Lob der Realität:Ich lief hinter einem Hip-Hopper

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Unser Kolumnist Peter Licht versucht, mit dem sich stets wandelnden Zeitgeist Schritt zu halten. Ganz einfach ist das aber nicht - man braucht dazu vor allem die passenden Schuhe, um den Beat zu spüren.

Ich lief hinter einem Hip-Hopper. Es war eine Freude, ihn gehen zu sehen. Er trug die Schuhspitzen nach außen und ruckte beim Gehen stoßweise nach vorne. Er flutschte die Fersen und kam vorwärts. Es war wunderschön. Ein Schwung glitt durch seinen Körper. Man spürte den Beat. Jeder Schritt machte klar, dass er es besser wusste. Und das war gut so. Was er wusste? Ich wusste es nicht, aber ich ahnte, dass es alles war. Sein Schub kam von hinten und unten. Die Erdoberfläche war sein Offbeat, die Welt der Resonanzboden und sie trieb ihn vor sich her. Er hatte Rückenwind von unten. Er ließ es sich gefallen und bouncte durch die Wirklichkeit. Es war eine Freude. Ich dachte, so müsste das wahre Leben sein! Also tat ich es ihm nach und lief wie er. Und wirklich. So war das wahre Leben! Ich spürte einen Beat. Ich ruckte mit den Fersen. Es trug mich durch die Blocks. So ging es ewig. Genauer gesagt zwei Straßenecken weiter. Genauer gesagt zwei verkehrsberuhigte Zonen weiter, genauer gesagt zwei mit Knochensteinen geklinkerte Garagenzufahrten weiter. Dann verebbte der Beat. Ich ruckte mit den Füßen und mühte mich. So also fühlt sich das wahre Leben an! Meine Schuhe schliffen ab. Es war sehr mühsam.

Als es gar nicht mehr ging, hörte ich auf zu gehen wie ein Hip-Hopper und ging nach Hause. Ich unterließ das gerichtete Zeigen der Schuhspitzen nach außen und das stoßweise Rucken der Schuhe beim Gehen nach vorne. Ich entlastete meine Fersen. Auf denen hatte das ganze Gewicht geruht. Die Sneakers malmten. Uff, es war eine Erleichterung! Auf dem Nachhauseweg kreuzte ein Paar Halbschuhe meinen Weg. Zunächst dachte ich, jemand würde mit der Absatzkante einen zugefrorenen See aufhacken. Als ob er etwas unter dem Eis suchte, einen Fisch oder einen Angehörigen. Es schallte hässlich durch die Wohngegend. Es schien mir nicht erstrebenswert, so zu gehen. Doch dann nahm ich den Rhythmus auf und fügte mich ein in das Klackern der Absätze. Ich tat es ihm nach und hackte mit. Es knallte. Und Vernichtung war dort, wo der Absatz auftraf mit seiner mörderischen Kante, die knallhart war wie eine Doktrin. Ah, so fühlt sich das Leben der Halbschuhe an!

So ging es immer weiter bis es nicht mehr ging, und ein Segway meinen Weg schnitt. Ein Segwayfahrer stand darauf und fuhr Segway. Er stand. Keinerlei Bewegung trübte seinen Anblick. Oh sieh, dachte ich. Stehend kommt er vorwärts! Wie eine Statue. Ein Feldherr. Ohne Miteinbeziehung von Beinbewegungen fährt er stehend durch die Gegend! Wie wunderschön. Er hätte auch einbetoniert sein können bis zu den Knöcheln oder den Hüften oder bis zu Hals. Wie ein Mafiaopfer. Es war eine Freude, ihn bewegungslos vorwärtskommen zu sehen. Ich dachte, ah, so fühlt sich das Leben der Betonierten an. Ich tat es ihm nach und stellte mich auf Beton. Nichts bewegte sich. Nur die Erde drehte sich. Und das Universum zog an mir vorbei.

Oh sieh, der Mensch, er schreitet fort, mit allem, was er an den Füssen hat! Es geht immer weiter, im Beton, im Hip-Hop, im Eis. So geht es immer weiter, bis es nicht mehr geht.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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