Schweizer Rechtspopulist:Alles Roger

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Seit einem Jahr sitzt der Rechtspopulist Roger Köppel im Schweizer Parlament. Unterwegs mit einem umstrittenen Mann, der viele deutsche Bewunderer hat.

Von Charlotte Theile

Roger Köppel ist überall. Jetzt gerade ist er in Berlin und schimpft in sein Handy, es geht um Zahlen, Ausländerkriminalität in der Schweiz. Köppel hatte sie vor ein paar Tagen im Gespräch mit Schülern großzügig ausgeschmückt. Davon will er nichts mehr wissen. Minutenlang wiederholt er, was er gesagt habe. Es ist nicht das, woran sich die Schüler erinnern, nicht das, was im Notizblock steht. Köppel wiederholt seine Version noch zweimal, dann stoppt er plötzlich.

Michel Houellebecq, den Köppel zum Interview trifft, will nicht länger warten. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen der Schweizer Rechtspopulist noch als Journalist auftritt. Seit einem Jahr ist er Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Innerhalb kürzester Zeit hat er sich zum wichtigsten Exponenten der schweizerischen Rechten entwickelt. Köppel füllt die Gasthäuser in der Provinz, debattiert im Berner Bundeshaus. Die Rolle passt perfekt.

Köppel als Journalist? Ja, doch, einen Termin gebe es da, sagt seine Assistentin. Das Sommerfest der Weltwoche, der Köppel als Chefredakteur, Verleger und Eigentümer vorsteht. Ende August, eine Terrasse in der Nähe des Zürichsees. Familienfeststimmung. Matthias Matussek ist da, früher Feuilleton-Chef des Spiegel, der, nachdem er die Attentate von Paris auf Facebook mit einem Smiley kommentiert hatte, in deutschen Medien fast nicht mehr vorkommt. Henryk M. Broder und Thilo Sarrazin, zwei Kolumnisten der Weltwoche, haben es nicht geschafft. Dafür ist Jörg Kachelmann erschienen. Sein Outfit für den Abend: rote Hosenträger mit Schweizer Kreuzen. Sepp Blatter trägt Sechstagebart, SVP-Patriarch Christoph Blocher hat seine Ehefrau dabei. Roger Köppel spricht Hochdeutsch. Immer mehr deutsche Autoren schreiben für das Magazin. Sie sind es auch, die Köppel im Blick hat, wenn er seinen Gästen zuruft, heute Abend dürfe man "alles denken" und auch "alles sagen", was man wolle.

Jörg Kachelmann ist auch da. Er trägt rote Hosenträger mit Schweizer Kreuzen

Ein Schlachtruf. Roger Köppel, 51 Jahre alt, bekannt geworden als unkonventioneller Schweizer Magazin-Journalist, Chefredakteur der deutschen Welt, ist heute nicht nur der Kronprinz des alternden SVP-Strategen Christoph Blocher. Er repräsentiert eine Schweiz, die im Ausland als nationalistisch und abgeschottet wahrgenommen wird, vielen Schweizern dagegen als Erfolgsmodell gilt. Weniger Steuern, weniger Ausländer, keine Einmischung aus Brüssel. Beim Sommerfest seiner Weltwoche sind die versammelt, die glauben, dass er schon immer recht gehabt hat. Nicht wenige Gäste wollen an diesem Abend ihre persönliche Köppel-Geschichte zum Besten geben. Ein Journalist, der gerade von der liberalen Neuen Zürcher Zeitung zur Weltwoche wechselt, erzählt, wie Köppel geworben habe, immer wieder angerufen, von der Freiheit der Weltwoche geschwärmt habe, so lange, bis er weich geworden sei. Wenn er jemanden haben will, kann Köppel unerbittlich charmant sein. Wer die Weltwoche verlässt, bekommt das Gegenteil zu spüren. Außenseiter wie er brauchen uneingeschränkte Loyalität.

Ein paar Wochen später. Ein uriges Gasthaus in der Nordostschweiz, fast nur mit dem Auto zu erreichen. Roger Köppel steht vor einem Publikum, das ihm komplett ergeben ist. Etwa hundert Menschen, im Schnitt 60 Jahre alt. Alle hier sind in der SVP, die meisten seit Jahrzehnten. Köppel, offiziell erst seit 2015 Parteimitglied, fordert den Saal auf zu applaudieren. Sie, die SVP-Mitglieder der ersten Stunde, seien dafür verantwortlich, dass das Land bis heute nicht in der EU ist. Das sei nun wirklich "einen Applaus an sich selber wert". Die Menschen klatschen.

Nicht nur in den Schweizer Medien ist Roger Köppel sehr präsent. Auch in deutschen TV-Talkshows ist der Journalist, Verleger und Abgeordnete der rechtskonservativen SVP Dauergast. (Foto: Ennio Leanza/epa/dpa)

Köppel stellt jetzt Fragen, die durchaus als Beleidigung durchgehen könnten: "Wissen Sie, was Rechtsstaat ist?" Antwort: "Dass man sich ans Gesetz hält." Köppel, der hier als intellektueller Quereinsteiger gilt, tritt bewusst bescheiden auf. Kein Anzug. Ein hellblaues Hemd, das am Schluss der Rede Flecken hat. Er sei Neuling in der Politik, betont er immer. Natürlich spricht er Dialekt. Sein Lieblingswort: "Gopfriedstutz", es bedeutet Erstaunen, Empörung, gesunder Menschenverstand, total schweizerisch, ein perfektes Wort. Bei Köppel fällt es etwa dreimal in der Minute, vor allem wenn es um die EU geht.

Wenn es nicht um die EU geht, macht sich Köppel selbst zum Thema. "Voller Einsatz für die Schweiz - ein Jahr in Bundesbern". Dazu gibt es Spaghetti, Bierschinken, Weißwein. Die Säle sind voll, meistens sogar ausverkauft. Immer legt Köppel ein paar Hundert Gratis-Exemplare der Weltwoche aus, immer hat er Zeit für Fragen. Auch abseitige Referate zur Weidewirtschaft, die nicht in einer Frage münden, beantwortet er geduldig. Viele Zuhörer aber richten sich weniger an einen politischen Quereinsteiger als an den rechtskonservativen Kriegsstrategen. "Herr Köppel, wenn wir nach Europa schauen: Schafft die Zeit für oder gegen uns?"

Köppel, der sich in den Wochen nach dem Brexit in einem Zustand völliger Euphorie befunden hat, versucht es in Ruhe. In der EU würden die Menschen spüren, dass es so nicht weitergehe, fängt er an - kurz darauf ist Brüssel eine Ruine, ein angeschossener Tiger, ein Hohn für den gesunden Menschenverstand. Die Zuhörer? Schwanken zwischen Besorgnis und Begeisterung. Köppel fängt sie auf: "Wenn alles zerfällt und zerbröselt um uns herum, ist es wichtig, dass wir stehen bleiben, dass wir unsere direkte Demokratie verteidigen, dass wir unsere Botschaft nach vorne bringen: für die Schweiz!"

Es ist inzwischen etwa 15 Uhr. Tien Köppel und die drei Kinder wollen nach Hause. Karl und Viktor, die wohl noch nicht ganz im Grundschulalter sind, langweilen sich anständig und leise. Anna, zwei Jahre alt, läuft immer wieder nach vorne zu Papa. "Jetzt schauen alle nur noch auf die Kleine", unterbricht sich Köppel und schiebt Anna zurück in Richtung Mami. Dabei hält er Blickkontakt mit dem Publikum.

Rückfahrt in einem schwarzen Geländewagen. Köppel fährt allein, die Familie ist vorgefahren. Auf dem Beifahrersitz ausgedruckte E-Mails. Es ist das Auto eines Mannes, der seiner Frau bei ihrem ersten Treffen gesagt hat, an erster Stelle sei er mit der Weltwoche verheiratet. Köppel schaut auf seine Rolex. Er ist spät dran, die Rede ging länger, ein Freund hat sich zum Besuch angekündigt. "Der Vater meines Großvaters ist nach Ostpreußen ausgewandert. Als sein Sohn nach dem Weltkrieg zurückkam die Schweiz, mit einer deutschen Frau und auf Hochdeutsch sagte, er sei Schweizer. . ." Köppel trommelt auf dem Lenkrad herum. Sicher, das sei nicht einfach gewesen. Köppels Mutter starb, als er 13 war. Als er 18 war, der Vater. Der Junge lebte bei seinem zehn Jahre älteren Bruder, auch die Großeltern kümmerten sich um ihn. Er war der erste in seiner Familie, der Abitur machte und studierte. Frühere Weggefährten sagen, Köppel habe im SVP-Patriarchen Christoph Blocher "den Vater gefunden, den er nie hatte". Vermutlich ist auch das nur ein Versuch, den Mann aus den Talkshows fassbar zu machen.

Um die Jahrtausendwende herum war Köppel "Everybody's Darling", wie er selber sagt: "Selbst meine damaligen Kritiker finden inzwischen gut, was ich damals machte." Heute findet man niemanden, der ein schlechtes Wort über seine Jahre beim Magazin des Tages-Anzeigers verliert. Schneller und mutiger sei mit ihm alles geworden - aber auch: meinungsstärker, provokanter. Es war die Zeit, in der die SVP zur stärksten politischen Kraft der Schweiz wurde. Vor kaum etwas graute es den Redaktionen so wie vor den selbsternannten Volksverstehern. Jenen, die die Welt in Gut und Böse teilen, ungeniert mit Angst, Unsicherheit und Unwissenheit ihrer Zuhörer jonglieren. Die etablierten Medien schrieben, zunehmend verzweifelt, so einfach dürfe man es sich nicht machen. Roger Köppel, leidenschaftlicher Historiker, oft bis in die Nacht in heroische Schlachten vertieft, sah, dass hier seine Zukunft liegen könnte: Die Dinge ganz einfach machen. So einfach, dass man sie als Schlachtparole in die Nacht rufen könnte.

