Medizin und Wahnsinn (28):Der Rumpf einer Göttin

Lesezeit: 2 min

Wie gewinnt man eine Frau, ohne körperliche Schäden davonzutragen? Gedichte sollen romantisch sein, können aber manchmal auch das Gegenteil bewirken.

Werner Bartens

Er war ein Mann des Wortes, doch wenn es darauf ankam, fand er das richtige selten. Schriftlich floss es nur so dahin, wenn er sich an einen Text setzte, aber mündlich stockte und stammelte er. Seine ganze Leidenschaft galt zwar der Literatur, doch dann und wann regten sich bei ihm auch andere Triebe.

Schon Sartre dichtete: "Rumpf einer Göttin! Brustkasten für einen Gott!" (Foto: Foto: iStockphotos)

Jetzt saß er auf meinem gelben Sofa und wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Ihm tat nichts weh, sagte er, die Verdauung sei regelmäßig und in Ordnung, so weit er das beurteilen könne - und trotzdem fehle ihm etwas.

Nach einigen Ausflüchten und Umwegen lag die Diagnose zweifelsfrei vor. Er konnte sich auf nichts mehr konzentrieren, tagsüber träumte er, nachts lag er wach. Bauch flau, Knie weich, das Herz schwer - er war unzweifelhaft verliebt. Irgendwo hatte er gelesen, dass sich mit Frauen ebenso beiläufig wie dauerhaft ins Gespräch kommen lässt, wenn man über medizinische Themen redet. Sein erster Versuch der Kontaktaufnahme ging allerdings nicht glücklich aus. Er wollte der Auserwählten ja nur ein Kompliment machen und ihre anmutige Erscheinung loben, ohne zu direkt oder gar vulgär zu wirken.

Prosaische Ohrfeigen

Wie er so zerknirscht auf meinem gelben Sofa saß, hatte er inzwischen allerdings selbst Zweifel, ob das Zitat aus dem Spätwerk Jean Pauls wirklich so gut gewählt war, mit dem er sie erobern wollte. "Rumpf einer Göttin! Brustkasten für einen Gott!", hatte er verführerisch hauchend zu ihr gesagt. Und dann weiter deklamiert: "Und das feine Hautwarzensystem und das Malpighische Schleimnetz und die empfindsamen Nervenstränge darunter! O ihr Götter!"

Sie hatte sich daraufhin peinlich berührt abgewandt und war ihm auch dann nicht wieder näher gekommen, als er ihr wahrheitsgemäß erklärte, dass der Titelheld in Jean Pauls Roman Dr. Katzenbergers Badereise, aus dem er immerhin auswendig zitiert hatte, ein Anatomieprofessor ist, dessen Lieblingsbeschäftigung nun mal darin besteht, menschliche Missgeburten und Anomalien zu sammeln.

Empfehlungen in Liebesdingen sind ja eine heikle Sache, aber wir kamen dann doch überein, dass ein 200 Jahre alter Roman vielleicht nicht immer die geeignete Vorlage ist, um das Herz einer Frau zu gewinnen. Erst recht nicht, wenn es darin hauptsächlich um anatomische Fehlbildungen und medizinische Monstrositäten aller Art geht. Vielleicht zieht so etwas ja auf einem Pathologen- oder Anatomen-Kongress. Ansonsten gilt: Körperliche Details sollten zumindest im Anbahnungsgespräch gemieden und eher zeitgenössische Texte oder gar ein poetisches Werk zitiert werden.

Ein paar Wochen später saß der Literaturfreund wieder auf meinem gelben Sofa. Jetzt wirkte er noch zerknirschter als das letzte Mal. Glücklich Verliebte sehen anders aus. Jeder Arzt hätte ihm ohne Untersuchung sofort eine Krankschreibung für die nächsten sechs Wochen ausgestellt. Der körperliche Verfall hatte in kurzer Zeit erschreckende Ausmaße angenommen. Er hatte die Frau, nach der er sich verzehrte, in einer Bar wiedergesehen und sich nach seiner Schmach beim letzten Treffen nicht sofort getraut, sie anzusprechen. Ein paar Bier lockerten jedoch seine Zunge und stärkten seinen Mut.

Er ging auf sie zu und wusste, dass er diesmal anders vorgehen musste, klarer, unverstellter. Er setzte sich neben die Frau, die er anhimmelte. Als er ihr zartes Lächeln als Gesprächseröffnungssignal fehlgedeutet hatte, fasste er sich ein Herz und redete drauf los. Diesmal zitierte er ein eher robustes Gedicht von Robert Gernhardt: "In jeder Frau da steckt / ein Sexualobjekt. / Das muss der Mann erwecken, / sonst bleibt es in ihr stecken."

"Du Ferkel", sagte sie, gab ihm - ganz prosaisch - eine Ohrfeige und ging. Erniedrigt schlich er aus dem Lokal. Als er das Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr löste, fielen ihm die Zeilen von Max Goldt ein, die nur für ihn verfasst zu sein schienen: "Ungeduscht, geduzt und ausgebuht / fuhr ich in einer überfüllten U-Bahn / weh nach Hause."

© SZ vom 17. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: