Offene Freundschaft:Er

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Die Leidenschaft ist weg. Geht man jetzt auseinander? Ein Paar hat sich für getrennte Betten entschieden - ohne sich zu trennen. Hier erzählt er seine Geschichte. Und wie es sich anfühlte, als er ihrem neuen Glück im Weg stand.

Sie war eine Woche in Marokko, und letztlich veränderte genau diese Woche unsere Beziehung nachhaltig. Sie kam anders zurück, energetischer, aufgekratzter. In ihren Erzählungen fiel häufig der Name eines Mannes. Mir war klar, dass zwischen meiner Freundin und diesem Mann etwas gelaufen war. Aber ich fragte nicht nach. Wir hatten zuvor hin und wieder darüber gesprochen: Was ist, wenn einer von uns beiden fremdgeht? Wenn einen von uns die Lust auf einen anderen Menschen packt? Als sie nach Marokko fuhr und diesem anderen Mann begegnete, waren wir zwölf Jahre zusammen. Wir wussten beide, dass es passieren könnte. Die Liebe hatte gehalten, die Freundschaft, das Zusammensein, aber nicht die Leidenschaft.

Auch ich hatte schon Erfahrung gemacht mit der Lust auf eine andere Frau. Und ich war beileibe nicht der Einzige in meinem Freundeskreis: Eigentlich war jeder schon mal in Versuchung geraten, und erstaunlich viele waren der Versuchung auch erlegen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie man als Paar damit umgeht, wenn die Leidenschaft abhandenkommt. Wir waren uns einig, zumindest in der Theorie: Mal Fremdgehen wäre kein Trennungsgrund. Dafür passten wir einfach in allem anderen viel zu gut zusammen. Ich muss oft an die Frage denken, die mir ein Freund mal gestellt hatte: Was wäre dir lieber: Dass deine Freundin mit einem anderen schläft und dabei an dich denkt? Oder dass sie mit dir schläft und an einen anderen denkt? Damals fiel mir die Antwort nicht so leicht wie heute: Variante eins ist mir lieber.

Dass es passieren konnte, war uns immer klar, doch wie damit umgehen? Ich wollte davon nichts wissen, es sei denn: Sie hätte sich ernsthaft verliebt. Das war dann der Grund für sie, mir Monate nach der Woche in Marokko zu erzählen, was gelaufen war. Ich war von einem Flirt ausgegangen, aber es war mehr. Als sie mir von diesem Mehr erzählte, wurde mir bewusst, warum ich es eigentlich nicht wissen wollte. Weil die Auseinandersetzung auf einmal real wurde und nicht mehr nur ein Gedankenspiel blieb. Auf einmal gab es einen Mann, ich fragte mich, was er hatte und ich nicht, ich begann, nach Fotos von ihm im Netz zu suchen. All das, was diese Situation so unwürdig und so klassisch macht.

"Die erste Zeit war alles andere als leicht für mich. Denn es war natürlich so, dass ich ihrem neuen Glück im Weg stand."

Sie sagte, sie wolle ihre Gefühle zu dem Mann leben, aber sie wolle mich und die Kinder nicht verlassen. Dass wir welche haben, ist nicht unwesentlich. Rückblickend kann ich behaupten: Ohne Kinder wäre es anders gelaufen. Ich weiß nicht, ob wir uns ohne Kinder noch eine Wohnung teilen würden. Damals, als sie mir von ihrem Verliebtsein erzählte und ich spürte, wie sehr es mich verletzte, war mir klar, dass wir diese Form der Partnerschaft versuchen mussten.

Diese erste Zeit war alles andere als leicht für mich. Denn es war natürlich so, dass ich ihrem neuen Glück im Weg stand, ich verkörperte den Alltag, die Verpflichtung, und es gab Momente, in denen sie mich das spüren ließ. Sie wollte Freiheit und davonschweben, ich war die Kette, die sie davon abhielt. Die Erfahrung zeigte: Lebt der eine Partner ein Leben jenseits der Familie, gerät der andere in die Rolle des Hüters ebendieser, damit die Fliehkräfte nicht zu groß werden. Es dauerte Monate und einen großen Streit, bis wir es schafften, eine Balance aus altem und neuem Leben herzustellen, organisatorisch und emotional.

Zum Streit kam es nach fünf oder sechs Monaten. Sie hatte mir ein Mal mehr das Gefühl gegeben, mit meiner kontrollierten, asketischen Art eine Spaßbremse zu sein, und es schwang natürlich mit, dass der andere das Gegenteil davon war. Ich sagte: Merkst du eigentlich, was ich alles ertrage, welche Verletzungen ich auf mich nehme? Sie sagte in einem kalten Ton, der mich erschreckte: Selbst schuld, wenn du es tust. Hatte sie sich so sehr von mir entfernt und ihre Sensibilität verloren? Dass ich das alles für uns und die Kinder ertrüge, antwortete ich. Und dann sah ich, wie es Klick machte und sie still wurde. Es war der Wendepunkt. Weil wir beide verstanden hatten, worauf es ankommt: auf die Balance. Das heißt: sich von der emotionalen Euphorie nicht davontragen lassen und begreifen, dass es letztlich eine Teilzeitfreiheit ist, die auch von Dritten akzeptiert werden muss. Es ist ein Ausprobieren, weil es keine Rollen sind, für die es Vorbilder gibt, und weil es von allen Beteiligten Verzicht bedeutet. Manchmal gibt es Liebe nur partiell und zeitweise.

Wir haben mittlerweile das gemeinsame Schlafzimmer aufgelöst, jeder hat ein eigenes Zimmer. Wir leben zusammen, aber wir sind kein Liebespaar mehr. Ich werde oft gefragt, ob das klappt. Mittlerweile kann ich Ja sagen. Weil wir uns gut verstehen, weil wir über fast alles reden können, weil wir uns schätzen und lieben wie sich tief verbundene Freunde schätzen und lieben. Und für die Kinder ist es das Beste, denn für sie hat sich nichts geändert. Ob Mama und Papa das Bett teilen oder nicht, ist ihnen egal.

Der andere spielt in ihrem Leben keine Rolle mehr, er wollte irgendwann nicht mehr. Dafür gibt es inzwischen in meinem Leben eine andere Frau. Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Mittlerweile sind wir so weit, dass wir uns für den anderen freuen können, wenn er glücklich ist, auch wenn das Glück eines oder einer Dritten bedarf. Dafür haben wir uns behalten. Es gibt nicht so vieles, auf das ich stolz bin in meinem Leben, weil mir Stolz ein eher fremdes Gefühl ist, aber in diesem Fall kann ich sagen: Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umsehe, all die Scheidungen und Verletzungen und Anwaltstermine zwischen Menschen, die sich über viele Jahre so vertraut waren, weiß ich: Es gibt eine Alternative, die sich lohnt.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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