Racheagentur in Berlin:"Betrug in allen Lebenslagen hat zugenommen"

Catwoman

Die klassische Rächerin: "Catwoman" (hier gespielt von Halle Berry im gleichnamigen Kinofilm) war einst eine verzagte Angestellte. Als sie einem Verbrechen in ihrem Unternehmen auf die Spur kommt, wird sie ermordet. Doch auf wundersame Weise wird sie wiedererweckt - und übt fortan Rache. Ein Geschäftsmodell - oder eine irre Idee?

(Foto: dpa)

Der Freund geht fremd, der Geschäftspartner stellt sich als Betrüger heraus und die Nachbarin verbreitet Lügen: Was tun? In Berlin bietet nun eine "Racheagentur" ihre Dienste an. Im Interview erklärt die Geschäftsführerin, warum sie "kultivierte Rache" verübt.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

"Unbill an Ehr' und Leibe verzeihet nur der Schwache. Die Milde ziemt dem Weibe, dem Manne ziemt die Rache" - was der deutsche Schriftsteller Friedrich Martin von Bodenstedt im 19. Jahrhundert dichtete, scheint nicht mehr so richtig aktuell zu sein. Zumindest ist es nun eine Frau, die in Berlin Deutschlands erste Racheagentur ins Leben gerufen hat: Sabine Noack. Aus Sicherheitsgründen möchte sie zwar keine Details über sich oder ihre Arbeit verraten. Aber wie die von ihr propagierte "kultivierte Rache" aussehen soll, erklärt sie im Interview.

SZ.de: Warum haben Sie eine Racheagentur gegründet?

Sabine Noack: Viele Menschen befinden sich in einer Spirale aus Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit, woraus Rachegelüste entstehen. An die Öffentlichkeit können sie selten gehen, weil viele ihre Vergeltungswünsche für kindisch erklären, schlechtreden und keine Hilfe sind. Durch diese Ablehnung fühlen sich die Geschädigten noch schlechter. Wir bieten ihnen eine Anlaufstelle, wo sie ernst genommen werden.

Gibt es nicht schon genug Schlechtigkeit auf der Welt?

Der Sinn einer Racheagentur ist nicht, das Böse zu verbreiten, sondern das Gegenteil. Wir bieten Geschädigten einen Ort, wo sie ihren Frust abladen, über ihre Verzweiflung sprechen und sich helfen lassen können. Wir begegnen anderen Menschen nicht mit Schlechtem, sondern mit Ausgleichendem. Wir sehen das Gute im Menschen: Jeder kann sich ändern, sofern er sein Fehlverhalten einsieht und an sich arbeitet. Dazu regen wir mit entsprechenden Aktionen an.

Was sind das für Aktionen?

Stellen Sie sich folgende Szene vor: Einem Mann wird ein heißes Techtelmechtel in Aussicht gestellt, voller Vorfreude wird er auf die Toilette oder in eine dunkle Ecke seines Lieblingslokals gelockt. Dabei wird wild an seiner Kleidung herum gezerrt, diese ausgezogen und im passenden Moment sind Techtelmechtel und Kleidung durch den Haupteingang verschwunden. Der Nackedei muss irgendwann wieder durch diesen Eingang und wird nichts weiter tragen als Socken und einen schamroten Kopf. Hochnotpeinlich, tut aber nicht weh. Die Kleidung bekommt er wieder.

Was für Menschen kommen zu Ihnen?

Menschen mit großer Wut, die sich selbst nicht mehr zu helfen wissen. Wir haben Anfragen aus ganz Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz.

Wobei genau benötigen sie Ihre Hilfe?

Die Kunden wollen Genugtuung für entstandenen Schaden oder einfach bestimmte Denkprozesse bei ihrem Gegenüber in Gang setzen.

Prüfen Sie die Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt oder Ihre Kunden auf deren Seriosität?

Nein, eine solche Überprüfung können wir nicht leisten. Das möchten wir auch gar nicht, denn damit müssten wir in alles und jeden Misstrauen haben. Das würde noch mehr Schaden anrichten, weil unser Gegenüber schon durch sein Erlebtes leidet. Ich arbeite mit Vertrauen, einer gesunden Menschenkenntnis und einer Plausibilitätskontrolle. Ich höre mir alles gründlich an und frage nach, womit ich mir schon mal ein gutes Bild von der Lage und der Ernsthaftigkeit der Anfrage machen kann. Im weiteren Verlauf der Planung und Kommunikation mit dem Kunden kann man sehr gut beurteilen, was echt und was geflunkert ist.

