Luft und Liebe:Trau Dich, Altar!

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Jede zweite Ehe wird geschieden. Egal, wir heiraten trotzdem. Sind wir Vollidioten? Nein, Helden!

Violetta Simon

Wir sind eine durch und durch mutige Nation. Glaubt man den Statistiken, sind Mann und Frau, noch bevor sie die Hochzeitstorte anschneiden, bereits zu 50 Prozent wieder geschiedene Leute. Doch statt vor so viel Aussichtslosigkeit zu kapitulieren, treten die Heiratswütigen weiter vor den Traualtar - und verleihen diesem Wort damit einen ganz neuen Sinn.

Hätte Eva zu Adam auch gesagt: "Probier ein Stück klebrige Hochzeitstorte. Na los, trau Dich!" (Foto: Foto: iStock-Photos)

Wer würde in einer vergleichbaren Situation so viel wagen?

Stellen wir uns vor, wir sitzen in unserem Traumwagen - rassige Formen, komfortable Innenausstattung, höllischer Motor. Wir dürfen ihn auch gleich mitnehmen, wenn wir uns mit einer Unterschrift zum Kauf verpflichten. Natürlich sind wir nicht naiv und bestehen auf einer Probefahrt. Nach dem Start erscheint auf dem Display jedoch folgende Information: "Wir weisen freundlich darauf hin, dass die Bremsen dieses Fahrzeuges zu 50 Prozent versagen werden. Viel Glück!"

Trauen wir uns und fahren trotzdem los? Nein, das tun wir nicht. Schließlich sind wir nicht lebensmüde.

Aber wir heiraten, und wie! Manche gleich mehrmals. Und das, obwohl sie nicht müssen: Die Zeiten, in denen man sich durch Schwangerschaft oder Familie zur Ehe genötigt sah, sind vorbei. Die Zeiten, in denen man gezwungen war, eine unglückliche Ehe bis zum bitteren Ende durchzuhalten ebenso. Wir alle wissen, dass mit den Jahren nicht nur das Vertrauen wächst, sondern auch die Vertrautheit - Abende vor dem Fernseher, Frühstück hinter der Zeitung, Schweigen im Auto. Ist die Versuchung so groß, sich darauf ein Dauer-Abo zu pachten - falls das Abo überhaupt von Dauer ist. Sind die Aussichten so verlockend, dass wir dafür unseren Verstand über Bord werfen?

Supermütter und Traumbräute

Geradezu beängstigend wirkt unter diesem Aspekt der geistige Zustand mancher Menschen, den die Phase der Hochzeitsvorbereitung mit sich bringt. Gerade Bräute erinnern stark an jene nervenden, frischgebackenen Supermamis, die nur noch ein Thema kennen: ihre eigene Welt.

In beiden Gruppen gibt es Ausnahmen, doch leider nicht genug. Während die Mamas ihre Umwelt mit Verdauung, Pekip und Zahnungsproblemen an den Rand des Wahnsinns treiben, beschäftigt Bräute vor allem eine Frage: Wie wird meine Hochzeit der wunderbarste Tag in meinem Leben und dem sämtlicher Hochzeitsgäste, am besten dem Rest der Welt?

So gesehen eine wunderbare Frage. Würde die Suche nach der Antwort nicht mit einer wunderlichen Verwandlung einhergehen.

Von heute auf morgen entern vernünftige Frauen sämtliche Hochzeitsgeschäfte der Stadt, nur um auszusehen wie jene biederen Schaufensterpuppen, bei deren Anblick sie früher spöttisch das Gesicht verzogen. Als ob es in ihrem Leben nichts anderes gäbe, drücken sie sich vor Satinschleppen und Spitzenschleiern die Nasen platt.

Wie kann es sein, dass selbst hartgesottene, emanzipierte, ganz und gar nicht romantisch veranlagte Frauen beim Anblick weißer Rüschen von der Stange in vollkommene Verzückung verfallen? Dass selbstbewusste, vernünftige weibliche Wesen vor einer Brautmoden-Verkäuferin strammstehen ("Nur mit Handschuhen berühren!", "Dafür sind Sie zu kräftig!", "Bleiben Sie mit den Brautschuhen auf dem Leintuch!") und ohne mit der Wimper zu zucken, für ein Einweg-Kleid mehr bezahlen, als die ganze Hochzeitsreise kostet.

