Medizin und Wahnsinn:Lust auf Ortswechsel

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Man kann sich gesund ernähren, früh schlafen gehen, ausreichend Sport treiben. Manchmal entpuppt sich der Wohnort als größtes Gesundheitsrisiko.

Werner Bartens

Man möchte alles richtig machen und greift nur umso tiefer in den Mist. Das kennen mittlerweile auch die Aktivisten der Tierbefreiungsfront "Alf" in Norditalien, die bei dem Versuch, Greifvögel aus einem Zoo nahe Turin in die Freiheit zu entlassen, 40 Mäusebussarde, Falken und Eulen töteten.

Atomkraft oder Naturschutz? An manchen Orten weiß man nicht wirklich, woran man ist. (Foto: Foto: dpa)

Als die Molotow-Cocktails explodierten, die "den inhaftierten Vögeln" den Weg in die Freiheit bahnen sollten, gerieten versehentlich einige Volièren in Brand, so dass die Tiere verbrannten und nun statt am Horizont im Vogel-Himmel kreisen.

Ähnlich dumm kann es laufen, wenn man für sich und seine Lieben den optimalen Brutplatz sucht. In Umfragen zur Lebensqualität in den USA landet regelmäßig Sioux Falls - die mit knapp 140.000 Einwohnern größte Stadt in South Dakota - auf den vorderen Plätzen.

Gesegnete Südfranzosen

Die Stadt hat sich schon den Beinamen "Best Little City in America" gegeben. Wer weiß, ob dies in einem Anfall von Selbstironie oder aus urbanem Stolz geschehen ist. Wer weit vom Strand oder einer interessanten Stadt entfernt lebt, muss sich irgendwie trösten.

In Deutschland landen triste Metropolen wie Würzburg oder Gießen regelmäßig auf vorderen Plätzen, während Delmenhorst und Neumünster wegen ihrer hohen Rate an Kleinkriminalität meistens schlecht abschneiden. Kürzlich fragte eine Bekannte, wo man in Deutschland aus gesundheitlichen Gründen am besten leben sollte.

Der Rat für Allergiker wäre leichtgefallen - an der See oder in den Bergen. Sie aber wollte durch den Ortswechsel eine Art Rundum-Optimierung. Alles sollte irgendwie besser werden.

Sie hatte gelesen, dass die Lebenserwartung in Süddeutschland besonders hoch sei. Zudem gebe es Landkreise im südlichen Baden-Württemberg, in denen die Intelligenz deutlich höher sei als in anderen Regionen. Wenn man sich die Studie genauer ansah, zeigte sich allerdings, dass sie auch das Gegenteil bedeuten konnte.

Die Erhebung beruhte auf Untersuchungen von 18- bis 22-jährigen Wehrpflichtigen. Womöglich waren die jungen Männer in Landkreisen wie Reutlingen oder Ravensburg nur zu dumm, um sich bei der Musterung dumm anzustellen.

Ich wollte der Bekannten empfehlen, nach Südfrankreich zu ziehen. Dort leben viele Wir-haben-uns-bewusst-für-was-anderes-entschieden-Leute. Zudem muss Südfrankreich ein gebenedeiter Ort für die Herzkranzgefäße sein.

Denn Südfranzosen ernähren sich ungesund von Weißbrot, Wildschwein, Gänseschmalz und Gänseleber. Trotzdem haben Franzosen deutlich seltener Herzinfarkte als Schotten und andere Nordlichter.

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Die Soziologie des Risikos

Allerdings weiß man nie, was man an Ballast mit sich schleppt, wenn man umzieht - und was am neuen Ort auf einen wartet.

In Japan leiden beispielsweise 70 von 100.000 Einwohnern an Darmkrebs - das ist weltweit die geringste Rate. Kinder japanischer Eltern, die in den USA geboren sind, bekommen jedoch so oft Darmkrebs wie die Amerikaner.

Mit 140 Erkrankten pro 100.000 Einwohner kommt das Tumorleiden in den USA (neben Neuseeland) am häufigsten vor. Wer nach Japan zieht, handelt aber auch nicht schlauer. Das Land ist weltweit führend in Sachen Magenkrebs. Ach ja, in Großbritannien ist Lungenkrebs besonders häufig, in Australien Hautkrebs, in Kanada sind es Leukämien.

Man kann natürlich gesund leben, gesund essen, viel Sport treiben. Dann befindet man sich jedoch in dem schicksalhaften Dilemma, das der Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann in seiner "Soziologie des Risikos" beschrieben hat: "Man jagt sich Tag für Tag durch den Wald, um gesund zu bleiben, und stürzt schließlich mit dem Flugzeug ab."

Luhmann arbeitete übrigens 25 Jahre an der Universität Bielefeld, einem Ort, den man sich ganz weit vorn in der Liste der lebenswerten Städte vorzustellen hat.

© SZ vom 07.03.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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