"Wir sind nicht die Mafia"

Was kostet Ihre Hilfe?

Ein E-Book voller Racheideen ist für 20 Euro zu haben, einfache Aktionen führen wir ab einem Preis von 30 Euro durch und alles, was aufwändiger ist, wird natürlich teurer. Das können je nach Schwierigkeit und Personalbedarf auch vierstellige Beträge werden.

Welche Anfragen haben Sie am häufigsten?

Der häufigste Grund ist Betrug und zwar in allen Lebenslagen: Liebe, Finanzen, Beruf, Freundschaft und Nachbarschaft.

Wie rächt man Betrug? Auge um Auge, Zahn um Zahn?

Schon die Bibel, konkret das 2. Buch Mose, lehrt uns, dass wir uns wehren sollen: "Ist weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme." Das lässt sich natürlich nicht mit unserem heutigen Rechtssystem vereinbaren, das wäre Selbstjustiz und damit strafbar. Deshalb arbeiten wir zu keiner Zeit mit solchen Mitteln, sondern gehen deutlich friedlicher und subtiler vor.

Gibt es Experten für bestimmte Fälle?

Das ist durchaus vorstellbar. Momentan arbeite ich in einem kleinen Team mit verschiedenen Freigeistern.

Ist Ihre Racheagentur auch eine Antwort auf die in den letzten Jahren vielfach angebotenen Seitensprung-Agenturen?

Das sieht auf den ersten Blick vielleicht so aus, ist es aber nicht. Erstens handeln wir nicht nur in Liebesdingen und zweitens geht es vordergründig nicht darum, allen fremdgehenden Menschen den Mittelfinger zu zeigen. Sondern darum, Menschen in akuter Not zu betreuen und ihnen Abhilfe zu verschaffen. Damit sie mit dem Leid besser umgehen können.

Können Sie extreme Fälle schildern, die Sie womöglich abgelehnt haben?

Es gibt seltener Anfragen zu Körperverletzung, Verleumdung oder Sachbeschädigung. Solche Straftatbestände lehnen wir selbstverständlich ab. Wir sind nicht die Mafia. Unter kultivierter Rache verstehe ich keine Straftaten oder primitive Zerstörung von fremdem Eigentum. Das würde den Kunden am Ende sicher auch nicht glücklich machen, sondern führt nur zu noch größerem Ärger.

Und extreme Fälle, wo Sie helfen konnten?

Darunter verbuche ich alle Anfragen, die eine extreme Geschichte mit sich bringen. Mitunter wurde dem Kunden so übel mitgespielt, dass ich selbst minutenlang den Mund nicht schließen kann und um Fassung ringe. Das sind etwa Betrugsgeschichten von waschechten Narzissten, die ihr Umfeld völlig verstören und extrem viel Leid anrichten.

Haben Sie schon mal einem Kunden von der Rache abgeraten und an einen Psychologen verwiesen?

Ja. Da war von meiner Seite kein Handlungsspielraum möglich, weil alle Wünsche des Kunden in Straftatbeständen lagen, die ich generell ablehne. Ich lehne Racheaktionen auch dann ab, wenn ich den Eindruck habe, dass der Kunde aus generalisierter Rachsucht handeln will.

Hat der zwischenmenschliche Betrug in unserer Gesellschaft zugenommen, und wenn ja, seit wann?

Ja, der Betrug hat in allen Lebenslagen zugenommen. Es hat sich ein gewisser Egoismus in die Köpfe der Menschen eingeschlichen. Es zerbrechen immer mehr Partnerschaften und Ehen, es werden weniger Kinder geboren, der Job ist nicht mehr sicher und damit sind auch die Finanzen jederzeit in Gefahr. Im Internet kann man heute rasch und erfolgreich in völliger Anonymität nach Affären suchen, private Daten stehlen, verleumderische Lügen verbreiten oder fremde Bankkonten leerräumen, was früher schon allein durch die fehlenden technischen Möglichkeiten nicht gegeben war. Auch die Politik unterstützt durch zu lasche Schutzfunktionen der arbeitenden Bevölkerung Ausbeutung, grundlose Kündigungen oder Mobbing. Je offener und normaler das alles wird, desto stärker nehmen auch die Betrügereien zu.

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