattung darüber.

Es hat sich vielleicht nur die Form des Makels verändert, nicht aber, dass es ein Makel bleibt. Geimers "The Girl" in diesen Monat auf Deutsch erschienen ist ein sehr merkwürdiges Buch. Warum sie es geschrieben hat, ist klar: Es ist ziemlich jede Sichtweise diskutiert worden, nur nicht die einzige, die zählt: ihre. Und so ist sie nun in die Zwickmühle geraten, selbst beschreiben zu müssen, was sie eigentlich nicht öffentlich diskutieren möchte. Das Irritierendste an diesem Buch ist, dass es eigentlich alles andere als eine Empfehlung ist, eine Vergewaltigung anzuzeigen.

Es geht zunächst einmal um die Tat selbst, vor allem aber darum, was der Prozess, bis heute ein schwebender Prozess, für sie bedeutet hat und immer noch bedeutet. Und um die permanente Berichterstattung über den Fall. Samantha Geimer schreibt tatsächlich, wenn sie wählen müsste, würde sie lieber die Vergewaltigung als die Aussage vor der Grand Jury noch einmal durchmachen wollen. Geimers Fall ist ein extremer - weil sie das Pech hatte, von einem Prominenten vergewaltigt zu werden und dann einem Richter in die Hände zu fallen, den das Verfolgen Prominenter in einen Machtrausch versetzte. Was sie denkt, gilt dem zuständigen kalifornischen Gericht aber noch immer nichts; und sie muss weiterhin dafür kämpfen, die Definitionshoheit über sich selbst zurückzuerobern.

Geimer wiederholt im Buch mehrfach, was sie seit Jahren sagt: dass sie die Opferrolle verweigert, die man ihr zugewiesen hat und keineswegs ihr ganzes Leben lang traumatisiert war, und, Danke der Nachfrage!, ihr weiteres Sexualleben keineswegs beeinträchtigt gewesen sei. Sie hat den Eindruck, sich dafür verteidigen zu müssen - und ganz falsch scheint dieser Eindruck nicht zu sein. Der Stern beispielsweise hat seine Geschichte zum Erscheinen des Buches in den USA im September mit der Überschrift "Das Opfer" versehen, obwohl im Text darunter sehr wohl steht , "es käme einem nicht in den Sinn, sie ein Opfer zu nennen". Woher kommt dieser Wille, ihr ein Label zu verpassen, gegen das sie sich wehrt? Und wenn man sie auch als Sonderfall einstuft: Würde man auch bei jemandem, der entführt wurde oder überfallen und hinterher sagt, es gehe ihm gut, würde man sich so über die Weigerung hinwegsetzen, als Opfer gesehen zu werden?

Vergewaltigung - der Preis für die Freiheit

Anfang der Neunziger versuchte Camille Paglia, vor allem in "Sex, Art and American Culture" eine Debatte anzuzetteln über den Umgang mit Vergewaltigung, und warf dann, mit mehr Sinn für Provokation als Verstand, Sätze wie diesen in den Ring: "Wenn du vergewaltigt wirst" steht da, "und in einer dunklen Gasse zusammengeschlagen, dann ist das okay. Das war Teil des Risikos der Freiheit, das ist Teil dessen, was wir als Frauen verlangt haben. Nimm es an! Rappel dich hoch, klopf dich ab und marschier weiter!"

Dahinter steckt eine Vorstellung von Männern, welche die meisten eigentlich als beleidigend hätten empfinden müssten - in Paglias Weltbild ist der Mann an sich ein brutales Biest, ein unbelehrbarer Täter. Es arbeiteten sich aber fast ausschließlich Feministinnen an Paglias kruden Thesen ab. Ihre Das-gehört-halt-dazu-Haltung war radikal und auch in ihrer ausführlichen Erklärung eine bedingungslose Unterwerfung, ohne dass Paglia dies je zu kapieren schien. Darin steckt dann auch wieder nur eine Schuldzuweisung an die Frau - selber schuld, wenn du hinterher traumatisiert bist, eigentlich sogar: wenn du überhaupt angegriffen wirst.