Natürlich schwört die Braut Stein und Bein, dass sie ihr Kleid später umfärben und zu anderen Anlässen nochmal tragen wird - auch wenn sie dazu einen Motto-Ball mit dem Titel "Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin" organisieren muss. Passieren wird es nie.

Weiße Tauben, elende Drecksviecher!

Schicksalhaft wird es auch bei der Organisation der Sitzordnung: Laufen die Vorbereitungen allzu reibungslos, kann man sich ersatzweise in kürzester Zeit Probleme schaffen, die man zuvor nie hatte. Die Frage, ob man Tante Hildegard neben Onkel Günthers neue Lebensgefährtin oder lieber an einen separaten Tisch platziert, gewinnt ganz unvermittelt eine Brisanz, die man bestenfalls bei einem Krisengespräch zwischen Nordkorea und den USA vermuten würde.

Doch auch ohne einen handkräftigen Familienkrach fehlt es nicht an dramatischen Elementen: Beim Anblick weißer Tauben klatschen die Damen begeistert in die Hände, obwohl sie noch eine Woche zuvor mit dem Gedanken gespielt haben, deren Artgenossen, "diese elenden Drecksviecher, die den ganzen Balkon verkacken", mit einem Luftgewehr zu erledigen. Eine weiße Kutsche, gezogen von vier Schimmeln? Wunderbar! Fehlt nur noch André Rieu, und der Albtraum wäre perfekt.

Eine Hochzeit darf alles sein, nur nicht durchschnittlich. Deshalb kann sie auf einem Schiffswrack, in einem rumänischen Schloss, einer entweihten Kirche in der Toskana, halb verschütteten Katakomben, einer leerstehenden Schule, keinesfalls aber in einer normalen Location stattfinden.

Socken im Kühlschrank, wie witzig!

Doch nicht nur das Brautpaar, auch die Gäste werden von diesem Sog erfasst. Menschen, die im normalen Leben eher den subtilen Humor schätzen, tun plötzlich die albernsten Dinge. Nur, weil man es von ihnen erwartet. Statt sich gemütlich zu betrinken, entführt man die Braut in die einzige Kneipe des Dorfes. Dort hängt man, taxiert von schweigsamen Schafkopfbrüdern, wie Falschgeld am Tresen herum und hofft, dass der Bräutigam sich beim Suchen nicht absichtlich dumm anstellt.

Später dringt man in die Wohnung des Brautpaares ein, stellt Wasserbecher auf den Boden, dreht die Sicherungen raus und legt Socken in den Kühlschrank. Gegen Mitternacht nimmt man sich ein weiteres Mal von der vierstöckigen Hochzeitstorte mit dem klebrigen Zuckerguss, die aufgrund ihrer giftgrünen Färbung eher Angst als Appetit macht.

Und das alles für 50 Prozent? Sind wir noch zu retten?

Aber ja! Wenn überhaupt, dann so. Natürlich müssen Menschen nicht heiraten, um zusammen zu sein. Doch sie setzen damit ein Zeichen. Wenn wir Heißhunger auf einen Hamburger verspüren, fragen wir auch nicht unseren Verstand. Wir müssten uns auch nicht die elfte Wiederholung von "Before Sunrise" ansehen, da wir den Film bereits in- und auswendig kennen. Dennoch tun wir es.

Bei der Ehe ist es ebenso: Jenseits von Steuervergünstigung und Ehegattensplitting gibt es noch immer Menschen, die einfach nur aus Liebe heiraten. Und die Statistik keines Blickes würdigen. Würden wir den Arbeitsmarkt, die Politik und das Gesundheitswesen als Index für unsere Zukunft nehmen, dürften wir auch keine Kinder mehr bekommen. Dennoch tun wir es, und manche zelebrieren dieses Ereignis wie andere ihre Ehe.

Auch wenn sie manchmal nerven: Supermütter und Helden kann man nie genug haben. Das musste mal gesagt werden.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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