Sinn und Unsinn:Dschihad-Pop

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Wenn Jugendliche sich radikalisieren, spielt islamistische Musik oft eine größere Rolle als ideologische Schriften.

Von Ronen Steinke

Eine elegische arabische Männerstimme führt den Chor an. Man hört keine Instrumente dazu, keinen Refrain, nur dieses fadenfeine, aller Verzweiflung trotzende Klagelied:

" Ghu-ra-baaa", so geht es die Notenleiter hinauf, "wir sind Fremde, verneigen uns vor niemandem außer Gott."

" Ghuraba", so geht es die Notenleiter hinunter, "wir sind Fremde, mit diesem Wahlspruch müssen wir uns abfinden."

Auf Arabisch reimt sich das, aber mehr noch, die Reime rollen im klassischsten aller orientalischen Versmaße über die Lippen des Sängers - im dimetrischen Ramal, einem Rhythmus, in dem schon der Perser Hafis dichtete. Es ist eine Verneigung vor Jahrhunderten der Hochkultur, ein im Original durchaus fein gestricktes Gedicht. "Ghuraba, wenn du nach uns fragst, so sagen wir: Uns kümmern keine Tyrannen."

Behnam Said, 1982 als Sohn eines afghanischen Vaters in Hamburg geboren, hat diese traurige Melodie schon unendlich oft gehört, sagt er, in der Küche, beim Autofahren, in allen Varianten: Das Lied Ghuraba ("Fremde") ist so etwas wie ein Evergreen der islamistischen Musik. Ein Song, der sich seit den 60er-Jahren "wie Feuer durch die Spreu" ausgebreitet hat, so heißt es in einem islamistischen Internet-Forum. Der Text des Stücks spielt an auf eine berühmte Stelle in der muslimischen Überlieferung, in den Hadithen: "Der Islam begann als etwas Fremdes und wird als Fremdes zurückkehren, so wie er begann. Und die Seligkeit gehört den Fremden." Dieser Text kann auch etwas Tröstendes haben für muslimische Jugendliche in Europa, die sich ausgegrenzt oder abgelehnt fühlen. Das, worunter sie zuvor gelitten haben - nicht dazuzugehören - wird hier dichterisch umgekehrt in ein Gefühl der Überlegenheit und des Auserwähltseins.

Die Terrormiliz IS unterlegt ihre Video-Clips oft mit Nashids, religiösen Songs

Es ist ein Lied, das schon islamistische Bombenbauer bei der Arbeit gesungen haben sollen. Ein Lied von der Sorte, wie es auch die Mitglieder der sogenannten Frankfurter Zelle, die im Jahr 2000 einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Straßburg und eventuell auch auf eine Synagoge geplant hatten, stets im Auto hörten. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterlegt ihre Videos oft mit solchen religiösen Liedern, sogenannten Nashids. Über Youtube und soziale Netzwerke werden sie millionenfach geteilt. Dschihadisten hören sie, um sich aufzuheizen, einzustimmen, bestätigt zu fühlen.

Und Behnam Said aus Hamburg, 34, heute Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz und somit auch von Berufs wegen scharfer Gegner der Extremisten? Er sagt über ihre Musik: "ergreifend".

Warum sollte man auch nicht aussprechen, dass die salafistischen Seelenfänger, die solche Musik herstellen, oft klüger sind als ihre Anhänger - dass sie es verstehen, zu dichten und ihre Propaganda mit künstlerischen Mitteln zu versüßen? Gerade das macht sie so gefährlich, glaubt Said, gerade das macht einen Teil ihrer so verhängnisvollen Anziehungskraft auf Jugendliche aus. Said hat gerade ein Buch darüber veröffentlicht, "Hymnen des Jihads" (Ergon-Verlag). Diese Lieder seien keine dröhnenden Schlachtengesänge, betont er. Sondern Stücke, die Orientierungslose umgarnen und einfangen sollen. Dass sie oft gut sind, ist genau das Problem.

