"Michelin"-Guide:Generationenwechsel in der Küche

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Die Gourmet-Bibel "Michelin" hat in ihrer neuen Ausgabe für Überraschungen gesorgt - sie hat den dienstältesten Drei-Sterne-Koch abgestuft.

Sven Elverfeld weiß sogar noch die Minute: "Um 10:57 kam der Anruf - ich stand erst mal unter Schock." Es war die Nachricht vom Aufstieg in den Zenit des Kochkunsthimmels, drei Sterne im "Michelin"-Restaurantführer. Die grünblauen Augen des Chefs des Restaurants "Aqua" in der Autostadt Wolfsburg leuchten unter dem Lockenkopf. Der gerade 40 Jahre gewordene Hesse setzt die Erfolgsstory der Spitzengastronomie in Deutschland fort. Gleichzeitig markiert sein Erfolg einen anhaltenden Generationswechsel.

Sven Elverfeld: drei Sterne im Michelin. (Foto: Foto: dpa)

Der 59-jährige Heinz Winkler aus Aschau in Bayern musste in der neuen Ausgabe der Gourmet-Bibel den dritten Stern abgeben. Zwei Jahre früher war es Jean-Claude Bourgueil in Düsseldorf so gegangen. Und Elverfelds Vorbild Dieter Müller hat den Chefposten in seinem Restaurant in Bergisch Gladbach in diesem Jahr endgültig an Nils Henkel abgegeben.

In Deutschland gibt es mit neun Drei-Sterne-Häusern nach Frankreich weltweit die meisten Adressen mit der höchsten kulinarischen Wertung. Unter den Topköchen ist die Generation der 35- bis 40-Jährigen nun in der Überzahl: Da sind Elverfeld und seine Freunde Klaus Erfort (Saarbrücken) und Juan Amador (Langen in Hessen), dazu Nils Henkel und Christian Bau (Perl im Saarland). Helmut Thieltges aus Rheinland-Pfalz und Harald Wohlfahrt im Schwarzwald sind mit 53 Jahren die ältesten. Der Spanier Amador, der zu den avantgardistischen Molekularköchen gerechnet wird, und Elverfeld gelten als die experimentierfreudigsten.

Elverfeld hat Konditor gelernt, bevor er umsattelte und Erfahrungen unter anderem in Japan, Dubai und bei Dieter Müller gesammelt. Dann bewarb er sich bei "Ritz Carlton" für den Posten in Wolfsburg. "Ich habe vor acht Jahren hier im Rohbau gestanden", sagt er, noch immer etwas staunend, und schaut auf das imposante Volkswagen-Kraftwerk gegenüber dem Hotelrestaurant.

Die Anfänge machte der junge Koch noch im Stil Dieter Müllers, der für sein Menu aus kleinen Vorspeisen-Kreationen berühmt ist. Aber in den letzten zwei, drei Jahren entwickelte er den eigenen, durchaus eigenwilligen Stil, der ihm nach Aussage von "Michelin"-Chefredakteurin Susanne Caspar nun den dritten Stern einbrachte. "Eine kreative europäische Küche" nennt Elverfeld seine neuen Interpretationen von oft alltäglichen Gerichten.

Ideen im Urlaub

Als "Knusparillos" kommt bei Elversfeld vieles in Röllchen auf den Tisch: salzig-süßer Bismarck-Hering im Pumpernickel-Krokant oder ein bleistiftdünner "Toast Hawaii". Oft wird das Menu im etwas kühl dekorierten "Aqua" zum Rätselessen. Ganz neu zusammengestellt werden Klassiker wie Tafelspitz mit grüner Sauce oder auch Finkenwerder Scholle - im großen Menu für 167 Euro wird statt der flachen Flunder aber dicke Seezunge genommen. Zuweilen verbinden sich die als abstraktes Gemälde auf den Tellern verteilten Tröpfchen, Gelees, Pürees und Pülverchen nur zögernd zum großen Geschmackserlebnis.

Die Ideen kommen Elverfeld im Urlaub oder am Wochenende, wenn er überraschende Kombinationen zuerst "im Kopf probiert", etwa Kabeljau mit Mixed Pickles und Röstkartoffeln, die wie Popcorn aufgehen. Dann wird im Team weiterentwickelt. Das Wort Molekularküche findet der Koch schrecklich, obwohl er den neuen Techniken offen gegenübersteht. Aber tiefkalter Stickstoffdampf kommt nicht an den Tisch: "Das alles nehmen wir nicht als Show, sondern nur, wenn es dem Gericht dient." Die Basis bleibt die klassische Küche, etwa der dunkle Saucenfond, der in einem großen Kessel in der Küche vor sich hin schmurgelt.

"Viele junge Leute, die denken, Molekularküche sei hip, vergessen die Basis, und es schmeckt einfach nicht", sagt Elverfeld. Gerade experimentiert er mit einem aus der Labortechnik kommenden Destillierapparat: Der soll Erbeeraroma aus Früchten extrahieren, aber auch Schweinebratensaft, der zu durchsichtigen Raviolis verarbeitet wird.

Die Tage in der Küche sind 14 bis 16 Stunden lang, nicht viel Zeit bleibt Elverfeld für die Lebensgefährtin. Und mit dem dritten Stern hat sich der Anspruch noch erhöht. Nicht von ungefähr zeigte sich der vom Michelin nach ingesamt 20 Jahren mit drei Sternen herabgestufte Altmeister Heinz Winkler auch erleichtert: "Irgendwann muss man den Druck einmal abgeben."

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