Lichtbilder:Ganz kleines Kino

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Filmplakate waren einmal so ästhetisch, dass man sie sogar zu Hause aufhängte. Das ist leider vorbei. Über das Verschwinden einer ehemals stolzen Kunstform.

Von Susan Vahabzadeh

Filmplakate führen selten ein Eigenleben. Selbst wenn sie wunderschön aussehen, kommen sie nur dann an die Wohnzimmerwand, wenn sie auch einen Film illustrieren, zu dem man sich bekennt. Kaum jemand wird sich die Werbung für einen Film aufhängen, den er nicht mochte, oder zu seiner Begeisterung für "Dumm und Dümmer" so hemmungslos stehen, dass er sich die zwei Volltrottel gleich rahmen lässt.

Die Renner bei Postershops im Internet sind nach wie vor sichere Werte, Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in "Casablanca", "Scarface" mit Al Pacino oder "Vom Winde verweht". In solchen Hitlisten regiert die Nostalgie - unter den hundert Verkaufsschlagern beim Onlineportal moviepostershop.com finden sich nur wenige Plakate aus diesem Jahrtausend.

Der älteste unter den Rennern ist Fritz Langs "Metropolis". Der Film und das Plakat sind unverwüstlich, die düstere Vision einer übertechnisierten Welt, die sich in ein Oben und Unten teilt, funktioniert seit 89 Jahren - und diese Atmosphäre spiegelt das Poster perfekt.

Das hat seine Gründe: Die Plakatkunst war zur Stummfilmzeit auf ihrem Höhepunkt. Als das Kino noch jung war, in den Zwanzigerjahren, gab es Anzeigen in Zeitungen - oder Werbung wurde an die Wand geklebt. Etwas anderes existierte nicht. Filmplakate waren ein eigenes, ambitioniertes Genre. Als damals das expressionistische Kino von Berlin aus die Welt eroberte, sollten natürlich auch die Plakate, etwa für Robert Wienes "Cabinet des Dr. Caligari" oder Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu", dem visuellen Konzept entsprechen. Inzwischen muss man froh sein, wenn ein Film überhaupt ein visuelles Konzept hat. Vor allem aber gehorcht die Werbung längst anderen Gesetzen.

Früher ging es darum, mit einem Motiv den Blick einzufangen; heute muss alles schön erkennbar sein. Als beispielsweise Ende 1969 "Downhill Racer" ins Kino kam, war Robert Redford schon ziemlich bekannt, "Butch Cassidy und Sundance Kid" hatte ihn gerade zum Superstar befördert. Auf dem Poster zu "Downhill Racer" ist er eigentlich gleich zweimal zu sehen, als Küssender und beim Skifahren - erkennen aber kann man ihn beim besten Willen nicht. Eine solche Verschwendung von Star-Power würde heute kein großer Verleih mehr an die Litfaßsäulen lassen.

Es gibt Plakate, auf die wäre auch heute noch jedes Filmstudio stolz, weil sie Design und Wiedererkennungswert zusammenbringen - jenes zu "Scarface" (1983) mit Al Pacino beispielsweise, ein verfremdetes Foto, schwarz und weiß, jeweils zur Hälfte. Ein unverwechselbares Motiv, und es gab wieder, wie der zweifelhafte Held dieses Films im Kern ist: Tony Montana, ein brutaler Gangster, der immer mehr den Kontakt zur Realität verliert, immer paranoider und misstrauischer wird und sich in sich selbst zurückzieht.

Die Motive müssen heute nicht nur als Plakat funktionieren, sondern auch auf Social Media

Nun hat sich seither vieles verändert - beispielsweise buhlen viel mehr Filme gleichzeitig um Aufmerksamkeit, nicht mehr fünf in der Woche, sondern oftmals fünfzehn. Regisseure, die als Attraktion gelten, wie es bei Alfred Hitchcock war, gibt es nicht mehr - nicht einmal Steven Spielberg hat heute so viel Zugkraft. Die Motive selbst sind multifunktional: Sie müssen nicht nur als Plakat funktionieren, sondern auf allen Vertriebswegen, auch als DVD-Cover und Netflix-Kachel sowie auf Social Media.

Einzelne Künstler, die in Hollywood die Standards setzen - das ist vorbei. Saul Bass, 1920 geboren, war ein echter Star unter den Designern, die Hollywoodfilmen ihr Artwork verpassten. Er besaß einen einprägsamen Stil, grafisch, mit skizzierten Figuren. Vor allem die Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock ist unvergesslich - die Spiral-Grafik mit dem fallenden Männchen auf dem Plakat zu "Vertigo" beispielsweise. Sehr symbolisch, Hitchcock, James Stewart und Kim Novak sind nur als Schriftzug vertreten - 1958 reichte das als Attraktion. Hitchcock kannte ohnehin jeder, und man fand eben, James Stewart sei so berühmt, dass man sein Gesicht gar nicht zeigen müsse.

Bass war auch für die Eröffnungssequenzen der Filme verantwortlich, an denen er mitarbeitete, die Titel-Grafik und die Schriften, oft waren seine Entwürfe aufwendig. Er erlebte spät noch einmal eine Renaissance, als Martin Scorsese ihn in den Neunzigerjahren wiederentdeckte. So gestaltete er etwa die Eröffnungssequenz zu Scorseses "Casino". Da explodiert Robert De Niros Wagen, und die Explosion verwandelt sich erst in Leuchtreklame und dann ins grafische Design des Titels.

Auch Titelsequenzen, die mehr sind als bloß ins Bild gestreute Schrift, gibt es im Kino kaum noch, so etwas wie die Sätze zu "Star Wars" die in der Unendlichkeit des Alls verschwinden - die Idee dazu hatte sich der Designer Dan Perri bei Cecil B. DeMille geklaut. Ein ganzer Trupp von Designern war daran beteiligt, 1977 die "Star Wars"-Reihe unsterblich zu machen, vom Logo bis zum Plakat. Mit diesem Film wurde immerhin die Idee des Merchandising geboren, der Film als Flaggschiff eines ganzen Produktsortiments.

Drew Struzan, der die meisten "Star Wars"-Poster schuf, ist einer der letzten großen Plakatkünstler Hollywoods. Sein Stil ähnelte nicht Bass, sondern Tom Jung, ursprünglich Cartoonist, der für ungezählte Großerfolge die Plakate entwarf, etwa für "Doktor Schiwago" - seine Entwürfe waren der Gegensatz zu Bass, er arbeitete mit fein gezeichneten Porträts. Auch Europa hatte seine Helden der Plakatkunst, Jan Lenica etwa, der in Polen Filmplakate gestaltete, für Roman Polanski und andere. Sein Stil war sehr eigen, die Plakate sahen aus wie sozialistischer Realismus auf LSD. 1963 ging er nach Frankreich und später nach Deutschland, er arbeitete auch als Filmregisseur und drehte selbst sehr stark stilisierte Animationen.

Drei Jahrzehnte lang haben Porträts die Poster beherrscht

Und heute? Die Möglichkeiten, am Computer zu entwerfen, Photoshop - all das hat die Plakate verändert, vor allem die Macht der Stars hat das Gewerbe über Jahrzehnte geprägt. In Wirklichkeit gibt es zwar derzeit kaum noch einen echten Einspielgaranten außer Leonardo DiCaprio, aber drei Jahrzehnte lang haben Porträts die Poster beherrscht, die Gesichter der Schauspieler, für die das Publikum ins Kino ging - Brad Pitt, Mel Gibson, Tom Cruise, Julia Roberts, Harrison Ford, Uma Thurman, die für mehrere Filme von Quentin Tarantino stand, mal als gelb gewandete Blondine ("Kill Bill"), mal brünett, lasziv rauchend auf dem Poster zu "Pulp Fiction".

Plakate sind nicht mehr das wichtigste Werbemittel für einen Film, zumindest nicht für die großen Blockbuster. Während die Posterkunst verschwand, wurde nämlich eine ganz andere Art der Reklame fürs Kino immer wichtiger: Was teuer war, wurde im Fernsehen angepriesen, in Deutschland begann das in den Neunzigern. Die Spots sind eine kostenintensive Alternative, für Marketing wird heute viel mehr Geld ausgegeben als zu Zeiten von Saul Bass. Dass ein Studio einen Film für 150 Millionen Dollar produziert und dann noch einmal siebzig Millionen drauflegt, um ihn zu bewerben, hätte man sich zu seiner Zeit nicht vorstellen können.

Das führt auch zu einer Verschiebung der Macht. Es ist, wenn so viel Geld im Spiel ist, eben nicht selbstverständlich, dass ein Art Director und ein Regisseur sich zusammensetzen und entscheiden, was ihnen gefällt. Bei teuren Filmen sind heute ganze Mannschaften von Marketingstrategen am Werk, und ein Filmemacher mit den Machtansprüchen eines Stanley Kubrick, der von "A Clockwork Orange" bis "Eyes Wide Shut" das Recht auf den "Final Cut" für sich beanspruchte und berüchtigt dafür war, jede Änderung an Plakat-Motiven selbst abzusegnen, hätte es heute schwer in der Filmindustrie.

Jetzt ist es keineswegs so, als würden gegenwärtig alle Plakate nur noch langweilige, grotesk nachbearbeitete Porträt-Fotos und computergenerierte Superhelden zeigen, die man bestenfalls im Kinderzimmer aufhängen möchte. Immer noch werden wohnzimmertaugliche Plakate gestaltet - etwa die düsteren Gestalten vor karger Schneelandschaft zu Nuri Bilge Ceylans türkischer King-Lear-Bearbeitung "Winterschlaf" (2014) oder das mit kleinen Zeichnungen angefüllte Michael-Fassbender-Profil zu "Macbeth" (2015). Oder, erst kürzlich ins Kino gekommen, der körperlose Colin Farrell zu "The Lobster". Drei wunderbare Filme - sie waren nur alle drei keine Kassenschlager.

Schade: Selbst das schönste Plakat wird nur dann überleben, wenn auch die Erinnerung an den Film unauslöschlich ist - und dafür muss ihn erst mal jemand sehen. Nur manchmal hat ein Poster doch das Potenzial für ein Eigenleben, das zum Politdrama "The Ides of March" geht auch ohne Film: ein Gesicht, halb Ryan Gosling, halb George Clooney.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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