"Wir sind Fremde, verneigen uns vor niemandem außer Gott", so lautet die erste Zeile eines populären islamistischen Liedes. Radikale Salafisten hören diese Gesänge, um sich aufzuheizen, einzustimmen und bestätigt zu fühlen. Illustration: Claudia Klein (Foto: N/A)

Betrachtet man die Leute, die in Europa gewalttätig werden - und man mag auch an den Würzburger Axt-Attentäter denken, oder an den Amokfahrer von Nizza -, dann kann man sich bei den meisten kaum vorstellen, dass sie 1500 Seiten lange politische Traktate studiert haben. Öfter zeigt sich hinterher, dass sie eher emotional abgeholt wurden. Über die inoffizielle Hymne des IS, einen Nashid mit dem Titel Ummati qad laha fadschrun ("Meine Gemeinde, die Morgendämmerung ist angebrochen"), sagt Said: "eingängig, fast hypnotisch". Man findet das Stück leicht im Netz, es hat einen pulsierenden Rhythmus. Als Said das Lied zum ersten Mal hörte, sei es ihm zwei Wochen lang nicht aus dem Kopf gegangen, sagt er, "es hat mich anders berührt als die übrigen Nashids. Ich saß in der U-Bahn und plötzlich hatte ich es im Ohr."

Traditionell interessieren sich Sicherheitsbehörden für harte Fakten - für die Ideologie der Islamisten, für ihre Strategien, theologischen Argumente, Propaganda-Erklärungen, Bündnisse. Es ist noch relativ neu, dass sie auch beginnen, sich für deren Musik zu interessieren. Dabei werben Terrorismus-Forscher wie der Norweger Thomas Hegghammer schon länger dafür. Schließlich haben die jungen "foreign fighters", die sich, im Schnelldurchlauf radikalisiert, nach Syrien locken lassen, oft herzlich wenig Ahnung von Ideologie. Ihre Kenntnis auch der Religion beschränkt sich oft auf Floskeln. Bei Stil, Musik, den Subkultur-Codes, die ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit verheißen, ist das aber anders. Je besser man diese kulturellen Lockmittel versteht, desto eher kann der Rechtsstaat ihnen etwas entgegensetzen.

Seine große Anziehungskraft konnte der Dschihadismus erst mit der Popkultur entfalten

Keine Pop-Harmonien, keine Instrumente: Das sind die Regeln dieses besonderen Musikgenres. Die Gattung der Nashids folgt dem Strickmuster klassischer muslimischer Rezitation, die als hohe Kunst gilt. Es geht in den Texten um Kameraden, die man verloren hat, um Freundschaft über den Tod hinaus, um Leid, das man gemeinsam übersteht. Motive, die man auch aus westlichen Soldatenliedern kennt - aber verpackt in der sinnlichen Sprache des Koran, der Bilderwelt arabischer Fabeln. "Wie eine singende Nachtigall, die zu ihrem Singen und Pfeifen zurückgekehrt ist": So heißt es im Nashid über einen gefallenen Kämpfer. "Er liebte kein zartes, kleines Mädchen, welches seine Wange kannte. Sondern er liebte die Eiseskälte des Krieges, welche seinen Ruhm hervorbrachte."

Die Komponisten müssen alle Anklänge an zeitgenössische Chartmusik meiden, sei sie westlich oder orientalisch. Das ist die Bedingung, welche die radikalen Auftraggeber ihnen stellen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren griffen Nashid-Künstler noch hin und wieder zu Handtrommeln oder anderen Instrumenten. Das ist inzwischen vorbei. Das war der Preis, den die Ideologen verlangten, als die ersten ihrer Anhänger sich für diese Musikrichtung begeisterten: Absolut puristisch müsse der Klang sein, absolut reduziert.

Dass Salafisten, also jene Ultrakonservativen, die sich in die Kinderjahre des Islam zurückträumen, überhaupt Musik akzeptieren, ist schon überraschend genug. Die Taliban verbrennen Musikkassetten; die IS-Milizionäre verbieten, wo immer sie in einer irakischen oder syrischen Stadt ihre schwarze Flagge hissen, das Tanzen. Sie verfechten eigentlich ein Musikverbot - produzieren aber gleichzeitig selbst Lieder, ein Zugeständnis an ihre eigene Propaganda-Abteilung. "Diese Typen sind nicht von der kompromissbereiten Sorte", schreibt der Islamismus-Forscher Hegghammer, "also müssen diese neuen Elemente ihnen wichtig gewesen sein." Seine große Anziehungskraft - auch international - habe der moderne Dschihadismus erst entfalten können, als er sich für solche Elemente der Popkultur öffnete, so beschreibt es Behnam Said.

