O:Obergrenze

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(Foto: Steffen Mackert)

Was die CSU so vehement einfordert, ist de facto bereits Realität: Die Zahl der Flüchtlinge sinkt 2017.

Von Bernd Kastner

Der politische Kampfbegriff aus der Hochphase der Flüchtlingskrise hat es bis in die Gegenwart geschafft. Vor allem Horst Seehofer ist es, der damit die Bundeskanzlerin piesackt. Dabei hat der CSU-Chef die Obergrenze keinesfalls erfunden, auch nicht die damit transportierte Forderung, dass Deutschland nur eine bestimmt Zahl von Flüchtlingen aufnehmen soll. Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister der CDU, hat schon im August 2014 eine Obergrenze angeregt, 2015 hat dann die CSU die Forderung aufgegriffen.

Es folgten eindeutige Ankündigungen: Maximal 200 000 Flüchtlinge pro Jahr, sonst keine Koalitionsbeteiligung, sagte Seehofer. Angela Merkel kontert bis heute: keine Obergrenze mit mir. Bleiben beide dabei, müsste sich nach einem Wahlsieg Merkels die Unionsfraktion in einen CDU- und einen CSU-Teil spalten. Doch diesen Sommer hat Seehofer die Obergrenze herabgestuft, von der Koalitionsbedingung zum politischen Ziel. Das eröffnet Spielräume.

Trotz all der Debatten ist nicht geklärt, wie diese Grenze eigentlich definiert würde. Wie wäre sie vereinbar mit dem Grundrecht auf Asyl? Welcher Ankommende würde zu den 200 000 gerechnet? Jeder? Oder nur die, denen Schutz gewährt wird? Und was passiert, wenn die Grenze erreicht ist? Je offener die Fragen, desto mehr Definitionsspielraum haben Merkel und Seehofer nach der Wahl.

Wie auch immer: Die entscheidende CSU-Forderung, nämlich maximal 200 000 Flüchtlinge pro Jahr, wird faktisch bereits erfüllt, seit die Balkanroute geschlossen ist und auch die Türkei ihre Grenze kontrolliert. In den ersten acht Monaten 2017 kamen etwa 124 000 Asylsuchende in Deutschland an, hochgerechnet aufs Jahr sind das weniger als 200 000. Schon seit April 2016 liegt die Zahl der Ankommenden auf gleichbleibendem Niveau: etwa 15 000 pro Monat. Bis August kamen 2017 die meisten Flüchtlinge aus Syrien (rund 31 000), gefolgt von anderen Krisen- und Kriegsländern: Irak, Afghanistan, Eritrea. Jene Staaten, die als sichere Herkunftsländer eingestuft wurden - die Länder des Westbalkans also - oder eingestuft werden sollten - die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien, Tunesien -, finden sich in der Top-Ten-Liste gar nicht mehr. Die Bleibechancen der Flüchtlinge sind, statistisch betrachtet, nicht schlecht. Von Januar bis August 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 480 000 Asylanträge entschieden. Rund 44 Prozent aus dieser Gruppe, von denen viele noch 2016 oder früher eingereist sein dürften, bekamen Schutzstatus.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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