Porträt:Schwimm dich frei

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Yusra Mardini trainiert heute für Olympia. (Foto: Michael Sohn/AP)

Was wurde aus dem syrischen Mädchen Yusra Mardini, das ein Boot aus dem Meer zog, bei Olympia antrat und zum Gesicht der Flüchtligskrise wurde?

Von Verena Mayer

Die Geschichte. Yusra Mardini seufzt. Die Schwimmerin sitzt im Clubhaus ihres Vereins im Berliner Olympiapark und schlingt Rührei in sich hinein. Sie hat zwei Stunden Training hinter sich, um ihre Augen herum sieht man noch die Abdrücke der Schwimmbrille. Mardini guckt hinüber zum Becken, so, als würde sie am liebsten sofort wieder abtauchen. Sich freischwimmen, auch von ihrer Geschichte.

Die beginnt vor drei Jahren, als Mardini mit ihrer Schwester aus Syrien flieht und in der Türkei in ein überfülltes Schlauchboot steigt, um auf die griechische Insel Lesbos zu gelangen. Irgendwann fällt der Motor aus, das Boot läuft voll, und Mardini und ihre Schwester, die ebenfalls Schwimmerin ist, springen abwechselnd ins Meer, um das Boot strampelnd über Wasser zu halten. Die Mädchen schaffen es an die Küste und dann bis nach Berlin, wo Sportfunktionäre auf ihre Geschichte aufmerksam werden. Ein Jahr später darf Mardini bei den Olympischen Spielen in Rio schwimmen, im neu gegründeten Flüchtlingsteam. Als Symbol dafür, was man alles schaffen kann, nirgends sind Geschichten so wichtig wie im Sport.

Sie hat Barack Obama und den Papst getroffen und reist um die ganze Welt

Seither wird die Story vom Mädchen, das von einem Flüchtlingsboot bis zu Olympia kam, immer größer. Mit gerade mal 20 ist Mardini so etwas wie das globale Gesicht der Flüchtlingskrise, ein Weltstar. Sie hat Barack Obama und den Papst getroffen, vom Time-Magazin wurde sie zu einem der einflussreichsten Teenager erklärt. Und seit einem Jahr reist Mardini für das UN-Flüchtlingshilfswerk als Sonderbotschafterin durch die Welt.

Jetzt hat sie auch noch ein Buch herausgebracht, auf Deutsch und auf Englisch, selbst in Amerika verfolgt man inzwischen ihre Geschichte, die mit den Jahren nicht kleiner wird, im Gegenteil. Das Buch heißt "Butterfly", wie ihr liebster Schwimmstil, Schmetterling. Mardini blinzelt in die Sonne, spielt an ihrem Handy, macht Witze mit ihrem Trainer, der neben ihr sitzt, als wolle er ihr Halt geben. Sie wirkt jünger als 20, manchmal fast kindlich. Als sie aufspringt, um sich Apfelschorle zu holen, sagt ihr Trainer, er sei froh, wenn sie ein wenig von der Jugend nachhole, die sie nicht hat.

Die Prominenz, die nach ihrer Flucht kam, dürfte das nicht leichter machen.

Mardini erzählt ihre Geschichte dann doch. Weil sie das Einzige ist, "was ich habe, um anderen Flüchtlingen Hoffnung zu geben". Wie sie in Syrien in gutbürgerlichen Verhältnissen aufwuchs, der Vater arbeitete als Schwimmtrainer, sie stellte einen Rekord über 400 Meter Freistil auf. Wie der Ort, in dem sie lebte, zwischen die Fronten des Krieges geriet, erst wurde ihr Haus zerstört, später schlug im Schwimmbad eine Bombe ein. Wie sich die Mutter, nachdem die Familie wegen der Bomben in zwei Jahren sechs Mal umgezogen war, entschloss, ihre Töchter mit einem Verwandten auf die Flucht nach Europa zu schicken. Wie die Schwestern in einem Flugzeug von Beirut nach Istanbul mit Dutzenden anderen Syrern saßen und das Kabinenpersonal sagte, es werde jeden verhaften lassen, der versuche, eine Schwimmweste mitzunehmen.

Wie die Mädchen in Griechenland Wasser kaufen wollten, man ihnen aber keines gab. Wie sie grüne Grenzen überquerten, auf der Straße, im Zelt, auf Feldern übernachteten. Als sich im Sommer 2015 in Budapest Tausende Flüchtlinge zu Fuß auf den Weg nach Österreich machen, der Beginn der Flüchtlingskrise, deren Folgen Europa bis heute prägen. Sie guckt wieder hinüber zum Becken. Im arabischen Raum wäre sie als Schwimmerin, als Frau in einem Badeanzug, schief angeschaut worden, "die Leute glaubten, ich mache das nur, damit ich Männer kennenlerne", sagt sie. In Berlin kann sie sich nun vorbereiten auf ihren nächsten großen Traum, die olympischen Spiele 2020 in Tokio. Für wen sie antreten will, weiß sie noch nicht. Oft wird sie gefragt, ob sie sich nicht manchmal kneifen müsse vor so viel Glück. Mardini sagt dann, ihre Geschichte habe "helle und dunkle Seiten". Aber sie wird sie noch sehr oft erzählen müssen, das nächste Mal in einem Jahr: Da soll es einen Film über ihr Leben geben.

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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