Porträt:Rolle vorwärts

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Jessica Chastain. (Foto: ZUMA Press/imago)

Jessica Chastain hatte immer Talent, aber auch Pech mit Filmen. Heute ist sie ein Star in Hollywood. Ein Treffen mit Wolldecke.

Von Jenny Hoch

Falls jemandem irgendwo eine rothaarige Frau mit einem dreibeinigen Hund aufgefallen ist: Das sind Jessica und Chaplin. Man sieht sie oft durch die Straßen von Berlin-Mitte, Manhattan, London oder Los Angeles wackeln, je nachdem, wo gerade ein Film gedreht oder beworben wird.

Im Moment sitzt Jessica Chastain allerdings in Begleitung einer Assistentin in einer Suite im Berliner Soho House, der Hund musste draußen bleiben. Sie trägt ein ärmelloses Kleid und hat eine Wolldecke über die Knie gebreitet, die High Heels hat sie abgestreift. Vor ihr steht ein Teller mit geschnittenem Obst. Sie wirkt beinahe durchsichtig, so blass ist sie, die Nase ist rot verschnupft. Jessica Chastain fühlt sich miserabel, das sieht man ihr an. Aber sie ist nun mal ein Hollywood-Star, den Presse-Termin für ihren neuen Film "Molly's Game" zieht sie durch.

Fragt man sie zum Einstieg, ob das viele Gassi-Gehen mit ihrem humpelnden Freund aus dem Tierheim eventuell eine Strategie sein könnte, um sich als bodenständige Person zu zeigen, stutzt sie. In ihren grüngrauen Augen ahnt man ein Flehen, jetzt bitte nicht nur über so banale Dinge wie Ruhm, Image oder Celebrity-Status reden zu müssen. Jessica Chastain, das ist schnell klar, ist eine ernsthafte Person, die am liebsten über nichts anderes als über ihre Arbeit sprechen möchte. Aber dann richtet sich die Schauspielerin kerzengerade auf, streicht sanft über die Wolldecke und sagt mit ihrer samtigen Stimme: "Aber Chaplin hatte ich doch schon davor."

Das Leben von Jessica Chastain, geboren 1977 in Kalifornien, lässt sich ganz klar in ein Davor und ein Danach einteilen. Davor, das war die lange Periode bis zum Jahr 2011. Danach, das ist der Rummel, der sie seit diesem magischen Jahr begleitet.

Jessica Chastain studierte an der angesehenen Julliard School in New York City und war danach Teil jener Armee von erfolglosen Schauspielern, die sich an den Traum von der großen Karriere klammern, während sie in einem Coffee Shop die Krümel vom Tisch wischen. Doch bei Chastain lief alles noch ein bisschen dramatischer ab, denn ihr Traum wurde mit Anfang 30 plötzlich doch noch wahr. Sie bekam auf einmal Rollen, richtig gute Rollen, mit namhaften Regisseuren. Sie drehte sechs Filme, mit Al Pacino, Brad Pitt, Helen Mirren und Ralph Fiennes, das Problem war nur: Jahrelang konnte niemand diese Filme sehen, es war wie verhext, aber bei jedem einzelnen gab es Probleme in der Postproduktion. Und so blieb Jessica Chastain erst einmal die schöne, talentierte Unbekannte, die sie die längste Zeit ihres Lebens gewesen war. Erst 2011 war es so weit, gleich alle auf einmal kamen in die Kinos, darunter "The Tree of Life" von Terence Malick.

Seitdem gehört Jessica Chastain zu Hollywoods A-Liga, sie war zweimal für einen Oscar nominiert, hat einen Golden Globe gewonnen und mit Christopher Nolans "Interstellar" ihren ersten Blockbuster gedreht. Sie kann sich ihre Rollen aussuchen. Und jetzt also "Molly's Game". Der Film erzählt die wahre Geschichte von Molly Bloom, einer ehemaligen Profi-Skifahrerin, die nach einem Unfall einen illegalen Poker-Ring für Stars, Superreiche und Mafiosi hochzog, aber nach ihrer Verhaftung durch das FBI eisern über Details schwieg. Die Rolle, die Jessica Chastain spielt, ist ganz nach ihrem Geschmack: Eine Frau will es in einer von gierigen Männern dominierten Welt nach oben schaffen, ohne ihre Integrität zu verlieren. "Molly hat früh kapiert, dass man Geld braucht, um Macht und Einfluss zu haben, also spielt sie das Spiel mit", sagt Chastain. Im Film trägt sie - offenbar aus diesem Grund - vor allem knallenge Kleider und tiefe Dekolletés.

Sich als Sexbombe zu inszenieren, ist das für Frauen der Weg zum Erfolg? "Überhaupt nicht", sagt die Schauspielerin, "Mollys Kleidung und ihr dekadenter Lebensstil sind doch bloß eine Maske." Es sei doch so, Chastain schiebt sich die Wolldecke ruckartig von den Knien, "Frauen werden noch immer primär nach ihrer sexuellen Verführungskraft beurteilt, sie sollen nett und unterwürfig sein, dabei sind Ehrgeiz und Stärke typisch weibliche Eigenschaften."

Jessica Chastain hat sich in der "Me Too"-Debatte von Beginn an deutlich zu Wort gemeldet. Direkt als der Skandal um Harvey Weinstein enthüllt wurde, twitterte sie: "Ich habe die Nase voll, dass immer nur die Frauen aufstehen und die Dinge beim Namen nennen sollen. Was ist mit den Männern?" Sie spendete 50 000 Dollar für die Initiative "Time's Up", mit ihrer eigenen Produktionsfirma Freckle Films setzt sie sich dafür ein, dass mehr Filme mit weiblichen Hauptrollen ins Kino kommen.

Beim Pokerspielen gewinnt oft derjenige, der blufft. Ist diese Fertigkeit auch als Schauspielerin wichtig? Jessica Chastain niest zweimal laut. Sie hält sich die Hand vor den Mund, schaut einen mit großen Augen an und sagt: "Ich lüge nie. Ich sage immer die Wahrheit. Und ich denke nie an die Zukunft."

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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