Mutter zwingt Tochter zur Diät:Das Kind als Marke

Lesezeit: 4 min

Acht Kilo hat Bea in einem Jahr abgenommen, obwohl sie erst sieben Jahre alt war. Ihre Mutter Dara-Lynn Weiss hat sie dafür zu einer Diät gezwungen, kontrolliert und erniedrigt. In der aktuellen Ausgabe der US-"Vogue" preist sich die New Yorkerin für ihren Diät-Erfolg. Doch sogar die Erfinderin der Kinderdiät kritisiert sie.

Martina Pock

Als die amerikanische Juristin Amy Chua - besser bekannt als "Tiger Mom" - vor einem Jahr das Buch "Die Mutter des Erfolgs" herausbrachte, brach sie eine weltweite Diskussion los und warf viele Fragen auf: Wie viel Autorität braucht ein Kind? Welchen Stellenwert soll Leistung in der Erziehung von Kindern einnehmen?

Stein des Anstoßes: Dara-Lynn Weiss' Artikel in der April-Ausgabe der US-"Vogue". (Foto: Vogue)

Nun tritt womöglich eine andere amerikanische Mutter in Amy Chuas Fußstapfen. Die Produzentin Dara-Lynn Weiss berichtet in einem Artikel in der April-Ausgabe der US- Vogue detailiert über das Erfolgsrezept, mit dessen Hilfe ihre damals sieben Jahre alte Tochter Bea in einem Jahr acht Kilo abgenommen hat. Ihre Erfahrungen will die ehrgeizige Mutter nun in einem Buch veröffentlichen. Der vorläufige Arbeitstitel: "The Heavy".

Bea wog bei einer Größe von etwa 1,30 Metern knapp 50 Kilo. Eines Tages kam das Mädchen weinend von der Schule nach Hause, ein Junge hatte sie "fett" genannt. Für ihre Mutter war dies ein Weckruf: "Übergewicht ist keine Privatsache. Jeder kann es sehen", erklärt Weiss in der Vogue.

Es folgten Monate der Kontrolle, des Kalorien-Zählens, bis hin zu öffentlichen Erniedrigungen, beispielsweise, als sie ihrer Tochter bei einer Kinder-Geburtstagsparty vor allen anderen Anwesenden in einer hitzigen Debatte erklärte, warum sie kein zweites Stück Kuchen essen dürfe. Zu Hause wurden die Portionen für Bea halbiert, Desserts verschwanden fast vollständig vom Speiseplan. Auch der wöchentliche "Pizza-Freitag" in der Schule war von nun an für das Mädchen gestrichen.

"Manchmal hätte ich nur allzu gern dem Bitten meiner Tochter um ein Stück Kuchen nachgegeben, allein schon, damit ich selbst die Hälfte davon hätte essen können", gibt die Mutter zu. Doch sie blieb hart - auch bei sich selbst. Dara-Lynn hatte in den Jahren zuvor einen harten Kampf gegen ihr eigenes Gewicht ausgetragen. Sie experimentierte mit Weight Watchers, Atkins-Diät, Saft-Kuren, auch mit Appetitzüglern, so dass Weiss das Essverhalten der eigenen Tochter aus den Augen verloren hatte, wie sie in der Vogue schildert.

Bloß keinen emotionalen Druck

In ihrem Essay gab Weiss an, bei ihrer Tochter die sogenannte "Red Light, Green Light, Eat Right"-Diät der amerikanischen Kinderärztin Joanna Dolgoff angewendet zu haben. Dabei handelt es sich um ein Programm speziell für Kinder, bei dem diese lernen, eine kindgerechte Ernährung nach dem Ampel-System zusammenzustellen.

Dolgoff äußerte sich in der Huffington Post zu Weiss' Artikel. Dabei monierte die Medizinerin, dass die Mutter viele wichtige Kern-Aspekte ihres Programms außer Acht gelassen habe. Der Erfolg des Programmes basiere auf Einfühlungsvermögen und Flexibilität und nicht auf emotionalem Druck. Weiss und ihre Tochter Bea waren zwar in Dolgoffs Programm integriert, doch ließen sie viele der wöchentlich vorgesehenen Kontrolltermine aus.

