Liebes Leben:Mutter und Tochter werden eingeschult

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Meine Tochter geht seit einem Monat zur Schule. Es ist die Hölle. Das Kind hat sich gut eingelebt. Nur ich habe Angst, der Klassenlehrerin zu begegnen.

Man hört ja so einiges über das Schulsystem an sich und das bayerische im Besonderen. Freunde berichten von Textaufgaben für Drittklässler, die kein Erwachsener versteht, Lateinübungen in der fünften Klasse, für die laut Schulpsychologen das Gehirn noch nicht reif ist - Misserfolg, Frustration, zu wenig Lehrer und das ganze Elend. Und was soll ich sagen: Die Gerüchteküche hat nicht untertrieben.

Meine Tochter geht seit einem Monat zur Schule. Es ist die Hölle. Das Kind hat sich gut eingelebt. Nur ich habe Angst, der Klassenlehrerin zu begegnen. Die Bilanz der ersten vier Wochen: ein Mal Schulranzen vergessen, zwei Mal verschlafen, ein Mal Kind mit dem Schlafanzug unter dem Mantel zur Schule gebracht, drei Mal Anschiss vom Schulpolizisten wegen Falschparkerei, ein Mal Sportzeug in der Mittagspause in die Schule geliefert.

Unser entspanntes Leben wich mit Schulbeginn in Windeseile einer Zetteldiktatur. Bereits vor Schulbeginn gab es Zettel für die Regeln auf dem Schulweg, das Verhalten im Schulgebäude, die Liste für das Schulmaterial, die Einladung für Elternabende, den Warnbrief wegen der Kopfläuse, den Hinweis auf die Vorlese-AG, den Zettel für den Schulchor, die Terminabfrage für einen Wandertag, das allgemeine Datenblatt und dann noch den Hinweis, beim "Pausenbrot" solle es sich um ein Brot handeln, nicht um eine Chipstüte. Vor Jahren stand bei mir mal ein Gerichtsvollzieher vor der Tür, weil ich einen Strafzettel nicht rechtzeitig überwiesen hatte. Heute lebe ich täglich in dem Gefühl, etwas sehr Wichtiges vergessen zu haben. Meine Tochter steht morgens im Bett und mein Biorhythmus kämpft noch immer mit der neuen Aufstehzeit. Erzogen werden in der Schule jedenfalls nicht die Kinder, sondern die Eltern.

Ach ja und die anderen Eltern erst! Nachdem ich bei der Einschulung mein eigenes Kind nicht gesehen habe, weil sich vor der Bühne ein fotografierendes Rudel von iPhone bewaffneten Kampfeltern versammelt hatte, war mir irgendwie klar, das könnte eine harte Zeit werden. Meerschweinchenbesitzer haben jedenfalls durch ihre Leidenschaft zu Kleintieren mehr Gemeinsamkeiten als die Eltern von Erstklässlern. Mit dem feinen Unterschied, dass sich nicht alle bundesdeutschen Meerschweinchenbesitzer zu Beginn der Ferien in einem langen Stau versammeln und ihre Ferien ein bis zwei Jahre im Voraus planen müssen. Die Ferien sind ja theoretisch der einzige Zeitraum, in dem man sich mit einem schulpflichtigen Kind noch einer Spontanitätsillusion hingeben könnte, aber Spontanität bleibt mit einem Schulkind leider ein verbotenes Gefühl, denn dann sind eben spontan schon alle Ferienhäuser belegt und die Flüge kosten acht Millionen Euro.

Wir legen die Klamotten jetzt jedenfalls immer am Abend vorher raus. Für jedes Familienmitglied einzeln. Die Katze ist klar im Vorteil.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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