Lüsterne Kerle in der Modewelt:Ich bring dich groß raus, Baby

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Sie spielen den väterlichen Chef, den smarten Intellektuellen oder den Kumpeltypen - und wollen in Wirklichkeit nur eines. Wie sich Schmuddelonkel in der Modelwelt an Nachwuchmodels ranmachen.

Verena Stehle

Was eigentlich ist das wirklich Faszinierende an der Geschichte von der Schönen und dem Biest? Nun: Die Schöne wäre ohne das Biest an ihrer Seite nur todlangweilig. Und durch die Schöne beginnt das Biest zu glitzern. Durch die Reibung von Ästhetik und Antiästhetik entsteht eine Spannung - die auch die Modeindustrie bei Laune hält.

Der New Yorker Skandalfotograf Terry Richardson, hier mit Model Eniko Mihalik beim Shooting des Pirelli-Kalenders 2010, kokettiert gerne mit dem Pornochic. Oder ist er doch ein Wüstling, wie manche Models behaupten? (Foto: Getty Images)

Neuerdings tritt dort eine recht missratene Spezies in Erscheinung. Eine, die ihre eigene Unvollkommenheit bewusst kultiviert. Der Teint wie Camembert, struppiger Oberlippenbart beziehungsweise Backenbart, das Hemd ist bis zum untrainierten Bauch aufgeknöpft, die Goldkette obligatorisch. Dieses Anti-Beauty-Ideal, dem hier nachgeeifert wird, war zuletzt im San Fernando Valley der siebziger Jahre populär: So sah der junge Johnny Wadd aus, Sexfilmstar und Frauenheld, der auch in Taschens Big Penis Book verewigt ist.

Dieser Phänotyp also zieht derzeit die hübschesten Mädchen an. Und durch die hellrot getönten Gläser der Pilotenbrille stieren glasige Glubschaugen: Damit ich dich besser sehen kann, mein Kind!

Nach außen wird stets der Anschein erweckt, die Mode sei der Planet der Frauen, die neben sich nur ein paar kuscheltierhafte, unbedrohliche, sprich: homosexuelle Männer dulden. Den knuffigen Riesenpinguin Alber Elbaz, Chefkreativer bei Lanvin. Oder einen wie den knopfäugigen Designer Alexander McQueen, der 2010 starb: Mamas Lieblinge, die Frauen auf einen Sockel stellen und betrachten wie eine kostbare Orchideenart.

Lüsterne Kerle? In der Mode? Niemals. Aber es gibt sie plötzlich, in verschiedenen Bereichen. Nennen wir diese Spezies Schmuddelonkel. Sie ist heterosexuell, ihre bevorzugten Opfer sind Nachwuchsmodels, Nachwuchsmodeverkäuferinnen und Nachwuchsstarlets, die alle so sexy-hübsch sind wie Jane Birkin in Der Swimmingpool, verbissen ehrgeizig und oft noch nicht mal volljährig.

An diese Mädchen wanzen sich die Schmuddelonkel ran, die im Alltag perfekte Versteller sind: Sie spielen den väterlichen Chef, den smarten Intellektuellen oder ironisch schnurrbärtigen Kumpeltypen, an dessen tätowierter Schulter man sich ausheulen kann, wenn das Heimweh nach Nawapolazk wieder kommt. Die Schmuddelonkel locken ihre figurbewussten Opfer nicht mit Bonbons, aber mit durchaus klischeehaften Versprechungen: Du wirst die neue Gisele Bündchen, du gehörst nach Hollywood, wollen wir eine Kissenschlacht im Standard Hotel machen? Dafür können ihnen die Gören ja wohl einmal in die Hose fassen.

Dass das im Biotop der Schmuddelonkel ganz normal ist, kommt jetzt ans Licht. Innerhalb des vergangenen Monats haben fünf Ex-Angestellte des Modelabels American Apparel ihren Ex-Chef Dov Charney verklagt. Die 20-jährige Irene Morales fordert 260 Millionen US-Dollar Schmerzensgeld, weil der 42-Jährige sie 2008 über acht Monate lang am Arbeitsplatz diskriminiert, sexuell missbraucht und einen Tag lang als "Sexsklavin" gehalten haben soll.

Dov Charney ist der Pionier dieser unrühmlichen Bewegung. Dem Gründer der regenbogenbunten und einst hochgelobten, weil vermeintlich fair produzierenden Teenagermodemarke - die heute rote Zahlen schreibt - eilte stets der Ruf voraus, dass er Interviews nackt in der Badewanne führe und auch mal vor einer Reporterin onaniert. Damals hielt man diese Gerüchte für geschickt gestreute PR-Geschichten. Mittlerweile ist klar, dass Charney das Prinzip des Hochschlafens absolut begrüßt. Gegen Sex, zitierte 2005 das US-Wirtschaftsmagazin Businessweek geheime Quellen, gäbe es Beförderungen, Firmenwagen, Apartments.

