Immobilienkäufer:Türschlusspanik

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So sieht es aus, wenn der Traum vom eigenen Heim im Modell wahrgeworden ist: Das Haus steht, kein Nachbar nervt, und der Finanzierungsplan läuft im Hintergrund. (Foto: Michael Hudler/SZ-Montage)

Die Zinsen sind immer noch niedrig, die Mieten steigen: Wer jetzt noch keine Immobilie hat, steht gewaltig unter Druck. Über ein Deutschland im Kaufrausch.

Von Max Hägler

Es war eine anarchische Form des Wohnens und eine angenehme für junge Großstadtmenschen: Berlin, Rigaer Straße, auf Höhe des "Fischladens". Das bunt bemalte Haus war noch besetzt, irgendwie, damals in diesem heißen Sommer des Jahres 2000. Wer wollte, konnte hoch aufs Dach und mit Blick auf Berlin sein Bier trinken. Oder ein paar Häuser weiter, wo nur Punks wohnten und ihre Hunde, durch die Kellerluke in den, na ja, Bierkeller kraxeln, den sie passend "Loch" nannten. Kein schlechter Platz. Bis auf die Tatsache vielleicht, dass offiziell nur vegan gekocht werden sollte und für warmes Badewasser der Kessel angefeuert werden musste. Aber es gab ja noch das Schwimmbad am Ernst-Thälmann-Park, für wenig Geld - und mit Dusche. 400 Mark Miete kostete das Zimmer samt bröckelndem Stuck im dritten Stockwerk jedenfalls, das Geld ging an die Gemeinschaftskasse.

Eineinhalb Jahrzehnte später ist die Rigaer Straße weitgehend saniert, und die Polizei patrouilliert massiv. Das Viertel ist nicht mehr nur Quartier von Subkulturmenschen und Ostberlinern, sondern vor allem von Hipstern; es gibt Warmwasser ohne Unterbrechung, dafür sind die Mieten um den Faktor zwei bis drei gestiegen.

Dort wie überall in den Großstädten stellt sich mittlerweile dieselbe Frage: Können wir es uns künftig noch leisten, in der Stadt zu bleiben? Drinnen, wo das Leben ist, wo man daheim ist? Oder wird das Haus bald verkauft, werden wir bald hinausgedrängt? Zumal auch Hunderttausende Flüchtlinge in diesem Jahr ein vernünftiges Dach über dem Kopf brauchen.

110 qm erwerben? Ein durchschnittlich verdienendes Paar zahlt 52,5 Prozent des Einkommens nur für Zinsen

Schon jetzt kosten in München 96 Prozent der Wohnungen mindestens elf Euro den Quadratmeter - meist noch viel mehr. Ängstliche Töne sind überall in München, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und mittlerweile auch im einst leerstandsgeplagten Berlin zu hören, gerade bei den über 30-Jährigen. Denjenigen also, die gern in der Stadt leben und das auch künftig so halten wollen. Sie beschwören den Soziologen-Begriff "Verdrängung" schon fast obsessiv - und wollen nun dagegenhalten. Sie wollen sich reinkaufen.

Eine eigenartige Entwicklung ist das. Denn eigentlich verschreibt sich diese Generation doch gerade immer mehr der Share-Economy: in Airbnb-Betten, auf Couchsurfing-Sofas oder Alpenvereinslagern macht man Urlaub. Teilt Bohrmaschine und Auto. Hört Musik per Stream, virtuell, ohne etwas in Händen zu halten. Aber die eigenen festen vier Wände will die Share-Generation dann doch; weniger aus dem Status "Häuslebauer" heraus, es ist existenzieller, dreht sich um Sicherheit, um Altersvorsorge. Oder, wer es politisch sehen will: um die Flucht aus Feudalstrukturen. "Endlich zu Hause" titelte das Magazin Neon gerade; es ging schon auch ums Glück der eigenen vier Wände. Männer um die 30 wissen das am besten: Wer in einer ernsthaften Beziehung nicht von sich aus Immobilienbesitz anstrebt, kann sich üblicherweise bald wieder allein unter der Decke wärmen. Die richtig gut verdienenden oder gut erbenden Freunde und Bekannten machen es vor, sichern ihre Heimat per Eigentumswohnung. Schnell hinterher jetzt, das nächste Schnäppchen ist vielleicht das letzte, und das Geld ist ja so billig, plus minus zwei Prozent Zinsen muss man zahlen, beinahe umsonst! Da ist sie doch, die Lösung fürs Wohnen in der Stadt.

Nun, das geht nur, wenn man zwei wirklich gute und stabile Gehälter über Jahrzehnte zusammenwirft oder eben sechsstellig geerbt hat. Weil das schon jetzt sonst nicht mehr bezahlbar ist für die meisten Innenstadtmenschen.

Aber ist die Situation wirklich so dramatisch? Eine Billion Euro haben deutsche Geldinstitute derzeit verliehen für Wohnkredite, da kann man sich doch eigentlich ohne Probleme einreihen, ein paar Tausend Euro mehr oder weniger, wen stört das denn schon!

