Insekten-Kunst:Schöne Schleimer

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Maximilian Prüfer lässt Schnecken, Ameisen und Fliegen für sich arbeiten. Der Künstler hat eine Technik entwickelt, die Spuren von Insekten und Weichtieren auf Papier bannt.

Von Titus Arnu

Das Atelier sieht aus wie eine Kreuzung aus Naturkundemuseum und Bastlerwerkstatt. Eine Tupperbox voller toter Käfer, Schachteln mit Schmetterlingsflügeln, tütenweise Federn. Ein ausgestopfter Auerhahn schaut schräg aus einem Pappkarton, in Schaukästen sind exotische Falter und Libellen aufgespießt. Präparierte Vogelspinnen und Skorpione hängen hinter Glas an der Wand. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Studios liegen angefangene Zeichnungen, daneben Farbdosen und ein Mäppchen mit Bleistiften, Minen und einem Metermaß. Wo man auch hinschaut: kreatives Chaos.

"Eigentlich bin ich ein Pedant", sagt Maximilian Prüfer. Kann sein, aber das sieht man nicht auf den ersten Blick. Sein Atelier im Industriegebiet Augsburg-Oberhausen ist vollgestopft mit skurrilen Objekten, toten Tieren, Zeichen-Utensilien und Papiervorräten. Am Eingang stehen versandbereite Holzkisten mit bruchsicher verpackten Bildern, sie sollen nach Wien transportiert werden, zu einer Galerie, die Prüfers Arbeiten ausstellt. Der Boden ist gesprenkelt mit Farbspuren und Klecksen, Tierspuren ziehen sich über die fertigen Bilder. Letzteres ist keine Panne, sondern volle Absicht.

Maximilian Prüfer lässt Schnecken, Ameisen und Fliegen für sich arbeiten. Er hat eine Technik entwickelt, mit der er die Spuren von Insekten und Weichtieren auf Papier bringen und konservieren kann. "Naturantypie" nennt er das von ihm selbst erfundene Druckverfahren. Wie es genau funktioniert, ist sein Betriebsgeheimnis. Er verrät nur so viel: Es sind verschiedene Farb- und Fixierungsschichten, mit denen er die Duftspuren von Ameisen, die Schleimspuren von Schnecken, die Abdrücke von Fliegenbeinen oder den Flügelschlag eines Nachtfalters festhalten kann. Dabei entstehen grafisch hochkomplexe Bilder, die meisten sind schwarz-weiß und großformatig, bis zu 1,80 mal 2,50 Meter. Plakative Tierversuche? Schöne Spielerei? Für den jungen Künstler steckt viel mehr dahinter.

Prüfers Werke sind immer eine Versuchsanordnung, eine Interaktion mit der Natur. Er legt zum Beispiel einen Bogen Papier neben einen Ameisenhaufen, platziert einen Apfel darauf - und wartet ab. Nach und nach tasten sich die Ameisen an das Objekt ran, umkreisen es, geben die Information über den Apfel an andere Ameisen weiter und arbeiten dann emsig zu Tausenden daran, bis fast nichts mehr von der Frucht übrig ist. Auf dem Bild ist der runde Umriss des Apfels zu erkennen, wie ein Schatten, rundherum wabern wie magnetische Wellen die Spuren der Ameisen. Dieses Muster zeigt etwas Faszinierendes: Wie ein Kollektiv einen gemeinsamen Gedanken fasst und diesen konsequent umsetzt. Von der Idee zur gemeinsamen Großtat: Die Ameisen bilden mit ihren winzigen Füßen einen geradezu philosophischen Gedanken ab, mithilfe eines Apfels und eines beschichteten Papierbogens.

"Ich sehe die Natur nicht als romantisierenden Ort, sondern als Ideenlieferant", sagt Maximilian Prüfer. Er tastet sich wie ein Naturforscher an sein Themengebiet heran, hat aber dabei immer ein künstlerisches Konzept im Kopf. Meistens arbeitet er draußen in der Natur, auf dem Waldboden, neben Ameisenhügeln und auf Wiesen, im Winter in seinem Studio. Dort hat er unter anderem eine Technik entwickelt, wie man die Farbpigmente von Schmetterlingsflügeln auf Papier übertragen kann, ohne dass dabei etwas verloren geht. Die toten Schmetterlinge bekommt er von Sammlern, aus den Depots von Naturkundemuseen und von Flohmärkten.

"Technik und Thema haben sich gemeinsam entwickelt und sind zusammen gewachsen", sagt Maximilian Prüfer, der 1986 in Weilheim geboren ist und seine Jugend in Bernbeuren am Auerberg verbrachte. Dort streifte er oft durch die Wälder und über die Wiesen, war schon als Kind fasziniert von Tierspuren, von natürlichen Mustern und der ständigen Verwandlung des Lebens. Er interessierte sich für Experimente und machte mit bei "Jugend forscht". Bei seinen Spaziergängen rund um das Dorf an der Grenze zwischen Oberbayern und dem Allgäu sammelte er Tierknochen, Federn und Holzstücke, zeichnete und untersuchte alles, was er fand und für interessant erachtete. Ein Blick in Prüfers Skizzenbuch aus diesen Jahren zeigt, wie akribisch er arbeitet. Seine Handschrift ist erstaunlich: winzige, ameisenhafte, gestochen scharfe Bleistiftstriche, die sich wie Insektenspuren übers Papier ziehen. Ein grafologisches Muster, in dem der Pedant und der präzise Naturbeobachter ganz klar erkennbar wird.

"Die Natur ist für mich ein perfektes Vorbild für Strukturen", sagt Maximilian Prüfer, "auch für Denkmuster." Er baut gerne einen übergeordneten Leitgedanken in seine Versuchsanordnungen ein, etwa einen Scheinwerfer, der Tausende Nachtfalter anzieht, damit sie Spuren auf einem aufgespannten Blatt hinterlassen. Oder er lenkt die Tiere in eine Richtung, indem er das Blatt neigt. "Schnecken sind extrem leicht zu manipulieren", sagt er. "Man muss die Fläche, auf denen sie kriechen, nur etwas kippen." So entstehen Muster, die er den Tieren aufgezwungen hat: "Ich habe quasi diktatorisch über die Schnecken entschieden." Und wie fühlt man sich, wenn man als Schöpfer ganze Völker für sich arbeiten lässt, sie lenkt und leitet, ohne dass sie etwas davon ahnen? "Der Urheber sind eigentlich die Zeit und die Evolution, nicht ich", sagt der Künstler.

Eine banale Frage bringt den Herr der Fliegen und Ameisen zurück auf den Boden. Wie viele Schnecken braucht er für ein großformatiges Bild? "300 bis 400 in einem Eimer", sagt Prüfer, "das macht ein ganz eigenartiges, schmatzendes Geräusch." Er sammelt sie im Garten seiner Mutter, auf Wiesen und Feldern. Nachdem die Schnecken ihre Arbeit für die Kunst erledigt haben, lässt er sie wieder frei, um Proteste von Tierschützern zu vermeiden - "sehr zum Bedauern meiner Mutter, die diese Viecher hasst".

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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