Porträt:Die Unverwüstliche

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Seit fast 60 Jahren steht Dolly Parton auf der Bühne, Generationen von Amerikanern verehren die Country-Sängerin auch für ihre Toleranz und Offenheit.

Von Roman Deininger

Wenn Dolly Parton am Telefon in Nashville lacht, was sie eigentlich vor jedem längeren Satz tut, muss man sich in München am Stuhl festkrallen, um nicht weggespült zu werden. Parton schickt ihre gute Laune und Zuversicht in Flutwellen über den Atlantik. Es geht um Liebe jetzt, ein Thema, das sie seit bald sechzig Jahren besingt, und um die Frage, ob das nicht langsam mal auserzählt ist. Haha! "Ich bin hoffnungslos verliebt in die Liebe", ruft sie mit ihrer bergseeklaren Stimme, die jedes gesprochene Wort in die Nähe des Gesungenen rückt. "Die Liebe wird doch nie alt."

Ewig frisch ist auch die amerikanische Liebe zu Dolly Parton, mehr als 100 Millionen Alben hat sie verkauft. Sie ist ein Idol für Alte und Junge, Heteros und Schwule, Trump-Fans und Clinton-Wähler, Trucker und Hipster. Amerika ist gespalten in allen Fragen, nur in der Zuneigung zu dieser Frau nicht. Ihre aktuelle Tour - die erste große seit 25 Jahren - durch 60 amerikanische Städte ist ein kleiner bis mittlerer Triumphzug. Wäre sie in der Politik, führte Parton die ganz große Koalition. Das ist die Frage, die man klären will in diesem Ferngespräch: Wie macht sie das?

Zunächst mal hat sie einfach lange durchgehalten. Als Parton das erste Mal auf eine Bühne trat, war Dwight D. Eisenhower US-Präsident, heute teilt sie die Bühne gern mit ihrer Patentochter Miley Cyrus. Musikalisch hat sie alles mal probiert, was mit viel gutem Willen mit Country zusammengeht, Soul, Boogie, Disco. Ihr neues Album hat sie mit nicht übermäßig versteckter Programmatik "Pure & Simple" genannt. "Ich habe mich an die frühen Tage meiner Karriere erinnert, dahin wollte ich zurück." Schon seit Jahren beobachten Dolly-Exegeten bei ihr eine Abkehr vom Bombast des Gegenwarts-Country und eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln, die ziemlich genau aus einer Gitarre und einer Stimme bestehen. Wenn man schonungslos offen wäre, könnte man sagen, dass diese Stimme nicht mehr ganz so kräftig ist wie früher. Aber sie ist immer noch butterweich und zuckersüß.

Ein Song auf ihrem neuen Album heißt nicht: Ich bin 70. Er heißt vielmehr: Ich bin 16

Redet man mit Dolly Parton über das Altern, wird es besonders lustig. Und so laut, als wolle sie beweisen, was ihre Stimme noch hergibt. Haha! "Man ist nicht alt, wenn man sich nicht dafür entscheidet, alt zu sein", sagt sie, das ist auch eine Zeile aus dem neuen Album. Parton hat den betrefflichen Song nicht "I'm seventy" genannt, was faktisch korrekt wäre. Er heißt: "I'm sixteen".

Parton, die mal einen Dolly-Parton-Ähnlichkeits-Wettbewerb verloren hat, trotzt der Flüchtigkeit des Lebens, sie sieht von Jahr zu Jahr mehr aus wie ein Christbaum, der lückenfrei mit Lametta und anderem Glitzerzeug zugehängt ist. Alles ist überdimensional an ihr, Brüste, Lippen, Brauen; die Haare brauchen eigentlich ein eigenes Stockwerk. Ein Klassiker ist Dollys Witz, sie wisse nicht, wie lange es dauert, diesen Turm von einer Frisur zu errichten. Sie sei ja nie dabei.

Parton ist eine wandernde Leistungsschau der kosmetischen Chirurgie, ein grelles, aber höchst stimmiges Kunstwerk, an dem die meisten Einzelteile nicht echt sind, dafür aber die Summe umso mehr. Das Authentische ist ja stets das Ziel volkstümlicher Musik, nicht selten enden einschlägige Bemühungen in Parodie. Parton beginnt mit der Parodie und kommt am Ende ziemlich authentisch rüber.

In der Country-Musik war Ironie bis zu ihrem Song "Dumb Blonde" nicht zu finden

"Man ist nicht alt, wenn man sich nicht dafür entscheidet, alt zu sein." Dolly Parton mag von der guten alten Zeit singen. Deshalb hat sie sich noch lange nicht von dem Gefühl verabschiedet, jung zu sein. (Foto: David Gahr/Getty Images)

Einer ihrer ersten Songs hieß "Dumb Blonde", doofes Blondchen, das war ein Maß an Selbstironie, das man im Country früher gar nicht und noch heute kaum findet. Dolly sagt, sie könne so was gefahrlos singen: "Ich selbst weiß ja, dass ich nicht dumm bin. Und nicht blond." Die Äußerlichkeiten laden zu dem Missverständnis ein, Parton sei Teil des Country-Establishments, das sich in Cowboy-Klamotten hüllt, deren bayerische Entsprechung das Plastik-Dirndl wäre. Der erste Eindruck trügt, das macht Parton so interessant.

Es sei teuer, so billig auszusehen, witzelt sie gern. Aber ihr wahres Kunststück ist: billig auszusehen und dabei die Würde nie zu verlieren.

Partons Glaubwürdigkeit speist sich auch aus ihrem wundersamen Aufstieg, aus der Kindheit mit elf Geschwistern in den Smokey Mountains von Tennessee, in einer Hütte ohne Strom und Klo. Dem Album "Pure & Simple" liegt eine Greatest-Hits-CD bei, darauf ist natürlich auch "Coat of Many Colours", jenes Frühwerk, in dem sie davon erzählt, wie ihre Mutter ihr aus bunten Stofffetzen einen Wintermantel näht, für den die kleine Dolly in der Schule dann verspottet wird. Was sie nicht stört: "Obwohl wir kein Geld hatten, war ich so reich, wie ich nur sein konnte."

Dolly Parton singt immer von der guten alten Zeit, ohne zu verschweigen, dass es in der guten alten Zeit auch vielen schlecht ging. Ihre Lieder kreisen um Klischees, aber oft genug nimmt sie diese Klischees und zerlegt sie gründlich.

Ja, sie singt seit bald 60 Jahren über Liebe, aber eben auch über weibliche Selbstbestimmung. "Just Because I'm a Woman" oder "Nine to Five", das waren Songs, in denen Frauen mehr vom Leben einforderten, als die Gesellschaft ihnen gewähren wollte. Parton selbst hat keine Kompromisse gemacht: Sie ist, was sie ist, weil sie es sein will - seit sie als junges Mädchen eine aufgetakelte Landprostituierte einfach nur schön fand. Das ist ein Privileg im Showgeschäft, wo viele nur in Rollen schlüpfen, die Marketingstrategen vorgeschneidert haben. Elvis Presleys Manager wollten ihr einst ihren Hit "I will Always Love You" günstig abluchsen. Parton sagte Nein. Nein zu Elvis Presley.

Dolly Parton ist eine selbstbewusste Geschäftsfrau. Aber ist sie eine politische Sängerin? Nein - und doch ja. Denn wenn man alles zusammen nimmt, dann ist sie eine politische Stimme. Für Gleichberechtigung, für Toleranz, für Mäßigung.

Über Donald Trump und Hillary Clinton will sie nicht sprechen, schon gar nicht Stellung beziehen. Seit Monaten wird jeder Satz von ihr zum US-Wahlkampf auf eine versteckte Unterstützungserklärung hin umgegraben. Dabei unterstützt Parton höchstens den gesunden Menschenverstand, konkreter will sie nicht werden. Vor ein paar Tagen sagte sie bei CNN, beide Kandidaten seien "verrückt" - verrückt im Sinn von abgehoben, den Probleme der einfachen Leute entrückt.

Parton will es sich mit keinem Flügel ihrer ganz großen Koalition verscherzen, das ist verständlich. Aber ist es nicht auch ein klein bisschen feige?

Feministin, Republikanerin, Bürgerrechtlerin - das ist ihr alles zu hoch gehängt

Mit Etiketten kann sie nicht viel anfangen, Demokratin, Republikanerin, das macht sie nicht mit. Feministin, Bürgerrechtlerin, auch alles zu hoch gehängt. Parton sagt schlicht, wie sie die Dinge sieht: "Wir sind nicht Gott, wir sollten nicht über andere Menschen urteilen. Wir sind alle Gottes Kinder, und wenn wir nicht wir selbst sein dürfen - wer sollen wir dann sein? Wir sollten Verschiedenheit nicht nur akzeptieren, wir sollten sie feiern."

Und das tut sie. In ihrem Freizeitpark Dollywood, der kleinen, heilen Welt in Tennessee, lädt sie zu "Gay Days", einer Veranstaltung, die manche Südstaatler dazu bringt, sich in den Luftschutzkeller zu flüchten. Parton sah sich deshalb Boykotten ausgesetzt, Demonstrationen und Morddrohungen, einmal ist der Ku-Klux-Klan vor den Toren Dollywoods aufmarschiert. Sie hat sich nicht beirren lassen. "Ich bin es gewohnt, dass meine christlichen Brüder mich kritisieren", sagt sie. "Ich erinnere sie dann an die Gebote des Herrn: Sollten wir uns nicht alle lieben?"

Parton will nicht noch ein Popstar mit noch einer Meinung sein. Sie kann sich das leisten, sie ist eine amerikanische Ikone, sie ist auf sehr blonde Art extrem präsidentiell: "Wir machen gerade ganz schön was mit in Amerika, auch bei euch in Deutschland, auf der ganzen Welt. Überall Krisen, überall Terrorismus. Aber ich vertraue darauf, dass am Ende alles okay sein wird. Denn wenn wir etwas falsch machen, können wir daraus lernen und es richtig machen. Ist es nicht so, Darling?"

Bei Parton weiß man nie so recht, wo die Grenzen zwischen heiligem Ernst und fröhlicher Ironie verlaufen, das ist ganz praktisch für sie, weil Trucker und Hipster die Grenzziehung dann je nach Geschmack selbst erledigen können.

"Ich bete, dass alles gut wird", sagt Dolly Parton. "Das hilft immer."

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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