Die mangelnde Kontrolle glich Weiss durch Strenge aus: Einmal strich sie ihrer Tochter das Abendessen, nachdem sie erfahren hatte, dass die Kinder an Beas Schule bei einem "Frankreich-Tag" Brie, Filet Mignon, Baguette und Schokolade im Umfang von 800 Kalorien zu essen bekommen hatten. Bei einem Besuch bei Starbucks riss sie ihrer Tochter einen Schokolade-Shake wieder aus der Hand und warf ihn in den Müll, weil ihr der Angestellte nicht die genaue Anzahl der darin enthaltenen Kalorien sagen konnte.

Susanne Klaus, Leiterin des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam (DIfE), hält es für falsch, Kinder auf Diäten zu setzen: "Dadurch können Essstörungen vorprogrammiert werden." Kinder seien in diesem Alter im Wachstum und sollten daher zu- und nicht abnehmen. Wenn sich ein Kind ausreichend bewege und normalen Aktivitäten nachginge, würde es auch nicht dick werden. "In diesem Fall muss also etwas fehlgelaufen sein", so die Professorin. Abgesehen von mangelnder Bewegung und falscher Ernährung könne das Problem auch in der Familie liegen: "Wenn Kinder vorgelebt bekommen, dass es ein Mega-Problem ist, wenn man zunimmt, hat das auch psychische Folgen." In diesem Fall müsse man die ganze Familie mittherapieren.

Raus aus den Sparten "Eltern" und "Erziehung"

Ungeachtet solcher Prognosen sind Bücher von vermeintlich starken Frauen, die in der Erziehung ihrer Kinder unbeugsam bleiben, im Trend: Mittlerweile haben diese Werke sich aus ihrem Nischendasein in Buchhandlungen befreit, raus aus Sparten wie "Eltern" oder "Erziehung", hinein in die Bestsellerregale. "Die Mutter des Erfolgs" schaffte es bereits in den ersten Verkaufswochen 2011 beim amerikanischen Internet-Versand Amazon unter die zehn meistverkauften Bücher. Das Erziehungsbuch "Bringing Up Bébé" der amerikanischen Journalistin Pamela Druckerman rangiert unter den besten 15 Hardcover-Bücher in der New-York-Times-Bestseller-Liste und war Nummer eins auf der Hardcover-Liste der britischen Sunday Times.

In "Bringing Up Bébé" erörtert die ehemalige Wall-Street-Journal-Reporterin, warum ihrer Ansicht nach französische Kinder besser erzogen seien als amerikanische. Die meisten Französinnen würden ihren Mikrokosmos nicht einzig um ihre Kinder aufbauen und sich auch noch anderen Facetten ihres Lebens widmen wie beispielsweise ihrer Partnerschaft.

Natürlich bekräftigen die Autoren-Mütter in ihren Büchern immer wieder, nur das Beste für ihre Kinder zu wollen, sie vor Anfeindungen zu bewahren. Doch bei näherer Betrachtung scheinen ihre Bemühungen vorwiegend durch Ehrgeiz motiviert zu sein. So erzählt Weiss in der Vogue detailreich, wie es ihr gelang, das Gewicht ihrer Tochter zu reduzieren und stellt dabei vor allem ihre eigene Leistung in den Vordergrund. Ihr Erfolgsobjekt ist ihr Kind - eine "Marke", die sich nun sehen lassen kann.

Der Lohn für all die Mühe folgte prompt und in hoher Auflage - in Form eines Foto-Shootings für die Vogue. Mutter und Tochter, professionell gestylt, sind in trauter Eintracht auf einem Sofa drapiert: Die attraktive Dunkelhaarige trägt ein kurzes Etui-Kleid, ihr Blick richtet sich selbstbewusst in die Kamera. Neben ihr liegt bäuchlings Tochter Bea, den Kopf mit den adretten Locken auf den Schoß ihrer Mutter gestützt. Das Kleid, das sie trägt, ist nur eines von vielen, die das Mädchen zur Belohnung für ihre Disziplin bekommen hat. Die Hair Extensions gab es noch dazu.

In dem Vogue-Artikel schildert Weiss abschließend ein Gespräch mit ihrer Tochter nach dem Diät-Jahr: Mit Tränen in den Augen habe Bea gesagt: "Das bin noch immer ich." Sie sei keine andere Person geworden, nur weil sie acht Kilo abgenommen habe. Daraufhin habe Weiss ihrer Tochter ins Gesicht gesehen und gesagt: "Natürlich bist du nun eine andere."

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: