Medizin und Wahnsinn (19):Nutzlose Pillen

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Antidepressiva - nichts weiter als Placebo? Aspirin - alles nur Einbildung? So viel Ungewissheit stürzt manch einen in eine Krise.

Werner Bartens

Es war eine dieser Nächte, die es zur Nebenwirkung hatte, den Kollegen jäh an die Grundfragen seiner Existenz zu erinnern. Diesmal grübelte er am nächsten Morgen allerdings nicht - wie sonst üblich - darüber nach, warum er eigentlich hier war. Er wollte vielmehr wissen, woran er noch glauben konnte. Inständig hoffte er, ein schneller Acetylierer zu sein. Er hatte nämlich gelesen, dass Aspirin bei fast einem Drittel der Menschen überhaupt nicht wirkt. Und zwar bei jenen Unglücklichen, die langsame Acetylierer sind.

Pillen, häufig so wirksam wie bunte Fruchtbonbons. (Foto: Foto: iStockphotos)

Auch seine letzte Hoffnung, die Antidepressiva, waren zuletzt kritisch umwölkt gewesen. Nicht besser als Scheinmedikamente wirkten sie angeblich, die langsam anflutenden kleinen Helfer, die er in zwielichtigen Stunden so liebgewonnen hatte. Ihm war in der Seele ganz rau zumute. Einstürzende Gewissheiten, nichts schien mehr zu gelten. Konnte man diese Scheinmittel wenigstens irgendwo bekommen, gegen die dunklen Seiten der Nacht?

Der Kollege saß auf dem gelben Sofa und glaubte an nichts mehr. Das mit Aspirin und den Psychopharmaka war ja längst nicht alles. Neue Mittel gegen hohen Blutdruck waren nicht besser als alte, Kniespiegelungen sinnlos, Rückenschmerzen eher ein psychisches denn ein mechanisches Problem. Die Medikamente gegen übersäuerten Magen, die er empfohlen bekam, waren offenbar nur teurer, aber nicht besser als alte.

Erloschene Lichtblicke

Hormone für Männer - ein Lichtblick in seinem Alter - taugten nichts, Frauen in den Wechseljahren wurden davon krank, nicht gesund. Das hatte er davon, dass er nicht nur die Apotheken-Heftchen las, sondern obskure Zeitschriften mit dreistelliger Auflage, die sich für pharmakritisch hielten.

Auf dem gelben Sofa neben ihm lag ein Stapel Leserbriefe, daneben Leserbriefe plus Abo-Kündigung. Darin stand, was der Kollege bejammerte: Man kann Menschen nicht permanent verunsichern. Was bleibt dann noch? Besser verunsichern, als falsche Gewissheiten verbreiten, wollte ich antworten. Das klang schneidig und aufklärerisch, aber da war er schon gegangen.

Vielleicht stimmte es ja auch nicht. Zur Tür kam ein gebeugtes Männlein herein, er konnte sich kaum bewegen. Mit Mühe erreichte er das gelbe Sofa. Seit zwei Jahren schleppte er sich mit wüsten Rückenschmerzen herum, jetzt war er zur Operation entschlossen. Seit er das kundgetan hat, wurde er von allen Seiten bestürmt. Angebliche Freunde rieten von dem Eingriff ab. Das bringe doch nichts, alles psychisch. Versuch' es mit Kieser-Training. Es liegt am Job/an der Frau/am Wetter. Solche Operationen haben eine total niedrige Erfolgsquote. Ich mache mir echt Sorgen um dich.

Machte ich mir auch. Deshalb konnte ich auf die scheue Frage, ob er sich operieren lassen sollte, nur antworten: klar, hilft bestimmt. Nicht nur Scheinmedikamenten, auch ungeteilten Ermunterungen wohnt ungeheure Heilkraft inne.

Dann kam die Kollegin, klagte über Schlafstörungen. Alles hat sie probiert. Sie kann nicht mehr hören, wenn ihr Freunde raten, sie solle sich darüber klarwerden, ob sie den Mann/die Karriere/die Kinder wirklich will, dann würde sie schon selig schlummern. Sie nimmt Tabletten, um endlich Ruhe zu finden. Jetzt weiß sie immerhin, woran es liegt. Sie hat ihr Haus vermessen lassen, sie steht unter Strom. 2,5 Volt Spannung hat ein Wünschelruten-Mann auf ihrer Haut gemessen. Sie will alle elektrischen Leitungen dämmen und isolieren lassen.

Klar, sich abdichten hilft immer. Und Termine machen. Seit der Kollege weiß, wann er operiert wird, sind seine Rückenschmerzen wie weggeblasen.

© SZ vom 15. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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