Lob der Realität:New York, ich muss schon sagen

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Unser Autor war in der Weltmetropole unterwegs und hatte sich auf Höheres eingestellt. Aber von wegen! In Queens und auch in Brooklyn bleibt man lieber auf dem Teppich und beobachtet Menschen im Erdgeschoss.

Von PeterLicht

New York ist eine Stadt in der Neuen Welt, aber so new ist es dort auch nicht. Wenn man über die Brooklyn-Bridge läuft, sieht man, dass schon einige Stellen verrostet sind. Sie wurden zwar wieder überlackiert, aber man weiß nicht, ob der Untergrund vorbehandelt, d.h. der Rost entfernt wurde, bevor man die Lackierung auftrug. Wenn man den Rost vorher entfernt hätte, wäre das gut. Wenn nicht, wäre das nicht so gut. Dann könnte es sein, dass der Rost weiterrostete, während man über die Brücke liefe, und es gar nicht sähe. Man liefe dann über eine verrostete Eisenbrücke, während man denkt, man liefe über eine Eisenbrücke.

Dieses Grundprinzip gilt für viele Fußböden in New York. Man weiß nicht mit Gewissheit, worüber man läuft. Ich erinnere mich an einen Fußboden in Queens, der mit einem Teppichboden bedeckt war. Man dachte, man liefe über Rosen, in Wahrheit aber waren es keine Rosen, sondern kleine Totenschädelchen, die sich flächig aneinanderfügten. Ich betrachtete die Schädelchen mit der Neugier des Reisenden und stellte fest, dass die Schädelchen doch eher etwas knollig Amphibisches aufwiesen, das beruhigte mich, denn wer wollte schon mit nackten Füßen über ein Schädelbeet zur Toilette laufen? Allerdings: Wer wollte mit nackten Füßchen über knollige Amphibien laufen? Mir blieb es verwunderlich. Am Ende stellte sich heraus, dass es keine knolligen Amphibien waren, sondern die Patina vieler harter Jahre in einer harten Stadt. Na gut, man hat einen erweiterten Horizont, wenn man sich in NY befindet und lässt dann sogar Amphibien unter sich ergehen. Aber seltsam blieb es.

Worüber sind wir nicht gegangen, als wir in New York waren! Wir gingen über irgendetwas, und über uns ging es hoch hinaus! Wie hoch es war! Die Häuser ragten in den Himmel! Und was für Hochhäuser! Doch na ja. Jedes Hochhaus hat auch ein Erdgeschoss. Das muss man auch sagen.

Ich schloss mein Fahrrad an eine Laterne in Brooklyn. Die Laterne stand direkt vor einer extremen Hochhausfassade und neigte ihr Haupt zur Brooklyn Bridge. Als nachts dann das Licht anging, beleuchtete die Laterne nicht nur mein an sie gekettetes Fahrrad, sondern auch noch einen Rasenstreifen, der das extreme Hochhaus umgab. Man konnte sagen, das überaus große Gebäude war umschlossen von einer kleinen Rasenfläche, wie man sie auch in Köln-Bickendorf findet. Also ich muss schon sagen. Ich stand im Kegel der nächtlichen Lampe mit den Schuhen halb auf dem Rasen und halb auf dem Asphalt und frickelte an meinem Fahrradschloss. Und wie ich frickelte und mich umschaute, blickte ich in ein hell erleuchtetes Küchenfenster, das im Parterre lag, und in dem sich ein Mann befand, der in New York an seinem Küchentisch saß. Man hatte also im Erdgeschoss dieses extremen New Yorker Hochhauses Küchen eingebaut, die sich hinter Erdgeschossfenstern befanden!

Schon das war irgendwie unverständlich und passte nicht zur GRÖSSE dieser Stadt. Wo so GROSSE und gefährliche Leute wohnen! Aber es ging noch weiter! Das Fenstersims befand sich ungefähr in Ellenbogenhöhe, wenn man draußen auf der Rasenfläche stand. Man hätte bei diesem extremen New Yorker Hochhaus also aus dem Fenster springen können und wäre dann augenblicklich auf dem Rasen gelandet. Plumps. Es wäre gewesen, wie wenn man von einem ganz und gar gewöhnlichen nächtlichen Gartentisch heruntergesprungen wäre. Also ich muss schon sagen! Sogar ich als normaler Passant, der keine weiteren Verdienste aufwies, hätte aus dem Fenster springen können und wäre augenblicklich und unbeschadet auf dem Rasen gelandet! Plumps. In New York! Aus einem extremen Hochhaus! Es wäre verdammt noch mal sehr ungefährlich gewesen! Man hätte sogar, wenn man das Küchenfenster ausgebaut und an seine Stelle eine Terrassentür eingebaut hätte, ebenerdig aus dem extremen Hochhaus auf den nächtlichen Rasen hinauslaufen können! Das wäre sogar mit nackten Füßen gegangen. So viel kann ich berichten aus NY. Ich muss schon sagen. Jedes Hochhaus hat auch ein Erdgeschoss.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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