Noch heute wird er laut, wenn er über diese Zeit spricht. "Diese Tabus! Die Denkverbote! Diese politische Korrektheit ist eine der größten Gefahren für die Demokratie! Das musste man mal wegpowern!" Köppel gestikuliert in die belebte Wandelhalle des Berner Bundeshauses hinein. "Es kann jeder sagen, Köppel liegt völlig falsch. Aber ich liege nicht völlig falsch, das stimmt einfach, was ich damals gesagt habe. Das ist einfach so." Es ist ein seltenes Bild: Roger Köppel lacht ausgelassen.

"Er ist immer im Krieg", sagt ein früherer Freund. Zitieren lassen will er sich nicht. Heute "glaubt er vermutlich, was er sagt. So sehr kann man sich ja nicht verbiegen. Aber anfangs? Das war ein Spiel." Ein Abtausch der Argumente, es sei ums Gewinnen gegangen. Bis heute steht Köppel gern vor linkem Publikum. Er verweist auf seinen Bruder, der früher mit dem Vater über Vietnam habe diskutieren wollen. Der Vater, am Ende seiner Argumente angelangt, habe oft gesagt: "Schneid' du dir erst mal die Haare." Das sei doch nun genau das Gleiche, wenn man ihm provokante Weltwoche-Titel oder SVP-Plakate vorwerfe. Stilkritik. Und er, Köppel, ist in dieser Geschichte der 68er.

Ein anderer Landgasthof, es geht um Political Correctness und um die EU. Köppel kommt vom Großen aufs Kleine. Die Ausgleichsmaßnahmen der EU in einem Vertrag vergleicht er mit seinem Sohn, der die Wohnung verwüste und dann Schläge bekomme. Seine Stimme wird kurz unsicher, schnell und laut, als versuche er die Sache möglichst hinter sich zu bringen. Niemand lacht. Vielleicht weil es niemand lustig findet, Kinder zu schlagen, vielleicht, weil die Geschichte nicht echt klingt.

Man kann sich fragen, warum Roger Köppel so oft eingeladen wird, in deutsche Talkshows, zu linken Kultur-Veranstaltungen, zum Besuch von Jean-Claude Juncker an der Uni Zürich. Gerade die, die betonen, "das Heu nicht auf der gleichen Bühne" zu haben wie die SVP, sind stolz, mit ihm gesehen zu werden. Bei Jean-Claude Juncker lässt es sich Köppel nicht nehmen, eine Frage zu stellen. Als er aufsteht, ein dünner Mann im Anzug, angespannt, bereit zum Angriff, geht ein Raunen durch den Saal. Ein bisschen Respekt, ein bisschen "nicht der schon wieder". Köppel fragt nach einem alten Zitat Junckers zur Schweiz, eine Antwort erwartet niemand. Doch Köppel, der um sechs Uhr morgens schon alle Zeitungen gelesen hat, ist besessen davon, seine Meinung zu verbreiten.

So ganz können die Schüler, die mit ihm diskutiert haben, nicht fassen, was passiert ist

Nur zu Privatem sagt er so wenig wie möglich. Wenn ihm auf die Frage nach der Rolle als Vater herausrutscht, Väter müssten nicht unbedingt zu Hause sein, ärgert er sich. Will man weiter über konservative Werte sprechen, sagt er: "Wir lesen heute noch Goethe. So schlecht kann das nicht gewesen sein, was er geschrieben hat."

Ein Klassenzimmer am Zürcher Gymnasium Rämibühl. In der elften Klasse, die Köppel im Bundeshaus besucht hat, geht die Diskussion auch Tage danach weiter. So ganz können die Schüler nicht fassen, was passiert ist. "Am Anfang war er mir sympathisch, aber dann hat er absurde Beispiele gebracht und uns nicht mehr drangenommen", sagt einer. Wer noch dieser Meinung ist? 20 von 25 Händen gehen nach oben. "Für uns war es total frustrierend, und er genießt es so richtig", fasst eine Schülerin zusammen. "Du findest einfach, er ist ein Arschloch, und jetzt bist du sauer, weil er dich fertiggemacht hat", tönt es aus der letzten Reihe. Ob es jemanden gibt, der Köppel-Gegner war und überzeugt wurde? Niemand meldet sich. Im Rausgehen sagt die Lehrerin, sie hätte gern Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung in der Schweiz, das müsse man Köppels Aussagen entgegenstellen. Zwei Schüler diskutieren auf dem Pausenhof weiter, die Lehrerin schaut ihnen nach und murmelt: "Die Rebellen sind heute eben rechts."

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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