Es seien zwei Ströme, die im heutigen Dschihadismus zusammenfließen. "Der erste Strom ist der religiöse Purismus", sagt Said. "Der zweite ist der kulturelle Pragmatismus, den die Muslimbrüder mit hineinbrachten." Jene Populisten also, die einst in Ägypten antraten, um aus den Moscheen heraus die Diktatur zu bekämpfen: Sie setzten darauf, die Massen anzusprechen, sie waren deshalb liberaler gegenüber Kunst und Musik. Als sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren an den arabischen Golf vertrieben wurden, nach Saudi-Arabien oder Katar, da brachten sie ihre hemdsärmelige Einstellung zu Musik und Film dort den Ultrakonservativen nahe - als Mittel, ihre Botschaft massentauglich zu verpacken. "Ein guter Nashid", so erklärte der in den USA geborene Al-Qaida-Propagandist Anwar al-Awlaki 2010 in einem Video, "kann sich so weit verbreiten, dass er ein Publikum erreicht, das man mit einer Vorlesung oder einem Buch nicht erreichen würde." Noch in den 80er-Jahren gab es kaum radikalislamische Musik. Heute, in den 2010er-Jahren, boomt das Genre.

Zeitweise gab es die Idee, auf Hip-Hop zu setzen. Islamisten in Europa versuchten, Jugendliche anzusprechen, indem sie sich mit Gangster-Rappern zusammentaten, vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland. Daraus geworden ist aber nichts: Der im Hip-Hop propagierte Lebensstil, das Streben nach weltlichem Besitz, war dann doch zu viel für die religiösen Ultras. Die Brücke zwischen beiden Subkulturen ließ sich nicht schlagen, ohne dass man vor der eigenen Anhängerschaft unglaubwürdig würde. Heute gibt es noch immer Rapper, die mit Dschihad-Symbolik provozieren. "Ihr fetten Schweine, ich hab eure Airline gekidnappt", rappt etwa Bushido herausfordernd in seinem Lied "11. September".

Der Frankfurter Rapper Sadiq springt im Video zu seinem Song "Charlie Hebdo" vermummt aus einem Minibus, Kalaschnikow im Anschlag. Seine im April erschienene neue CD lässt aber auch erahnen, weshalb er und andere "von der islamistischen Szene nicht ganz ernst genommen" werden, wie der Verfassungsschützer Behnam Said sagt. Auf dem CD-Cover zeigt sich der Rapper im Stil eines Festnahme-Fotos, hinter ihm an der Wand hängt ein Metermaß. Warum?, fragt der Journalist eines Youtube-Kanals. Weil ich so oft für klein gehalten werde, antwortet der Rapper. Nun könnten die Fans ja selbst sehen, wie groß er in Wahrheit sei: "1,82 Meter. Und . . . damit ist alles geklärt."

Die salafistischen Ideologen haben dann eher versucht, einzelne Rapper zu sich hinüberzuziehen, sie aus der Hip-Hop-Welt ganz herauszulösen, natürlich in der Hoffnung, dass ihre Fans mitgehen. Der einstige Berliner Gangster-Rapper Deso Dogg etwa wechselte so seinen Künstlernamen und verwandelte sich in Abu Maleeq: Er war über salafistische "Streetworker" wie Abdul Adhimn in Kontakt mit der radikalen Szene gekommen, schildert die Berliner Islamismus-Expertin Claudia Dantschke. Der Rapper hat sich dann zum schlechten Vorbild für jugendliche Dschihad-Touristen machen lassen, er ist nach Syrien gereist, ins Kampfgebiet. Und dort rappt er heute nicht mehr, sondern veröffentlicht - wenn er nicht gerade für tot erklärt wird - Nashids auf Arabisch und Deutsch. "Euer Ende nähert sich, verkrüppelte Soldaten, Augen gingen verloren, Körper ohne Beine, wir wollen euer Blut": Von der Poesie der traditionellen arabischen Vorbilder ist das allerdings weit entfernt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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