Philosophischer Alltag:Mehr als nur Mist

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Der Titel des vorliegenden Buchs klingt mehr nach Bushido als nach Philosophie: "Scheiß auf die anderen." Es steckt aber mehr darin, als die Aufmachung vermuten lässt. Nämlich ein kluger Anti-Ratgeber, der Mut zur Gelassenheit macht.

Von Christian Mayer

Das neue Jahr soll wieder mal gut anfangen, alles soll künftig mit Leichtigkeit geschehen. Und deshalb schnürt man seine Turnschuhe, holt das Fahrrad raus, fährt mit altem Zeugs zum Wertstoffhof, kauft dann aber wieder Bücher, die Besserung versprechen, konsultiert Ernährungs- und Erziehungsratgeber, stellt seine Einrichtung und seine Ausrichtung infrage und schaut sehnsüchtig aus dem Fenster, bis alles wieder so ist wie immer.

Ein Buch verspricht nun Hilfe aus dem ewigen Dilemma, alles immer besser machen zu müssen. "Scheiß auf die anderen", heißt der Titel im besten Bushido-Deutsch. Der Untertitel dagegen richtet sich an die Zielgruppe der Gestressten und Überforderten: "Sich nicht verbiegen lassen und mehr vom Leben haben". Dazu hat der Verlag einen treuherzigen Schoßhund auf einem Kissen abgebildet, und spätestens bei diesem Anblick hat man Mitleid mit der Autorin Rebecca Niazi-Shahabi, die eigentlich zu klug für diesen Marketing-Blödsinn ist.

Nichts liegt der Autorin nämlich ferner als die einfachen Erklärungen, die plakativen Lösungen. Dieses Buch ist, anders als der Titel vermuten lässt, ein Anti-Ratgeber, eine Aufforderung zur heiteren Gelassenheit, eine Abkehr vom Anspruchsdenken. Und eine ehrliche Selbstbefragung, die sich der Antwort beharrlich verweigert wie einst der legendäre Bartleby in Herman Melvilles Erzählung: "Warum wird eigentlich von allen Seiten meine Selbstentfaltung gefordert - und wer könnte daran ein besonderes Interesse haben?" Die Autorin, die aus einer deutsch-iranisch-israelischen Familie stammt, zeichnet auf unterhaltsame, manchmal aber auch etwas weitschweifige Weise das Bild ihrer Generation. Einer Generation, die unter den vielen Freiheiten leidet. Und die sich aus einem inneren Zwang heraus einen ungeheuren Druck macht, sich selbst zu optimieren (und andere gleich mit).

Man kann dieses Buch in einem Rutsch lesen, dann erfährt man auch etwas über den Werdegang der Autorin, die sich mit Karl Marx fast so gut auskennt wie mit den Lehren amerikanischer Management-Gurus und deutscher Erfolgs-Blogger. Man kann aber auch gleich zum Wesentlichen kommen. Zu den letzten zwei Kapiteln. Da steht alles drin, mehr braucht's nicht. "Auf der Suche nach sich selbst muss man nicht um die Welt reisen, man muss auch nicht kreativ sein, um sich selbst zu verwirklichen. Es ist auch nicht notwendig, sich von alten Kindheitsmustern zu befreien, seine wahren Talente zu entdecken, seinen Körper zu lieben, mit sich selbst ins Reine zu kommen, seine Ängste zu überwinden und seine Blockaden aufzulösen, um endlich richtig zu leben." Das klingt gut! Also weg mit der ganzen Ratgeber-Literatur, die ja immer auch eine Schuldzuweisung an sich selbst ist: "Verweigerung ist das stärkste Bekenntnis zu mir selbst."

Mut zur Lücke. Schluss mit dem Selbstbefreiungswahn. Zum Teufel mit den Lebenshilfe-Apps. Das kann man übrigens auch vornehm sagen. Aber was macht man dann mit diesem Buch?

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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