Sack Reis:Im Servicehimmel

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Eine Maniküre im Restaurant bekommen? Eine Massage beim Friseur? Ein Ersatzfahrer, der betrunkene Autofahrer nach Hause bringt? In China alles kein Problem.

Von Kai Strittmatter

China. Land der Widersprüche. Mal cool, mal gnadenlos. Mal stinkreich, mal bettelarm. Mal Retter der Weltwirtschaft, mal Totengräber. Mal Festgelage zur Glückseligkeit, mal Schweinefleisch süßsauer. Mal Jack Ma (Alibaba), mal Karl Marx (Die 40 Räuber). Ein wenig ist das wie bei der Heisenberg'schen Unschärferelation: Der Betrachter und seine Anwesenheit entscheiden, ob sich das zu beobachtende Teilchen nun als Teilchen zeigt oder aber als Welle, ob die Katze nun, in diesem Moment, schwarz ist oder aber weiß.

China also. Thema heute: "Dem Volke dienen" (Mao Zedong, in einem seiner lichteren Momente). Serviceparadies China. Das Land, in dem die Friseure massieren, die Elektriker Kloschüsseln reparieren und die Obsthändler nebenbei Pfannkuchen backen, wenn es dem Volke gefällt. In dem man morgens um halb sieben die 60 Cent für den Pfannkuchen mit derselben App bezahlen kann, die einem abends nach dem Trinkgelage einen nüchternen Ersatzfahrer fürs Auto besorgt. Heimat der "Haidilao"-Feuertopf-Restaurants, wo man oft eine Stunde auf einen Platz warten muss - eine Stunde, während der man sich kostenlos die Hände maniküren oder die Schuhe putzen lassen kann.

Neulich war mal wieder das Internet kaputt. Also noch kaputter als sonst. So kaputt, dass meine E-Mails sich diesmal auch zwölf Ave Maria und drei Vaterunser später nicht blicken ließen. So kaputt, dass nicht mal die Seite der Volkszeitung laden wollte, und die kriecht sonst in die unwirtlichsten Netze. "Sing mal die Internationale", schlug der Panda auf meinem Sofa vor. Half nichts, desgleichen das Besprenkeln des Bildschirms mit Chinaöl. Totalschaden also. Aber ich hatte ja die Telefonnummer. Von dem netten Herrn Li von China Unicom. China Unicom ist meine Telefongesellschaft. Jetzt aufgepasst, Deutsche Telekom! Exakt drei Stunden nach meinem Anruf beugte sich Herr Li über unseren Kabelsalat. "Aha", sagte er. Mein Herz hüpfte. "Ihre Leitungen", sagte er: "Die sind alt. Am besten auswechseln. Am besten Glasfaser." - "Glasfaser?", sagte ich. Glasfaser klang verlockend. Es klang aber auch nach Bagger und Schlammgrube und nach Schildern: "Vorsicht Bauarbeiten! Das Internet von Hausnummer 12 ist vorübergehend geschlossen."

Herr Li nickte: "Glasfaser. Mach ich Ihnen. Morgen früh. Halb zehn."

Um Viertel nach neun stand er da. Mit Helfer, Leiter, Bohrmaschine und Kabelrolle. Bohrte ein Loch durch unsere Fenster. Zog alte Kabel raus. Verlegte neue. Stellte mir ein Modem hin. Stöpselte hier und klammerte da. Keine Stunde war vergangen, da schloss er ein Messgerät an. "Hach", hauchte er so stolz wie ehrfürchtig: "Fünfzehn Mal so schnell wie vorher." Was er von mir bekomme, wollte ich wissen. "Kostenlos", sagte er. "Alles Service." Beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal um. "Den Panda auf Ihrem Sofa", flüsterte er, "den kenn ich. Das ist doch der, der in dem niedlichen Video von neulich immer vom Baum ..." - "Raus, Mensch!", rief der Panda von hinten. Hej, sagte ich nachher zum Panda: "Der Mann hat uns das Leben gerettet. "Klar", knurrte der Panda. "Endlich wieder Volkszeitung." Jawohl. Fünfzehn Mal so schnell. Ich räusperte mich: " ... gebenedeit ist die Frucht deines ..." Weiter kam ich diesmal nicht, da war die Seite schon da. "Dem Volke dienen", las ich. Und nächstes Mal an dieser Stelle: Servicehölle China.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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