Liebes Leben:Mama, wann stirbst du?

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Unsere Kolumnistin verlässt mit 35 Jahren zum ersten Mal Europa - und nimmt ihre Tochter mit. Die Panik kennt keine Grenzen.

Von Franziska Storz 

Ausschlag, Atemnot, gedankliche Aussetzer. Es fällt nicht leicht zu entscheiden, ob man mehr Angst vor einer tropischen Mücke oder dem Mückenschutzmittel haben sollte. Und was gefährdet unser Flugzeug stärker: der Vulkanausbruch in Indonesien oder der Taifun, der sich von Taipeh aus nähert und uns zu vier extra Übernachtungen in Bangkok zwingt?

Ich verlasse mit 35 Jahren zum ersten Mal Europa. Gemeinsam mit meiner sechsjährigen Tochter reise ich nach Bali. Es wird ja ständig beklagt, die Kinder heute erlebten zu wenige Abenteuer und würden andauernd kontrolliert. Unser Gegenprogramm: fünf aktive Vulkane, ein Taifun, Dengue-Fieber und Taxifahrten, bei denen die Tochter bei 140 Stundenkilometern nicht angeschnallt unter einem Surfbrett kauert. Eine sportliche Aufgabe für meine Unsicherheitstoleranz.

Kleine Mädchen werden im Alltag besonders gerne zurückgepfiffen. Klettere nicht so hoch, Achtung, da kommt ein Auto, von Melonenkernen bekommst du Blinddarmentzündung. Meine Mutter kommentiert unsere Reise mit den Worten: "Was soll das? Am Mittelmeer ist es doch auch richtig schön."

Als wir es bis nach Bali geschafft haben, ohne Magendarm und Notlandung, explodiert in Bangkok eine Bombe. Und am nächsten Nachmittag noch eine. Ich frage mich, mit einem klammen Gefühl im Bauch, wie Mütter in Syrien das machen. Was sagen die? Achtung, da oben ist ein Scharfschütze, und morgen werfen sie vielleicht eine Fassbombe ab? Ob nächsten Monat ein Angriff mit Chemiewaffen ansteht, kann ich leider noch nicht sagen? Nahezu alle Menschen auf der Erde haben es schwerer als wir, ihre Kinder gesund durchs frühe Leben zu bringen.

Warum beginnt dann gerade bei uns diese übertriebene Angst um den Nachwuchs oft schon bevor er auf der Welt ist? Meine Ärztin sagte neulich beim üblichen Plausch während der Untersuchung, dass keine ihrer Patienten noch normal schwanger seien. Sie meinte auch die Männer. Alle checken permanent den Zustand des ungeborenen Kindes ab. Sie erstellen eigene Diagnosen mithilfe des Internets, klagen dabei über mangelndes Körpergefühl und kreisen ständig um sich selbst. Wo kommt das her? Warum sind wir bei allem medizinischen Fortschritt, bei wachsender Lebenserwartung und relativ sicherer Ernährungs- und Umweltlage von derart irren Ängsten um unseren Nachwuchs geplagt?

Was Leute meiner Generation verlernt haben, ist Gottvertrauen. Spirituell und religiös ungebunden eiern wir durch die Welt, fühlen uns vermeintlich frei und haben gleichzeitig Angst, das Kind mal ohne Helm aufs Dreirad zu lassen. Das soll jetzt kein Plädoyer für Leichtsinn sein, sicher nicht, aber eines für weniger Hysterie. Meine Tochter fragt mich manchmal beim Zubettgehen, wann ich sterbe. Ich sage dann: Das dauert noch ein Weilchen. Wird Zeit, daran auch zu glauben.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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