Lob der Realität:Sinn-Maschine

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Der Eigensinn ist ein bekanntes Phänomen und kommt häufig vor, eigentlich überall, wo auch Menschen vorkommen. Deshalb ist es auch so wichtig, sich zu fragen, worin sich der gute und der nicht so gute unterscheiden. Es geht unbedingt um Eigenheit.

Der Eigensinn ist eine Sinn-Maschine, die immer stottert. Der Eigensinn hat es nicht leicht, weil er es sich nicht leicht macht. Denn darin besteht die Aufgabe: in der Herstellung von Gestotter. Insofern ist es also ganz leicht.

Wenn der Eigensinn viel Gestotter produziert, das heißt viel Unverständnis, viel Befremdung, viel Ablehnung und Fremdheit, also Eigenheit, dann ist es ein guter Eigensinn. Wenn der Eigensinn davon zu wenig produziert, dann ist es ein nicht so guter. Okay. Aber ganz so leicht ist es natürlich auch wieder nicht. Jeder Mensch ist ein Teil des Schwarms und er MÖCHTE es auch sein, denn er spürt: Ohne den Schwarm gehe ich unter, beziehungsweise nicht auf, wie man will. Wenn dann der Eigensinn zu viel Gestotter produziert, verabschiedet sich der Schwarm vom Einzelmenschen. Er stößt ihn ab. Die Schwarmaugen des Schwarms erkennen dann keinen Sinn mehr in dem, was der Eigensinn hervorbringt, sondern nur noch: UNSINN. Und dann, kann man sagen, ist es ein schlechter Eigensinn. Dann ist der Mensch unverstanden, befremdet, abgelehnt, das heißt ALLEIN, und das hält keiner auf Dauer aus. "Oder vielleicht doch!", sagt der Eigensinn, "das wolln wa doch ma sehn! Ob Unsinn oder Sinn, das entscheide icke!" Ja, genau. Das ist das Problem. Der Eigensinn hat die Tendenz, es mit der ganzen Welt aufnehmen zu wollen. Er ist ein Köter, der jedem an die Wade springt. Ganz egal, wem die Wade gehört, er beißt rein. Da ist er nicht wählerisch. Selbst wenn es Stahlwaden sind von Standbildern oder Marmorwaden von Kulturdenkmälern. Ja, selbst wenn es die eigenen Waden sind. Egal. Er beißt rein, weil es RICHTIG ist. Die Stahl- oder Marmorwade kriegt es gar nicht mit. Der Beißer aber fühlt sich unverstanden. Das schlägt auf die Stimmung (und auf die Zähne). Und die Zeit vergeht.

Der Eigensinn ist nur sich selbst verpflichtet, weil der Sinn seines Tuns nur ihm selbst eigen ist. Das kann Probleme geben für den vom Eigensinn heimgesuchten Menschen, auf dessen biografischem Schlachtfeld sich der Eigensinn austobt.

Der Eigensinn ist eine Maschine aus dem Reich des Immateriellen. Sie produziert Andersartigkeit und Eigenheit. Die Maschine tuckert in jedem Menschen. Manchmal sind es sogar mehrere Maschinen in einem Menschen, also unendlich viele. Und natürlich es ist nicht zu vermeiden, dass die Produkte der unendlich vielen Eigensinnmaschinen einander in die Quere kommen. Dafür sind sie ja gemacht! Unendlich viele Eigenheiten rammen in unendlich viele andere Eigenheiten. Ein unendlich verworrenes Durcheinander entgegenlaufender menschlicher Betätigungen. Okay. So weit so klar und übersichtlich. Nichts Neues: Menschen kommen sich mit Menschen in die Quere. Eine alte Geschichte.

Aber: Die wahre Pracht des Eigensinns erblüht erst, wenn sich der Eigensinn das EIGENE zum Gegenstand seiner Tätigkeit auserwählt und zur Sache kommt. Erst dann entfaltet sich die panzerbrechende Wirkung des Eigensinns. Dann kann er zeigen, was er kann. Und das tut er auch. Der EIGENSINN GEGEN DAS EIGENE ist der wahrhaft ritterliche Eigensinn. Der richtig geile. Viel Feind, viel Ehr, könnte man sagen. Denn der Eigensinn kennt sich VERDAMMT GUT aus im Reiche des Eigenen. Keiner kann ihm hier das Wasser reichen. Keiner macht ihm hier etwas vor. Jedes kleine Schräubchen der Bewusstseinsmaschine ist ihm bestens vertraut. Und wenn sich ein mit Allwissenheit ausgestattetes Bewusstseins-Maschinchen daranmacht, GEGEN das eigene Bewusstsein vorzugehen, dann kann man sich schon vorstellen, dass das sehr effektiv ist und dass da was geht: Schon nach kurzer Zeit geht gar nichts mehr. Das ist toll. Und der Eigensinn freut sich. Der Eigensinn ist in seinem eigenen Reiche ein allwissender Taschenspieler, dem alles gelingt. Oder man sollte vielleicht eher sagen, der Eigensinn ist der Dirigent eines Orchesters, das eine Symphonie spielt, die der Dirigent in dem Moment komponiert, in dem er sie dirigiert.

Es ist eine Freude.

Denn hier findet das Leben statt und Energie wird geboren.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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