Lob der Realität:Popmusik und Hausschuhe

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Der Mensch trifft viele Entscheidungen im Laufe seines Lebens, zum Beispiel, was er an den Füßen trägt, wenn er seiner Arbeit nachgeht oder die Musik anderer Menschen mit dem Glanz der guten Tage versieht.

Von Peter Licht

Der Themenkomplex "Hausschuhe" gliedert sich in mehrere Unterpunkte. Einer davon ist der Unterpunkt "Hausschuhe und Freiberufler". Zentrale Fragestellung hier: Sollen es sich die Freiberufler so RICHTIG SCHÖN GEMÜTLICH machen in ihren Büros oder wo sie sonst noch ihre Berufe ausüben? Sollte der Freiberufler die Fußbekleidung eher in Richtung offiziell-unbequem-formal wählen, auch wenn tage- oder jahrzehntelang NIEMAND, auch kein GESCHÄFTSFÜHRER oder INDUSTRIEKUNDE seinen lurchigen Arbeitsraum betritt? Die Antwort lautet, wie immer, das kommt drauf an.

Ich kannte einen freiberuflichen Musikproduzenten in Düsseldorf, da muss man schon sagen, der hatte die Lösung gefunden. Er trug maurische Kamellederschläppchen mit Bimseltroddel an der Fußspitze und heruntergetretener Ferse. Düsseldorf eben. Obwohl das Studio fußkalt war, trug er sie auch im Winter. Das sprach für die Kamele und sah einfach gut aus. Ihm hätte ich auch meinen Basssound anvertraut. So etwas wird einem in anderen Städten nicht begegnen. Woanders tragen Musikproduzenten ganztägig Turnschuhe, auch die Nächte durch, man denkt dann, oh Gott Fußfeuchtigkeit, die arme Studioluft, der arme Fuß, eingesneakert einen ganzen Arbeitstag lang am Hockcomputer! Aber egal. Denn man weiß natürlich, dass der Produzent die distinktionsrelevanten Gärtaschen abstreifen wird, wenn alle anderen das Studio verlassen haben und die schallgedämpfte Studiotür hinter ihnen ins Schloss gefallen ist. Wenn er alleine ist und weiterfrickelt, flutscht er sich seine Hausschuhe über den Stylefuß. Und damit eröffnet sich ein anderer Themenkomplex: Hausschuhe und Rockmusik.

Diedrich Diederichsen postuliert an dieser Stelle eine "eigene Gattung sui generis", was ich für richtig halte. Den Rockhausschuh kann man mit nichts vergleichen, er steht nur für sich selbst. Die übergeordnete Frage aber bleibt: kann man in HAUSSCHUHEN richtige Inhalte produzieren? Oder gibt es sogar in falschen Hausschuhen richtige Inhalte? Zum Beispiel Rock? Internationale Manifeste? Relevante Kampagnen? Weltkunst? Hmm, man weiß es nicht. Vielleicht kann man. Aber man braucht dann eine Persönlichkeitsspaltung. Die aber sowieso nicht schadet, wenn man in solchen Arbeitsfeldern tätig ist. Jedem Freiberufler steht sie gut zu Gesichte.

Insgesamt lässt sich sagen, die Hausschuhfrage hängt von der Art der Freiberuflichkeit ab. Steuerberater sitzen gerne in Hausschuhen vom kik in der privat und beruflich genutzten Immobilie an ihren Schreibtischen und schreiben ab. Das ist gut und schafft Vertrauen beim Steuerpflichtigen, der die Situation kennt, zu Hause zu sitzen und Steuern zu machen. Goldschmiede tragen feinledrige Sandalen. Oder geflochtene. Ich kannte einen freiberuflichen Goldschmied, den begrüßte man mit der Frage: "Hallo, was macht das Gold?" Er antwortete: "Es riecht nicht und glänzt." Nie hätte dieser Goldschmied, weder privat noch geschäftlich, auch nur EINE Sekunde die abgelatschten Haus- und Ranzpantinen getragen, mit denen der festangestellte Karriereökonom, der beim Goldschmied immer einkaufte, überhaupt keine Probleme hatte, und ganze Jahre und Jahrzehnte in diesen vergorenen, übertragenen Hausschuhen mit Sozialtouch herumschlurfte. Wenn der Ökonom zur Arbeit ging, flontschte er sie mit einem Tritt runter von den Füßen und zog sich seine rahmengenähten Winwinschuhe an. Die HAUSSCHUHE blieben dann auf dem Fußabstreifer stehen - draußen vor der Tür - und berichteten von der menschlichen Existenz.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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