Sex-Ratgeber:Und heute Nacht machen wir's wieder

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Sex in der Ehe als dauerhaftes Konjunkturprogramm: Warum zwei Bücher in den USA ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit erregen.

Christian Mayer

Wer hätte gedacht, dass man mit dem Thema Sex noch eine solche Aufregung auslösen kann? Dass zwei unbekannte Buchautoren schon vor dem Veröffentlichungstermin die Bestsellerlisten erobern und der New York Times einen voluminösen Bericht wert sind?

Sex-Ratgeber: eine kostenneutrale Lösung vieler Eheprobleme in einer Do-it-yourself-Gesellschaft (Foto: Foto: Random House)

Es muss wohl daran liegen, dass - erstaunlich genug - eine Lücke klafft in der schier unendlichen Reihe von Ratgebern der Abteilung Liebe und Leidenschaft. Charla Mullers Erstlingswerk "365 Nights" und das ebenso autobiographische Buch "Just Do It" von Douglas Brown behandeln den Beischlaf in der Ehe - der Koitus als Konjunkturprogramm.

Beiden Autoren geht es darum, sich aus ihrer selbstverschuldeten Trägheit zu befreien. Das Mittel ist denkbar einfach: Wer will, der kann und der soll auch Sex haben, und das möglichst oft und immer wieder.

Anatomie ist machbar, Herr Nachbar

Ein Jahr lang dauerte der Versuch bei Charla und Brad Muller, zwei konservativen Republikanern aus Charlotte in North Carolina, deren Liebesleben zuvor beinahe eingeschlafen war. Auf immerhin 101 Nächte in Folge brachte es das Ehepaar Douglas und Annie Brown. Und nun müssen beide Autoren ausführlich erklären, wie eine solche Glanzleistung überhaupt möglich ist, wo doch alle Statistiken davon ausgehen, dass die Lust in einer übersexualisierten Gesellschaft rapide sinkt.

Idealerweise arbeitet Brown, 42, als Reporter bei der Denver Post. Er kennt die Spielregeln der Branche und weiß, wie man Sehnsüchte und Phantasien des - überwiegend weiblichen - Publikums bedient. Während Charla Muller behutsam und diskret über ihren ehelichen Neustart berichtet, hat ihr Autorenkollege weniger Hemmungen.

Seine Beschreibung der 101 Nächte ähnelt den detailgetreuen Baseballberichten der US-Medien: Von immer neuen technischen Varianten, von wechselnden Spielorten und Motivationskünsten ist die Rede; und am Ende ging es Douglas Brown wohl allem darum, nicht vor Ende des Projekts vor Müdigkeit in die Knie zu sinken. Mit etwas Ausdauertraining sei Sex in der Ehe eine Selbstverständlichkeit, weil in der Wiederholung der Zwang entfalle, "Leistung bringen zu müssen".

Der geneigte Leser dürfte angesichts des Pensums vielleicht staunen, aber keineswegs verzweifeln: Anatomie ist machbar, Herr Nachbar, lautet die Botschaft der Bücher.

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Sex nach Terminplan

Charla Muller, die sich zunehmend als gestresste und lustlose Hausfrau fühlte, machte ihrem skeptischen Gatten das Liebesjahr an seinem 40. Geburtstag zum "Geschenk" - eine bibeltreuere Bezeichnung für den ehelich sanktionierten Beischlaf kann man kaum finden.

Noch haben die wenigsten, die im Internet eifrig über die Bücher diskutieren, auch nur eine einzige Zeile davon gelesen. Dennoch scheint es bereits Commonsense zu sein, dass den Verfassern etwas Außergewöhnliches gelungen ist - eine pragmatische, noch dazu weitgehend kostenneutrale Lösung vieler Eheprobleme, die in der Do-it-yourself-Gesellschaft, seit Benjamin Franklins Zeiten auf die Selbstheilungskraft des Individuums fixiert, viele Nachahmer finden könnte.

Außerdem liegen die Bücher im Trend: Ein ganzes neues Genre verheißt amerikanischen Lesern, wie man sein Leben in einem Jahr komplett umgestaltet, indem man auf exzessives Shoppen verzichtet, den Fernseher aus der Wohnung wirft und so stressfrei und ayurvedisch lebt wie buddhistische Mönche.

So ganz neu ist die Hauruck-Methode nicht. Dass sich Paare zum Liebesakt verabreden müssen, damit in der Routine einer Ehe überhaupt noch etwas läuft, hält der Schweizer Therapeut Klaus Heer für selbstverständlich. "Sex ist eine Wärmequelle. Wenn man die abschaltet, wird es schnell sehr kalt in einer Beziehung."

Viele Paare täten gut daran, sich bei Spannungen nicht mit Sexentzug zu bestrafen. Vor allem sollten sie nicht darauf warten, bis sich wieder mal eine schöne Gelegenheit ergibt. "Dann wartet man zuweilen bis ins Grab", sagt Heer, der durchaus Sympathien für die Vorgehensweise der beiden Autoren hat.

"Sexualität braucht wie alles im Leben einen Termin: Das machen doch Millionen illegale Paare vor, die sich heimlich verabreden und dann tollen Sex haben."

© SZ vom 18.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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