Fotograf Terry Richardson
:Retro-Porno fürs ganze Jahr

Fotograf Terry Richardson gestaltet den diesjährigen Pirelli-Kalendar - für seine Verhältnisse eine keusche Angelegenheit. Schließlich kann der Mann auch ganz anders. In Bildern

Christina Maria Berr

Auch Terry Richardson war immer der durchgeknallte New Yorker Fotograf, der den Pornochic ironisiert, indem er ihn glamourös überhöht. Der Sohn eines Modefotografen und einer Tänzerin wurde 2001 auf einen Schlag weltweit berühmt, als er für Sisley-Werbeplakate ein Model an einem Bauernhofset mit einer sahneähnlichen Flüssigkeit herumspielen ließ. Fortan zahlten Vogue , Harper's Bazaar und Labels wie Tom Ford Unsummen für seine Bilder, Richardson durfte die Supersupermodels für den legendären Pirelli-Kalender fotografieren.

2010 tauchte ein Bericht im Internet auf, in dem das Newcomermodell Jamie beschrieb, wie der Fotograf sie bei einem Shooting bedrängte. Dass er ihren Tampon zum Teebeutel umfunktionieren wollte (Richardson: "I love tampons!"), sich splitterfasernackt auszog und Sätze sagte wie: "Nenn mich Onkel Terry" oder "Wenn du mich kommen lässt, kriegst du eine Eins."

Hat sie's getan? Sie hat. Weil sie, wie sie schreibt, "höllisch unbeholfen" war. Angegriffen wurde Richardson auch vom dänischen Topmodel und Gucci-Brillen-Girl Rie Rasmussen. Sie sagte dem US-Boulevardblatt New York Post, dass er Mädchen manipuliere, "bis sie Fotos machen, für die sie sich hinterher schämen". Noch hat sich keine getraut, Richardson zu verklagen, Attacken werden von Terrys Auftraggebern höflich ignoriert. Was erwartet man auch von einem, der diesen Knallersatz gesagt hat, wie man in der Mode etwas wird? "It's not who you know, it's who you blow."

Und dann ist da noch Richardsons Busenfreund Olivier Zahm, Kunstkritiker, Nachtfalter, Chouchou der Pariser Szene. Und Mitbegründer des telefonbuchdicken Modemagazins Purple, das eigentlich ein Erotikblatt ist, weil man entblößte Schamdreiecke mindestens so häufig sieht wie Designerkleider. Zahm führt auch ein Onlinetagebuch, das Purple Diary, in dem irre gut gebaute, nackte Szeneschwalben auf Fußböden und King-Size-Betten herumtollen, wie die Pariser Stylistin Camille Bidault-Waddington.

Zahm selber ist nicht schön, aber ungeheuer clever. Er hat wohl von seinem Philosophieprofessor-Papa gelernt, Kritik zu zerreden, bevor sie entsteht: Er flirte halt gern. Und Nacktheit verstehe er im Sinne von Roland Barthes, als "the degree zero of style" - den Nullpunkt des Styles. Haha! Aber was ist mit den Hardcore-Porno-Manga-Bildern? Wozu Lolita-Fotos von Mädchen, oben ohne? Zahm würde jetzt an seiner Riesenzigarre ziehen - Phallussymbol! - und durch seinen Zottelbart einen seiner rätselhaften Sinnsprüche nuscheln: "Nacktheit ist ein Geschenk Gottes", "Sex ist schöner als eine Landschaft". Eines steht fest: Wenn der Mensch vom Affen abstammt, dann stammt der Schmuddelonkel vom Bonobo ab, diesem Zwergschimpansen, der dauernd und überall herumpimpert.

Schon verrückt: In einer Zeit, in der Political Correctness täglich neu kalibriert wird und man jeden verklagen kann, der einen doppeldeutigen Witz erzählt, dürfen sich die Schmuddelonkel weiter austoben. Warum? Weil sie es können. Sie liefern der Industrie den Sexappeal - das macht sie mächtig; sie entscheiden über Nachwuchskarrieren - das macht sie noch mächtiger. Sie sind die Einzigen in der Mode, die sich erreichbar machen: man kann sie an der Bar des Ace Hotel treffen oder ihnen ein kurzes E-Mail schreiben. Auf Terrys Website stand lange der Satz: "Wenn du ein Mädchen oder ein Junge bist und nackt fotografiert werden willst, melde dich bei uns."

Gibt es irgendwas zu ihrer Verteidigung zu sagen? Vielleicht: Sie können nichts dafür. Niemand bringt es so weit ohne einen riesigen Komplex. So hat es auch der Wiener Psychologe Alfred Adler 1907 in seiner Studie über die Minderwertigkeit der Organe beschrieben. Alle Menschen streben nach Perfektion; ein hässliches Kind wird bald versuchen, den Makel zu kompensieren. Es wird etwas entwickeln, das Schönheit anzieht. Wie Humor. Wenn es auch den nicht hat, lernt es halt, eine Kamera zu bedienen.

Eine von Charneys Anklägerinnen soll vorher mit Olivier Zahm rumgemacht und für das Hipster-Sex-Blättchen Jacques posiert haben. Ein Insider nannte sie ein "entfremdetes Groupie", das nur schnell an viel Geld kommen will.

Manchmal sind die Schöne und das Biest ein und dieselbe Person.

© SZ vom 02.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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