Porträt:Macht und Ohnmacht

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Der Fotograf Konrad Rufus Müller hat große Politiker in ihren einsamsten Momenten festgehalten. Eine Pariser Ausstellung zeigt nun seine erstaunlich heiteren Mitterrand-Bilder zu dessen hundertsten Geburtstag.

Von Christian Mayer

Wie nähert man sich einem Unnahbaren, einem Machtmenschen, der andere auf Distanz hält, vor dem selbst enge Mitarbeiter eine gewisse Scheu haben? Wie kriegt man François Mitterrand dazu, einmal nicht der Intellektuelle aus dem Élysée-Palast, sondern nur er selbst zu sein?

Es ist Dezember 1982, als Konrad Rufus Müller erstmals den französischen Präsidenten trifft. Mitterrand befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Und der Fotograf auf dem Höhepunkt seiner Karriere, er hat beste Referenzen. Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Bruno Kreisky, Anwar al-Sadat hat er bereits vor der Kamera gehabt, mit seinen archetypischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen gilt er als Chronist der Bonner Republik. Ungewöhnlich ist es aber doch, dass Müller eines Tages in Paris in die Präsidentenmaschine und dann in den Helikopter steigt, man fliegt nach Biarritz, wo die Mitterrands ihren Landsitz in Latche am Atlantik haben.

In wenigen Tagen gelingt Müller das, was seine französischen Kollegen vergeblich versuchen: Mit seiner Rollei SLX porträtiert er den Politiker, der "die Sphinx" genannt wird, ganz privat. Bei der Gartenarbeit, auf dem Liegestuhl beim Lesen oder beim vertrauten Abendessen mit seiner Frau Danielle, mit seinem geliebten Labrador; es erscheint fast, als habe Mitterrand nur auf einen gewartet, dem er sich offenbaren kann, dem er seine schmutzigen Hände zeigen und mit dem er abends Scrabble spielen kann.

Am Ende wird aus Monsieur Müller einfach Konrad, man trifft sich immer wieder; in seinen Briefen nennt der Präsident den Fotografen "cher ami". Was bleibt, sind Bilder einer außergewöhnlichen Begegnung - die nun zum hundertsten Geburtstag Mitterrands von diesem Wochenende an in der Pariser Galerie 24 Beaubourg gezeigt werden.

Herrlich unerschrocken: Schon dem alten Adenauer rückte er einfach auf die Pelle

"Eigentlich war das eine Frechheit für die französischen Kollegen: Da kommt ein deutscher Fotograf und stiehlt ihnen die Show", erzählt Müller. Und wie war das nun mit dem Vertrauen? "Ich habe nicht jede Situation ausgenutzt. Einmal saß Mitterrand in Shorts mit seinen weißen dünnen Beinchen vor mir. Er wunderte sich. ,Warum fotografieren Sie nicht', fragte er mich. Ich sagte nur: 'Herr Präsident, wenn Sie solche Bilder wollen, müssen Sie Paris Match anrufen.'"

Vielleicht haben viele Fotografen, und das gilt für Profis wie für Amateure, diese Kunst verlernt: Sie wissen nicht mehr, wann es klug ist, kein Bild zu machen.

Ein Hausbesuch bei Konrad Rufus Müller in Königswinter. Rastlos, beinahe getrieben wirkt er, wenn man mit ihm eine kleine Zeitreise macht. Er springt dabei von einem Raum zum nächsten, nur unzureichend gebändigt durch seine Frau Brigitte, eine frühere Lufthansa-Stewardess, mit der er seit 41 Jahren zusammen ist. Und wenn man ihn so reden hört, auf seine schnoddrig-charmante Berliner Art, dann ahnt man, wie das ist: sich in die Hände des Lichtkünstlers Konrad Rufus Müller zu begeben, der in einem Moment noch hinreißend über alles und jeden flucht und im nächsten Augenblick beinahe zärtlich über jene Menschen spricht, die ihm etwas bedeuten.

Vor ihm auf dem Tisch liegt das Foto vom 4. Januar 1990. Damals reiste Bundeskanzler Helmut Kohl in heikler Mission an den Atlantik, um Mitterrand bei einem Spaziergang zu überzeugen, den Widerstand gegen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten aufzugeben. Und natürlich stand Müller wieder an genau der richtigen Stelle, als Kohl bei seinem Bittbesuch den Hund seines lieben Freundes François vor Liebe fast erdrückte - und die anderen Fotografen, denen später nur die Außenperspektive von einem ihnen zugewiesenen Strandplatz blieb, vor Wut heulten. Über solche Triumphe kann er sich bis heute freuen.

Die Bilder, die er gemacht hat, lassen ihn nicht mehr los, etwa 3000 sind es, dokumentiert in mehr als zwanzig Bänden. Das Haus in Königswinter ist auch ein Müller-Museum, eine Celebrity-Sammlung, eine Bühne für den Hausherrn, der ein paar Mal voller Furor ins Alphorn bläst, das Instrument haben ihm Freunde geschenkt. Er muss ein wenig suchen, bis er das Foto gefunden hat, das ihn neben dem sehr alten Konrad Adenauer zeigt, beim Parteitag der CDU in Bonn 1966. Müller wusste damals schon, was man tragen muss, um respektiert zu werden: Anzug, weißes Hemd, Krawatte, "die meisten Journalisten waren ja schon immer unmöglich angezogen". Neben dem 90-Jährigen sitzt unterm Bundesadler der gut aussehende junge Mann wie ein Spin-Doktor. Man hat das Gefühl, dass der Fotograf schon damals herrlich unerschrocken war: Er rückte Adenauer einfach auf die Pelle. Auf diese Weise gelang ihm ein ikonisches Bild des in Gedanken versunkenen Altkanzlers, dessen zerfurchtes Indianergesicht wie aus einer archaischen Zeit wirkt.

Nach Adenauer hat er als "Kanzlerhinterherlatscher", wie er sich selber gerne nennt, sämtliche deutschen Regierungschefs begleitet. Bis auf Angela Merkel, die sich zum Ärger des Fotografen nur dazu herabließ, mal ein paar Minuten im Kanzleramt für ihn still zu stehen. Vielleicht ahnt Merkel ja auch, dass dieser Fotograf keine fixen PR-Aufnahmen macht und auch keine Hofberichterstattung - oder wenn, dann zu seinen Bedingungen. Müller zeigt die Mächtigen in ihren einsamsten Momenten. In Situationen der Schwäche, der Verletzlichkeit, auch der stillen Freude, dafür braucht man Zeit und den richtigen Zugang. Willy Brandt hat er im Urlaub in Norwegen fotografiert, als der SPD-Parteichef noch über seine Machtlosigkeit und wohl auch über seine gescheiterte Ehe trauerte. "Der Einzige, der damals im Hause Brandt noch redete, war der Papagei", erzählt Müller.

Helmut Kohl wiederum erwischte er in einem Moment der Entspannung, das war in Zeiten, in denen Fotografen gerne hämische Bilder des CDU-Kanzlers machten, keine Selbstverständlichkeit. Kohl blickt lächelnd zur Seite, ohne Brille, die Hand aufs Kind gestützt. Und man fragt sich: Was ist denn da passiert?

Auch dazu erzählt Müller eine Geschichte. Es war lange nach Kohls Kanzlerschaft. Mit seiner Frau war er noch einmal eingeladen in Oggersheim, um über alte Zeiten zu reden. Maike Kohl-Richter, die Frau des Aktkanzlers, habe das Bild ohne Brille im Gespräch mit den Worten kommentiert: "Das hätte man nie veröffentlichen dürfen. So schaut man höchstens seine Frau an." Nach dem Besuch schrieb der Fotograf einen Brief an Frau Kohl-Richter: Sie habe ja völlig recht, Helmut Kohl schaue auf dem Foto seine Frau an - "die hieß nur Hannelore . . ." Das war es dann, weitere Einladungen nach Oggersheim wird es wohl nicht mehr geben, manchmal wäre Schweigen Gold, aber in dieser Disziplin ist der Mann, den Kohl nur Maître nannte, nicht ganz so gut.

Der Berliner Fotograf Konrad Rufus Müller. (Foto: Martin Lengemann/laif)

Wer mit den Mächtigen einen vertrauten Umgang pflegt, eine "Beziehung auf Augenhöhe" mit exklusiven Zugängen, setzt sich auch der Gefahr aus. Man weiß irgendwann nicht mehr so wirklich, ob man mit diesem Menschen jetzt eine Art Freundschaft hat - oder ob man ein Zweckbündnis eingegangen ist, das beiden Seiten nutzt. Wenn Konrad Müller über Gerhard Schröder spricht, dessen Aufstieg vom niedersächsischen Oppositionsführer zum Staatsmann er aus räumlicher und emotionaler Nähe erlebt hat, dann klingt eine riesige Enttäuschung durch. Kein Fotograf hat die Kraft und Impulsivität des Bauchpolitikers Schröder plastischer herausgearbeitet als Müller. Man fuhr gemeinsam mit den Ehefrauen nach Positano in den Urlaub, rauchte Zigarren, trank Rotwein und besuchte Wladimir Putin in St. Petersburg. Konrad Müller ist aber einer, der erwartet, etwas zurückzubekommen von den Menschen, die er immer etwas besser aussehen lässt als im wirklichen Leben. Und sei es nur Aufmerksamkeit in Form eines Briefes, den nicht der Büroleiter des Bundeskanzlers schreibt.

Neben Mitterrand ist ihm nur ein anderer Politiker begegnet, mit dem es bis zuletzt ein inniges Verhältnis gab, so etwas wie Treue. Das war der österreichische Kanzler Bruno Kreisky. Es gibt ein Bild des bereits von seiner Krankheit Gezeichneten, er sitzt vor einem uralten Olivenbaum auf Mallorca, eine knorrige Erscheinung. "Wie ein Prophet aus dem Alten Testament", erzählt Müller. Seine Kreisky-Studien sind deshalb so bewegend, weil sie zeigen, was mit den Machtmenschen und Charismatikern am Ende passiert. Sie müssen die Schwäche in ihr Leben lassen, den Verlust ihrer Aura akzeptieren, und einigen gelingt das sichtlich besser als anderen.

Die Mitterrand-Ausstellung sieht der Fotograf als Bestätigung für sein Lebenswerk. Und als Entschädigung für die "Missachtung, die ich in Deutschland erfahre". Seine Adenauer-Fotos, zum Beispiel, würde er gerne 2017 zeigen, wenn sich der 50. Todestag des Kanzlers jährt - doch es gebe einfach kein Interesse, weder bei Museen noch Stiftungen. "Das tut mir wahnsinnig weh, ich würde überall hingehen, um meine Fotos zu zeigen. Ich dachte, ich kann mein Lebenswerk in gute Hände geben, aber es interessiert sich ja keiner dafür." Seine Bilder gehörten nicht ins Depot, sondern unters Volk. Müller selbst fühlt sich viel zu lebendig für den Ruhestand, den er sich als freischaffender Künstler finanziell ohnehin nicht leisten könne. "Gebt mir Aufträge, lasst mich ausstellen. Ich fotografiere alles", ruft der 76-Jährige.

Müller ist der Typ Mann, der sich auch mal das Hemd herunterreißt und die Narben seiner Herz-OP zeigt - einer seiner Fotoschüler hat dieses Porträt gemacht, man findet es ganz am Schluss von "Licht Gestalten", dem Buch mit seinen besten Fotos. Man sieht auch auf diesem Bild: Er hat sich gut gehalten. Seine eigenen Verletzungen trägt er mit Würde, doch darunter schimmert noch etwas durch: Gier nach Leben, Wut und Leidenschaft.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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