Liebes Leben:Wölfe und Waffen

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Keine Lust auf den Weihnachtsmarkt zu gehen? Das kann viele Gründe haben. Und es muss nicht nur mit Angst zu tun haben.

Von Franziska Storz

Wahrscheinlichkeitsrechnung war noch nie meine Stärke. Ich weiß aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: Es ist nicht sehr wahrscheinlich, bei einem Terroranschlag zu sterben. Zumindest weisen mich mutige Freunde ständig darauf hin, wenn ich durchscheinen lasse, dass ich auf große Weihnachtsmärkte und Menschenmassen gerade nur so mittelmäßig Lust habe. Dann folgt sofort die Belehrung. "Also die Wahrscheinlichkeit, dass dich ein Laster überfährt, die ist wirklich größer." Ich weiß. "Oder dass dich der Blitz trifft." Ja. Ich weiß. Ich empfinde aber weder den jähen Tod unterm Laster noch einen Blitzschlag als erstrebenswerte Variante meines Ablebens. Schon allein deshalb handelt es sich um eine blöde Argumentation.

Den Menschen in der Pariser Konzerthalle hat diese Statistik wenig geholfen, und ich denke schweren Herzens an sie. Doch die Parole der Stunde heißt: Jetzt erst recht. Wir müssen normal weiterleben. Müssen wir? Darf man angesichts dieser Anschläge nicht auch ein halbes Jahr lang stricklieseln, aus den dabei entstehenden - absolut sinnfreien - Wollwürsten Bilder kleben, der Familie Tee kochen und Geschichten vorlesen? Sich vor der Welt kurz verkriechen und eben nicht ins Fußballstadion gehen und nicht auf den großen Weihnachtsmarkt? Sich einfach mal gestatten, mit einem Scheißgefühl in der S-Bahn zu sitzen, ohne sofort dem sozialen Druck ausgesetzt zu sein, dass dann "die Terroristen gewonnen" haben? Angesichts der politischen Weltlage und der neuen Kriegsrhetorik ist es verständlich, wenn Leute kurz innehalten und nicht einfach ihr normales hedonistisches Konsumprogramm weiterfahren. Ich finde es sogar sympathisch.

Weitaus bedenklicher sind andere angstbedingte Entwicklungen. Bayern rüstet nämlich auf. Wie in anderen Kommunen auch, stieg beispielsweise in Nürnberg die Zahl der Anträge für Waffenscheine im Vergleich zum Vorjahr um 93 Prozent. Der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler führt das auch auf die Angst vor Terrorismus zurück. In manchen Läden sind Elektroschocker und Pfefferspray aber schon seit Monaten ausverkauft. Pfefferspray darf in Deutschland nur zur Tierabwehr verkauft werden. Der Waffenfachhandel führt den steigenden Absatz also offiziell auf die Angst der Deutschen vor dem Wolf zurück. Komisch nur, dass der Absatz so rasant steigt, seit so viele Flüchtlinge ins Land gelassen werden. Die Wolfssichtungen halten sich dagegen zurzeit doch eher in Grenzen.

Die Angst einer Gesellschaft, vor dem Fremden, vor dem Terrorismus, vor sozialem Abstieg, die kann sehr gefährlich sein. Keine Frage. Meine Unlust, auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, hat damit aber nichts zu tun. Ich habe nämlich wegen all dieser Dinge gerade einfach nur sauschlechte Laune.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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