Umso überraschender ist es, dass die französische Autorin Virginie Despentes, in ihrem Buch "King Kong Théorie", das 2006 in Frankreich erschien, versucht, mit diesen Thesen irgendwie umzugehen. Aus einer sehr persönlichen Sicht, zumindest Despentes' Ausgangspunkt ist verständlich: Sie war selbst Vergewaltigungsopfer, wollte sich mit der Rolle, die ihr dann zugewiesen wurde, nicht abfinden, und las dann die Veröffentlichung von Paglias Text in einem Magazin. Paglia, schreibt sie da, "war die erste, die die Vergewaltigung vom absoluten Alptraum löste."

Despentes hat 2000 von sich Reden gemacht, mit einem Film: "Baise-moi", in dem es auch um Vergewaltigung geht, sehr explizit. Vor allem der Teil wurde kontrovers aufgenommen: Der Film handelte auch von Gegengewalt als Antwort. Die Weigerung der Figuren, traumatisiert zu sein, war nicht annähernd so nachvollziehbar wie das, was Despentes dazu in "King Kong" schreibt: "Nach einer Vergewaltigung ist die einzige tolerierte Haltung, die Gewalt gegen sich selbst zu richten. Zwanzig Kilo zunehmen beispielsweise. Sich selbst vom sexuellen Markt zurückziehen, denn man ist ja verdorben, muss das eigene Begehren unterschlagen. In Frankreich bringt man die Frauen nicht um, denen das passiert ist, aber man erwartet von ihnen den Anstand, sich gefälligst selbst als beschädigte Ware anzuzeigen"

Despentes empfand für sich selbst, dass sie sich einem Verhaltenskodex zu unterwerfen hatte, der nicht wesentlich besser ist als lebenslange Scham, oder, genaugenommen: Nur eine andere Variante davon. Unsere ganze westliche Kultur, findet Despentes, erzieht Frauen dazu, sich nicht zu wehren, gleichermaßen aber die Vergewaltigung zum ultimativen Schrecken zu erklären, den eine Frau durchleben kann: ein gewolltes Mittel der Unterdrückung. Mit Paglias schlichter Akzeptanz hat das nichts zu tun, nicht die Forderung nach Gewaltbereitschaft als letztes Mittel, und vor allem nicht ihre Einschätzung, sich "als beschädigte Ware" zu fühlen: Die dürfte es in einer Gesellschaft, die Frauen dazu ermutigt, sich zu wehren - und zwar nicht mit Gewalt, sondern mit den Mitteln des Rechtstaats - eigentlich nicht geben: Das wäre dann, ein Vierteljahrhundert später, immer noch die selbe Ohnmacht, mit der sich auch Fosters Sarah Tobias in "Angeklagt" herumschlagen musste.

Auch bei Geimer geht es dann wohl letztlich um ihren Versuch, die Machtverhältnisse zu verkehren: Sie betreibt in ihrem Bericht eine Relativierung, die bei Vergewaltigungen verboten ist - "er war nicht mal grob", es war keine unüberwindliche Erfahrung, statt dessen, man schluckt dann beim Lesen ein wenig, ist irgendwann vom "armen Roman" die Rede, und von dessen eigenen Traumata, vom Holocaust und dem Mord an seiner Frau Sharon Tate. Mitleid muss man sich leisten können, vor allem, wenn es ein wenig von oben herab kommt.

Selbstbestimmung schließt die Definitionshoheit mit ein, irgendwas stimmt nicht, solange das so schwierig ist: Dann wäre es für eine Frau am Ende, 25 Jahre nach "Angeklagt", immer noch das klügste, eine Vergewaltigung nur anzuzeigen, wenn sie ganz sicher sein kann, sie trotzdem geheimhalten zu können. Geheimhaltung wird, in Zeiten der allgegenwärtigen, unsicheren Datenflutung immer schwieriger. Es mag abwegig sein, wenn jemand wie Virginie Despentes das Traumatisiertsein ausmerzen will. Es wäre vor allem wichtig, den Makel für Null und nichtig zu erklären. Alles andere befördert eine Kultur des Schweigens.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: