Oswalt Kolle ist tot:Der Aufklärer

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Mit Werken wie "Deine Frau, das unbekannte Wesen" half er dabei, den Muff aus den deutschen Betten zu holen - gegen mächtigen Widerstand von rechts und von links. Nun ist Oswalt Kolle, Pionier der sexuellen Revolution in Deutschland, gestorben.

Thomas Kirchner

Oswalt Kolle war kein Sexologe, zumindest kein akademischer. Der Sohn des bekannten, auch in München wirkenden Psychiaters Kurt Kolle war gelernter Landwirt und Journalist, nach einem Studium stand ihm nie der Sinn. Er hatte für bunte Blätter geschrieben und sich als Klatschreporter einen Namen mit Geschichten über die Stars der fünfziger Jahre gemacht, bis er sein Thema fand - das dem hübschen Kerl auch deshalb lag, weil er ein leidenschaftlicher Liebhaber war, der auch mal mit einem Mann ins Bett gehen wollte. Das mit dem Sex war nichts anderes als eine Marktlücke. Er spürte das spätestens, als er die Leserinnen der Neuen Revue aufforderte, von ihren Bett-Erfahrungen zu erzählen. Es kamen Tausende Zuschriften. Und es stand viel Deprimierendes darin.

Er galt als "Aufklärer der Nation": Oswalt Kolle half den Deutschen dabei, den Muss aus ihren Betten zu vertreiben. (Foto: dpa)

Über die weibliche Lust war damals wenig bekannt. Der Kirche galt sie als Sünde, wie Masturbation und Homosexualität. Die Liebe war gröbstes Handwerk hinter verschlossenen Schlafzimmertüren, man sprach nicht so gerne darüber. Also erzählte Kolle den Menschen von den mannigfaltigen Spielarten des Geschlechtlichen, in einer Sprache, die alle verstanden. Und von der Zärtlichkeit, seinem eigentlichen Anliegen. Eine ,,neue Kultur der Zärtlichkeit'' wollte er schaffen, den Leuten die Angst nehmen vor der Nähe, sie einfach mal reden lassen über ihre körperlichen Bedürfnisse. So wurde er zum ,,Aufklärer der Nation''. Mit Filmen wie ,,Deine Frau, das unbekannte Wesen'' oder ,,Wunder der Liebe'' erreichte er weltweit 140 Millionen Menschen.

Aus heutiger Sicht ist klar, wie viel Kolle geleistet hat. Natürlich war er nicht der Einzige, der den Muff aus Deutschlands Betten holte. Aber er trug wesentlich dazu bei. Der Widerstand war hartnäckig und mächtig, von rechts und links. Die Bild-Zeitung, für die er selbst gearbeitet hatte, fuhr Kampagnen gegen ihn. Die katholische Kirche hetzte ihm den Staatsanwalt auf den Hals. Er hatte ständig Ärger mit der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Aber auch die Studentenbewegung kritisierte ihn heftig. Ihr galt er als Spießer, der die Ehe retten wollte, diese ewig-gestrige, repressive Institution. So saß er zwischen allen Stühlen, und als sich die Deutschen schließlich aufgeklärt genug fühlten, verloren sie langsam das Interesse an ihm. Da war er schon abgehauen, mit der Familie nach Campione d'Italia gezogen. Im Herbst 1968 hatte er sein Erweckungserlebnis. Als er seinen jüngsten Aufklärungsfilm in einem Amsterdamer Kino vorstellte, war er gerührt von der Begeisterung, die ihm entgegenschlug. ,,Phantastisch, diesen Mann brauchen wir'', sagten die Holländer, und Kolle dachte: ,,Mit so toleranten Menschen möchte ich leben.'' In den Niederlanden, so eines seiner Lieblings-Bonmots, sei ,,alles erlaubt, auch wenn's verboten ist. In Deutschland ist alles verboten, auch wenn's erlaubt ist.''

Kolle holte Frau und Kinder nach und hollandisierte sich so weit, dass er am Ende sogar die deutsche Staatsangehörigkeit abgab. Im Jahr 2000 erhielt er von der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung die Magnus-Hirschfeld-Medaille. Ansonsten wurde ihm in Deutschland wenig Ehre zuteil. Daran hat er gelitten, er gierte nach Aufmerksamkeit, nach Zuneigung.

Bis in die Ära Kohl hinein blieb er FDP-Mitglied; in den vergangenen Jahren faszinierte ihn nur noch die Politik in seiner neuen Heimat, wo er sich der linksliberalen D66 anschloss und mit großem Bangen auf das Erstarken des Rechtspopulismus schaute. Nach schwierigen Zeiten in den Siebzigern fand er allmählich wieder Halt an der Seite seiner geliebten Frau Marlies, die ihm vertraglich zugesichert hatte, alle Seitensprünge zu verzeihen. Und davon gab es nicht wenige, etwa jenen heißen Flirt mit Romy Schneider, über den er in seiner im vergangenen Jahr erschienenen Autobiografie mit einigem Stolz berichtete.

Bei seinem Thema blieb er, ließ sich fleißig als Experte zu Fernsehsendungen in Deutschland einladen. Er musste ja Geld verdienen, denn die Erträge aus den guten Zeiten hatte er verjubelt, fühlte sich immer betrogen von Verlagen und Beratern. Sein jüngstes Buch handelte vom Sex im Alter - offen, ehrlich, ohne Tabus, ein Plädoyer für den Dialog in der Liebe, garniert mit einigen durchaus interessanten Ratschlägen. Auch das gemeinsame Porno-Schauen gehört dazu. Ob er damit auch die gequälten Scheußlichkeiten auf Youporn.com meinte? Die neue Welt des Online-Sex steht quer zu seinem naiven Glauben an das allzeit Gute im Geschlechtlichen.

Seine Marlies starb schließlich 2000 an Krebs. Sie gab sich selbst eine Überdosis Morphium. Ein humanes Sterben, das wurde Kolle immer wichtiger in den späten Jahren. Im Frühjahr, bei einem Besuch in seiner Amsterdamer Wohnung, erzählte er mit leuchtenden Augen von einem TV-Auftritt, bei dem er den damaligen Augsburger Bischof Mixa mal so richtig niedergemacht habe. Eine kleine Rache. Er lachte viel, hustete viel - die jahrzehntelange Raucherei hat ihn die halbe Lunge gekostet - und wirkte tatendurstiger denn je. Ein Fernseh-Mehrteiler sei geplant, ein Buch. Das hatte er nun fertig geschrieben, zusammen mit Beatrice Wagner. ,,Sex - die zehn Todsünden'' heißt es. Im August fand ihn seine Koautorin im Bett. Er hatte sich einen Wirbel gebrochen. Die Ärzte in Amsterdam wollten ihn nicht operieren, er hatte wohl auch Angst vor der Narkose. Am 24. September schlief Kolle friedlich ein. An diesem Samstag wäre er 82 Jahre alt geworden.

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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