Psychologie:Warum viel Lob ungesund ist

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"Pauschales Dauerloben ist eine Form der Vernachlässigung durch Verwöhnen", sagt Peter Henningsen, Chefarzt für Psychosomatik an der Technischen Universität München. (Foto: imago stock&people)

Wer gelobt wird, fühlt sich bestätigt. Aber Lob ist kein Allheilmittel, im Gegenteil.

Von Werner Bartens

Karaoke-Abend am letzten Tag des Feriencamps. Die Neunjährige stapft auf die Bühne. Kaum erklingen die ersten Töne, stürmt die Mutter nach vorn und nimmt die Darbietung mit dem Handy auf. Wie sie strahlt, wie sie im Rhythmus mittanzt! Als die Mutter kurz das Handy sinken lässt, fordert sie von den anderen Zuhörern Beifall. Kaum ist das Lied beendet, umarmt sie ihre Tochter, als wäre diese gerade aus höchster Seenot gerettet worden. "Toll hast du das gemacht, meine Süße, gaaanz, gaaanz großartig. Ich bin so stolz auf dich!"

Das Kind hat den Text gelangweilt abgelesen. Stockend und fehlerhaft, aber bis zum Ende. Unter uns: Das kriegen Drittklässler schon mal hin. Nun ist nichts dagegen einzuwenden, sein Kind und überhaupt seine Mitmenschen aufmerksamer wahrzunehmen und häufiger zu loben. Das tut gut, ist Honig für die Seele und passiert viel zu selten! Trotzdem fühlt es sich so oft so falsch an. Man muss nicht jeden schiefen Ton auf der Geige frenetisch feiern oder das bunte Gekritzel gleich für die Skizzen des nächsten Picasso halten, nur weil es vom eigenen Nachwuchs stammt.

Wer einmal ein Kindergarten- oder Schulfest miterlebt hat, bei dem die Kleinen etwas aufgeführt oder ihre Bastelarbeiten ausgestellt haben, denkt mit Grauen an die übertriebenen Beifallsstürme und die ekstatische Lobhudelei vieler Eltern zurück. Und bleibt von Pep Guardiolas Zeit beim FC Bayern nicht vor allem die Erinnerung an zu eng sitzende Hosen und zu weit verstreute Super-super-top-top-Elogen?

Warum soll ich jemanden loben? Mich lobt ja auch niemand

"Pauschales Dauerloben ist eine Form der Vernachlässigung durch Verwöhnen", sagt Peter Henningsen, Chefarzt für Psychosomatik an der Technischen Universität München. Andererseits: Welcher Arbeitnehmer würde nicht sofort in die Klage einstimmen, wirklich noch nie von seinem Chef gelobt worden zu sein? Und von Führungskräften ist oft zu hören: Warum soll ich jemanden loben? Mich lobt ja auch niemand.

Lob gilt überall auf der Welt als Zeichen für Anerkennung, Wertschätzung, Achtsamkeit. Wer gelobt wird, fühlt sich bestätigt, das Selbstwertgefühl steigt, die Laune sowieso - lauter Premium-Gefühle. Aber Lob ist kein Allheilmittel, es stumpft schnell ab. Wird jegliches Verhalten gelobt, kann der Empfänger nicht erkennen, was das Außergewöhnliche ist, er wird mittelmäßige Leistungen schon als toll empfinden und umso tiefer stürzen, wenn er mit der Realität und anderen Menschen konfrontiert wird. Deshalb tun Eltern sich und ihren Kindern keinen Gefallen, wenn sie Lob mit der Gießkanne verteilen. Oftmals steht ihnen ihr eigener Narzissmus im Weg.

Richtig loben ist nicht leicht und Deutschland kein Hort der Lob- und Anerkennungskultur. Eher gilt im Land der Lästerer und Schimpfer: Nicht kritisiert ist genug gelobt. Allerdings sollte auch nicht gelobt werden, was dem Gelobten selbstverständlich erscheint. Usain Bolt freut sich wahrscheinlich kaum, wenn er hört: Mensch, du kannst aber schnell laufen! Und wenn Cristiano Ronaldo gefeiert wird, weil er in der Champions League erst die Bayern und dann Atlético Madrid aus dem Wettbewerb geschossen hat, wird ihm sein zartes Ego vermutlich einflüstern: Klar, an guten Tagen habe ich das drauf.

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