Lob der Realität:Wundersame Zeiten

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Staaten sind schon eigentümliche Gebilde. Zum Beispiel kann es nicht schaden, wenn ein Staat Fans hat, am besten Fans, die in ihm und mit ihm wohnen wollen. Der so genannte Islamische Staat macht das ganz anders, er will eigentlich keine Fans.

Von Peter Licht

Man kann sich nur wundern über die Strategie des Islamischen Staates, überall dort, wo der Islamische Staat ein Staat ist oder sein will, Leute umzubringen und die Bevölkerung im Staat so gegen sich aufzubringen, dass Freude entsteht, wenn der Islamische Staat dann wieder weg ist. Denn wenn man ein Staat sein möchte, bräuchte man ja eigentlich auch FANS dieses Staates. Man müsste dafür sorgen, dass einen die Leute irgendwie MÖGEN. Wenn man ein Staat sein will, muss es ja Leute geben, die diesen Staat bevölkern wollen, die Kinder in ihn hineingebären wollen, die planen, sich dort eine etwas längere Zeit aufzuhalten, sprich dort leben wollen.

Denn "Gottesstaat" soll ja nicht heißen, dass nur Gott in diesem Staat wohnt und sonst niemand. Dann wären am Ende auch die Betreiber des Gottesstaates fehl am Platze, weil sie ja keine Götter sind, und sie hätten die spröde Aufgabe, sich selbst zu entsorgen, was aber wenig attraktiv ist, weil man auch als Betreiber eines Gottesstaates nun mal ein MENSCH bleibt, der LEBT und in seiner Lebensspanne auf diesem Planeten unterwegs ist und mit irgendeinem PROJEKT beschäftigt sein will, damit er einen Sinn in sein Leben kriegt.

Anscheinend geht es dem Islamischen Staat also nicht wirklich um die Errichtung eines islamischen Staates. Worum geht es dann? Man hat den Eindruck, es geht um die Entladung von Energie, die aus einer Spannung entsteht. Es sind vielerlei Spannungen: Religion versus Säkularisierung, Alt versus Neu, Wissenschaft versus gefühlte Wahrheit, Globalisierung versus Nationalismus, Arm versus Reich, Zivilisation versus Naturrecht, offene Welt versus getrennte Welt. Und das Ergebnis ist: antiwissenschaftlich, antizivilisatorisch, antimodern. Man kann sich nur wundern.

Ebenso wundert man sich, wie in Amerika, von dem die Tradition sagt, es sei der Staat der Zukunft, ein Präsident an der Macht ist oder bleibt, der sich strukturell mit den gleichen Fragen beschäftigt (Wissenschaft versus gefühlte Wahrheit, Globalisierung versus Nationalismus, Arm versus Reich, Zivilisation versus Naturrecht, Alt versus Neu, getrennte Welt versus offene Welt) und - systemisch gesehen - ähnliche Antworten findet: antiglobale, antiwissenschaftliche, antizivilisatorische, antimoderne Antworten. Man kann sich nur wundern.

Aber, wenn man sich nur wundert, sagt das am Ende vielleicht mehr über den sich Wundernden als über den wunderlichen Gegenstand: Also man sollte sich eigentlich über sich selbst wundern, warum man sich wundert. Denn vielleicht ist es gar nicht verwunderlich. Sondern folgerichtig.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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