Sack Reis:Beijing Bikini

Lesezeit: 2 min

Unser Korrespondent findet ja, dass sich China und der Westen modisch immer mehr annähern. Wenn da nicht das sonderliche Männerhandtäschchen wäre...

Von Kai Strittmatter

Bemerkenswert, was Oberflächlichkeiten mit unserer Wahrnehmung machen. Als ich Student in China war, da trug das ganze Volk noch das gleiche schwere, dick schwarz gerahmte Brillengestell, der einstigen deutschen Kassenbrille nicht unähnlich. Dann aber, schätzungsweise irgendwann so Anfang, Mitte der 1990er-Jahre, liefen auch die Chinesen mit einem Mal mit einer Vielfalt an bunten, eleganten, schrägen, modernen Brillen herum. Und mit einem Mal, wie von Zauberhand, wirkte einem das ganze Volk gleich viel näher und vertrauter.

Den gleichen Effekt hatte die Frisurenrevolution, die das Land aus postkulturrevolutionärem Einheitsstrubbel in die uns vertraute Welt des Haardesigns katapultierte ("Haardesigner", so nennt sich der ziemlich coole Zehnquadratmeter-Friseur in unserer Gasse, der am eigenen Haupt eine künstlich rasierte Halbglatze mit einem Schwänzchen am Hinterkopf kombiniert).

Dass sich mittlerweile ein beträchtlicher Teil der Jugend frisurenmäßig verabschiedet hat in ein von Südkoreas K-Pop inspiriertes neonfarbenes Bubblegum-Universum ist eine andere Sache. Unterm Strich bleibt eine erstaunliche Annäherung von chinesischer und westlicher Welt. Es bleibt allerdings auch das eine oder andere Modephänomen, das noch immer unter "chinesische Besonderheit" einzuordnen wäre. Ein paar Beispiele.

Das Männerhandtäschchen. China als letztes Refugium dieser Sonderlichkeit wurde hier schon eingehend beschrieben. Bleibt anzufügen, dass der Pekinger/Shanghaier/Shenzhener Männerhandtaschenträger von seiner Freundin und/oder Konkubine (seltener Ehefrau) gerne auch als Damenhandtaschenträger gebraucht wird, der oft zwei Schritte hinterhertrippelnd besagter Freundin solchermaßen das Shoppen erleichtert. In der Folge wird er dann auch zum Einkaufstaschenträger.

Der Feld-Anzug. China ist das einzige Land, in dem ich regelmäßig Bauern bei der Feldarbeit beobachtet habe, die Anzug tragen. Billige Anzüge, sehr billige, klar. Aber Anzüge.

Die Zemin-Hose. Populär in Parteikaderkreisen bis in die mittleren 2000er-Jahre hinein. Von mir benannt nach dem damaligen Parteichef Jiang Zemin, der die seinen stets so trug: als Ballon hoch über den mächtigen Bauch gezogen und kurz unterhalb der Brust festgespannt.

Die Nylonsocke. Unausrottbar, auch zu kurzer Hose, auch am mittelalten Männerbein, auch dort in schwarzen Netzmustern aller Art.

Die Pandabärlein-Mütze. Mit Kuschelohren. Wird auch im Sommer oft getragen von jenen Mädels, die gern unschuldig mit den Augen klimpern. Dieselben, die seit Neuestem den Trinkjoghurt aus trendigen Babynuckelfläschlein trinken.

Der Gassen-Pyjama. Als bequeme Ausgehkluft das Pekinger Gegenstück zum deutschen Jogging-Anzug.

Der Beijing-Bikini. Ebenfalls Teil der Gassenkultur. Kommt immer dann zum Einsatz, wenn es so heiß ist, dass es auch ein Unterhemd tut. Der Beijing-Bikini ist ganz schnell selbstgeschneidert: einfach das Hemdchen unter die Achseln hochrollen, um möglichst viel Bauchfläche der frischen Luft auszusetzen. Rhythmisches Bauchklatschen mit abwechselnd der flachen rechten und linken Hand optional. Men only.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: