Modemarke Desigual:Farbschock als Erfolgsrezept

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Sehnsucht nach hippiehafter Individualität: Die Designs des spanischen Labels Desigual sind grundsätzlich bunt und gemustert. Der knallige Look gefällt nicht nur modernen Blumenkindern - sondern auch Schwiegermüttern und Sekretärinnen.

Anne Goebel

Die Erfolgsgeschichte beginnt 1984 auf einer Mittelmeerinsel, kurioserweise landete damals der zu Recht vergessene Popsänger Sandy Marton einen Sommerhit mit dem Titel "People from Ibiza". Die eintönige Diskonummer lag wie ein Klangteppich über sämtlichen Strandlokalen Europas, und man kann davon ausgehen, dass sie auch den Start von Thomas Meyers Laufbahn musikalisch flankierte.

Desigual-Chefdesigner Thomas Meyer hat keine Angst vor Farben und Mustern - selbst die Jeans interpretiert der Schweizer auf seine Weise. (Foto: Desigual)

Aber von Karriere war ja zunächst gar nicht die Rede. Dem 21-jährigen Schweizer gefiel die Dauerparty auf Ibiza, er wollte lässig leben, etwas Geld machen - was passte dazu besser als Mode? Meyer nähte aus aufgetrennten Bluejeans Jacken. Die Szene kaufte. Er eröffnete einen Laden mit Patchwork-Kleidern. Die Kunden wollten mehr.

Die andere Mode

Heute ist aus einer simplen Idee ein Unternehmen geworden, dessen Zuwächse die Textilbranche in Erstaunen versetzt. "Desigual" heißt die Marke, und nichts würde sich in der Zentrale besser zur Firmenhymne eignen als Sandy Martons Ferienohrwurm aus einem wahrlich goldenen Jahr.

Desigual ist spanisch und bedeutet übersetzt so viel wie "anders", "ungleich". Dass die Modekette mit Hauptsitz in Barcelona auf dem Vormarsch ist, kann niemand übersehen, der mit offenen Augen durch eine deutsche Fußgängerzone läuft. Das Logo mit dem verdrehten "S" prangt an den Fassaden einer sprunghaft wachsenden Zahl strategisch platzierter Flagship-Stores. Keine noch so brave Kaufhausabteilung für Damenoberbekleidung ohne Desigual-Corner mit der begehrten Ware aus Katalanien.

Sie ist bunt und grundsätzlich gemustert. Ob für Frauen, Männer oder Kinder, ob Hippie-Handtasche oder ausgehfeiner Straßenmantel: Desigual gibt ordentlich Farbe auf die Stoffe.

Unter dem Slogan "It's not the same" werden in der Kreativabteilung des spanischen Aufsteigers Material und Dessins so lange gemixt, bis ein Herrenhemd aussieht, als hätten Aktionskünstler in Collagentechnik experimentiert. Bis ein entzückend ausgestellter Sixties-Trench psychedelisch flackernd vor den Augen verschwimmt, auf Pluderhosen gestickte Prilblumenwiesen blühen.

Wer sich morgens am Kleiderschrank eines der kolorierten Designerstücke überwirft, hat kaum im Sinn, durch subtile Eleganz sein Understatement zu unterstreichen. Desigual heißt: auffallen. Und nach Lage der Dinge wollen das immer mehr.

Mit einem zweistelligen Zuwachs hat das Label im vergangenen Jahr seine bestaunte Erfolgsgeschichte fortgeschrieben. 2008 und 2009 waren Krisenjahre der Bekleidungsbranche, Desigual triumphierte jeweils mit einem Plus von 85 Prozent. 2010 legte der Umsatz erneut zu, auf 435 Millionen Euro. Und so soll es weitergehen, im kommenden Jahr ist die Eröffnung von 80 neuen Läden geplant.

Wenn Stars designen
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Nun designt sie auch noch: Schauspielerin Hilary Swank will ihre eigene Modelinie herausbringen. Das kennt man sonst nur von Stars, deren Karriere nicht mehr läuft wie einst.

Der Boom der in jeder Hinsicht leuchtenden Marke wird vor allem dem smarten Vorstandsvorsitzenden Manel Adell zugeschrieben. Den Marketing-Manager mit Erfahrung auf internationaler Bühne hatte der künstlerisch veranlagte Thomas Meyer 2002 ins Boot geholt, nachdem sich die Männer auf einem Segeltörn kennengelernt hatten. Vorangegangen waren wechselvolle Jahre samt einer prompten Pleite nach der hitzigen Startphase in den Achtzigern.

Als Adell einstieg, hatte Desigual 40 Angestellte und machte acht Millionen Euro Umsatz. Heute arbeiten 1700 Menschen für das Unternehmen, die 200 Läden liegen an den besten Einkaufsstraßen von Soho, Paris oder Mailand. Von acht Millionen auf 450 Millionen in acht Jahren - Manel Adells ehemalige Professoren an der Business-School Esade in Barcelona können stolz auf ihren Schützling sein.

Deutschland als Schlüsselmarkt

Die rasante Entwicklung erinnert an den Erfolg der flächendeckend operierenden Kette "Zara" - sie stammt ebenfalls aus Spanien. Die katalanischen Patchworker mit dem goldenen Händchen werden jetzt als nächste heiße Marke aus dem südeuropäischen Land gehandelt.

Natürlich sondiert der zweifache Familienvater Adell, der die Berliner Modemesse Bread&Butter im Juli mit einer Stippvisite zu beehren gedenkt, vor allem asiatisches Terrain. Die erste Farbschockwelle für das westsüchtige China ist für 2012 vorgesehen: Eröffnung der ersten Läden und eines Büros in Shanghai.

Innerhalb Europas nennt der 49-Jährige Deutschland "einen unserer Schlüsselmärkte". Was nicht zu übersehen ist. Frauen fast jeden Alters scheinen hierzulande seit einiger Zeit nichts schöner zu finden, als mit gemusterten Kleidungsstücken ihre Lebensfreude auszudrücken. Die professorale Schwiegermutter im geranienrot geflammten Gehrock, Sekretärinnen in scheckigen Batik-Kleidern - die Botschaft ist immer gleich: Schaut her und überseht mich nicht!

Die neue Liebe zur textilen Vehemenz ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Deutschen modetechnisch nicht unbedingt als experimentierfreudig gelten. Allein in diesem Jahr wurden fünf neue Desigual-Stores eröffnet, der Erfolg der kunterbunt aufgemachten Läden liegt wohl auch im vermeintlichen Nonkonformismus. Dass Kleidung bloß schön macht, ohne eine Botschaft zu transportieren, gilt im Land fortschrittskeptischer Umweltbewegter schnell als verdächtig unpolitischer Gedanke. Da kommt ein Label gut an, das seine Wurzeln im späten Hippiezeitalter hat.

Etwas Patchworkhaftes, ein erfrischend unkomplizierter und doch extravaganter Look haftet den Kollektionen ja auch noch an, die nach wie vor Thomas Meyer als Designchef verantwortet. Assoziationen mit moralisch einwandfreier Recyclingmode dürften dabei beabsichtigt sein.

Aber inzwischen ist aus der Secondhand-Bude am Strand von Ibiza eine geölte Maschinerie geworden. Ein Mantel aus der aktuellen Desigual-Kollektion kostet marktwirtschaftliche 300 Euro. Und es ist auch die Frage, wie individuell und "not the same" ein noch so bunt bedruckter Blouson ist, wenn ihn Tausende Frauen überall auf der Welt durch den Sommer spazieren tragen.

Im Herbst geht die Offensive weiter. Die Linie "Dream" kommt auf den Markt, entworfen von dem Couturier Christian Lacroix für Desigual. Das Sortiment wird um Wäsche und Strumpfhosen erweitert. Vielleicht gibt es die im Geschäftsprofil angekündigten Neuigkeiten zum sozialen Engagement des Unternehmens.

Für ein Mädchen namens Pia Inverarity sind das Nebensächlichkeiten. Sie hat eine Mail vom anderen Ende der Welt nach Barcelona geschrieben, kurz und dramatisch. "Please open a shop in Fremantle, Western Australia!"

© SZ vom 04.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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