Nachfrage dort, wo sie das mit dem Häuslebauen mit am besten beherrschen, in Schwäbisch Hall, bei der gleichnamigen Bausparkasse. Unten in der Sparfuchs-Zentrale hängt ein Plakat, das Mut macht: "Die ersten Handwerker könnten schon lange für Sie arbeiten. Oder glauben Sie immer noch, ein eigenes Haus mit Garten sei unerschwinglich?" Ganz einfach sei das doch in Wirklichkeit: "Wann feiern Sie Ihr Richtfest?" Ein Haus muss es ja nicht sein, Herr Lechner. Aber eine Wohnung, gut 100 Quadratmeter, das suchen die mitteljungen Durchschnittsmenschen. Kostet so etwa eine halbe Million Euro in jeder halbwegs attraktiven deutschen Großstadt. Plus zehn Prozent für Notar und Steuern.

Herr Lechner, ein sehr großer, sehr gemütlicher Mann, kann das gut verstehen mit dem Immobilienwunsch. "Jeder zahlt in seinem Leben ein Haus. Der eine sein eigenes, der andere das vom Vermieter." Im Grunde, sagt er, hänge alles von drei simplen Fragen ab: "Was wollen Sie? Was haben Sie? Und was können Sie?"

Dass nur ein paar Tausend Euro Eigenkapital - das Haben in dieser Beispielrechnung - auf dem Konto sind, sei erst einmal nicht so schlimm. Das Beispielgehalt sei ja ordentlich, monatlich 2400 Euro netto, die Hälfte geht in die Wohnung. Lechner greift zum Taschenrechner. "Bei 2,5 Prozent Zinsbelastung", genau, auch wegen dieser niedrigen Hammerzinsen sind ja alle in Aufruhr, "kann dieser Mensch . . ." Pause . . . "genau die Zinskosten decken." Und? "Er würde nichts tilgen." - Wer nun denkt, da rechnen die knickrigen Schwaben, möge den Wohnatlas der Postbank zur Hand nehmen: Ein kinderloses Paar in Hamburg muss für eine 110-Quadratmeter-Wohnung 52,5 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens überweisen. In Berlin wären es 53,2 Prozent und in München sogar 67,3 Prozent. Theoretische Tilgungsdauer in Hamburg: 144 Jahre. Die Kinder oder Enkel werden gegebenenfalls was davon haben als Erben, so sie denn überhaupt kommen. Aber geht es nicht auch um ein eigenes gutes Leben? Jetzt?

Wer eine Stadtwohnung für eine halbe Million auf Kredit kauft, zahlt eineinhalb Mal

Also? "Das geht nicht", sagt Lechner. Eine Immobilie für 320 000 Euro wäre drin. Wenn denn die Zinsen so niedrig bleiben. Wer nicht langfristig vorgesorgt hat, etwa über Bausparverträge, könnte in die Zinswende geraten, wenn die oft zehnjährigen Darlehen auslaufen und ein neuer Kredit ausgehandelt werden muss. Vor einigen Jahren waren es noch vier Prozent - irgendwann wird es wohl wieder auf so ein Niveau steigen. Das sind plötzlich noch mal 400 Euro pro Monat mehr Belastung. 1600 Euro statt 1200 also.

Und selbst wenn alles bei recht freundlich aussehenden 2,5 Prozent bliebe: Das ist im Endeffekt viel Geld. Auf 250 000 Euro summieren sich die vermeintlichen Hammerniedrigzinsen. Wenn man eine Stadtwohnung kauft, zahlt man quasi eineinhalb Mal. Mindestens. Und bis dahin gilt: selten in den Urlaub fahren. Den Gürtel enger schnallen. Für Jahrzehnte. Will das ernsthaft jemand? Dann kann man auch gleich aufs Land ziehen.

Kleiner also oder gleich raus, das sind die Stellschrauben, um die halbe Million zu unterschreiten. Aber dann weiter, als die S-Bahn fährt, vorher ist es auch nicht recht viel günstiger. Also richtig weit draußen - das hätte zumindest den Vorteil, dass man endlich mal die großen Teile im Baumarkt kaufen kann: Das Garagentor "Titan", ein paar Granitbodenplatten. Und im Garten dann eine dieser geschwungenen Feuerschalen, für die Abende mit den Freunden. Auch wenn die dann eben nur noch einmal im Jahr zu Besuch kommen, der Fahrtweg zum bezahlbaren Eigenheim fernab von Cafés und der Arbeit ist eben doch lang. Ein Leben mit Pendlerpauschale und Zweitwagen statt intelligentem Carsharing: In Ordnung für ganz viele, aber doch nicht für den Großstadtmenschen. Hausforscher, diese akademische Spezies gibt es tatsächlich, formulieren es so: Der Wohnungstyp des Einfamilienhauses könne "schwer überwindbare Kommunikationsbarrieren aufbauen".

Und sicher fürs Alter ist das Ganze auch nicht: Abseits der Städte wäre im Fall der Fälle so ein Hausverkauf schwierig, vielleicht mit Abschlägen verbunden. Unwahrscheinlich? Nun, der deutsche Ausschuss für Finanzstabilität sieht in Niedrigzinsen vor allem für den deutschen Immobilienmarkt die Gefahr von "Preisblasen". Ja, dieses Risiko sei sogar größer für die Finanzwirtschaft als die Griechenland-Krise.

Überhaupt, der Fall der Fälle: Was tun, wenn man arbeitslos wird und das ganze nicht abgezahlt ist? Oder eine Scheidung? Oder ein krankes Kind? Lechner schaut ungläubig. "Das fragt keiner, der etwas kaufen will, das verdrängen alle." Aber es kann vorkommen. Die freundlichen Finanzierer versuchen dann, die Raten zu strecken. Die bösen schicken den Zwangsvollstrecker. Mal abgesehen davon, dass noch etwas viel Banaleres passieren kann: Umzug wegen eines Jobs, wegen des verbauten Ausblicks, wegen der furchtbaren Nachbarn. Wer mietet, kann recht unkompliziert von A nach B; die Neu-Wohnungssuche ist zwar oft leidig, steht aber meist in keinem Verhältnis zum Immobilienverkauf samt Notar und gegebenenfalls Scheidungsanwalt: Das investierte Geld ist gebunden. Und die Liebe, mit der man das Garagentor montiert hat, zahlt einem keiner. Der selbstgebaute Traum ist nicht der eines anderen.

Es war schon auch ein Dreh der Obrigkeit, welcher die Menschen ganz wild aufs Häuslebauen gemacht hat. Eigenheime seien der Garant einer wirtschaftlich stabilen und politisch ruhigen, staatstreuen Arbeiterschaft, hieß es vor 100 Jahren; Adenauer sah in der Schaffung von Eigenheimen, den "sozial wertvollsten Zweck von Familienpolitik", ja ein Mittel, um die Besitzlosen der "Proletarisierung" zu entreißen. Die Indoktrination hält an, wird mitunter auch pseudo-moralisch: Der Journalist Ulf Poschardt versteigt sich zu der These: Wer viel besitzt, wolle (und könne in der Regel) viel Verantwortung übernehmen. Die Deutsche Stiftung Eigenheim schreibt in einem ihrer Bücher: "Eigentum ist nicht alles. Aber alles ist nichts ohne Eigentum."

Unser Leben taugt nichts, weil wir den Bankern keine Zinsgewinne verschaffen wollen, und für die Gesellschaft leisten wir Mieter auch nichts? Das ist keine Philosophie, das ist eine anmaßende Frechheit, und das wird nicht besser durch die katholische Soziallehre, die das Ganze flankiert: Eigenheime seien eine Dimension der persönlichen Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Zu Zeiten der Feudalwirtschaft mag das irgendwie gegolten haben. Aber nicht in deutschen Großstädten im Jahr 2016, bei denen wir Mieter als steuerzahlende Bürger investieren in ein Gemeinwesen, das uns schützt: Wenn ich die Tür zumache, bin ich sicher, egal ob es meine eigene oder eine gemietete ist. Und ich bin recht sicher, dass die gemietete bezahlbar bleibt, Steigerungen hin oder her, dafür sorgen Gesetze, Kommunalsatzungen und letzthin sogar der Bundesgerichtshof, der ein Mieterschutzurteil fällte mit dem Verweis auf das Grundgesetz: "Eigentum verpflichtet."

Der Ideologie des Eigentums zum Trotz: Beinahe die Hälfte der Deutschen wohnt noch immer zur Miete

Übrigens: Beinahe die Hälfte der Deutschen - in Städten noch viel mehr - wohnen trotz des eigentumsideologischen Trommelfeuers zur Miete. Und 88 Prozent sind zufrieden damit. Hat ein Wohnbaufinanzierer erhoben vor Kurzem, nicht irgendeine kommunistische Mietlobby. Eigener Herd ist Goldes wert - das ist ein Spruch von gestern.

Aber das Heimatgefühl? Auf dem Notebook von Lechner klebt der Spruch: Heimat schaffen. Doch ist das gleichbedeutend mit dem Heim-Schaffen? Kurzer Test: Wo sind die Abendessen am angenehmsten? Bei denen, die mit larmoyanter Begeisterung die Mängel ihres sündteuren Neubaus vorführen oder über die lauten Nachbarn neben ihrer Eigentumswohnung klagen, bei diesen Leuten also, die Kinder, Karriere und Kredite unter einen Hut bringen wollen, dieser "gehetzten Generation"? Oder dort, wo die Immobilienlosen ohne viel Aufhebens einfach Pasta und Wein auf den Tisch stellen? Das sind meist die ohne drückende Kredite.

Wohnen, das Wort stammt vom indogermanischen wunian. Die eine Bedeutung: nach etwas trachten. Eine andere: sich wohlfühlen. Zufrieden sein. Das geht auch und gerade als Mieter. Also einfach manchmal weiter fluchen über den Quadratmeterpreis. Und ansonsten das Großstadtleben genießen. Flexibel sein. Rausfahren. Reisen. Geld ausgeben für sich also, nicht vor allem für die Wände.

Und vielleicht sogar kreativ werden. Sich zusammentun. Etwas gemeinsam erwerben mitten in der Stadt, mit Gleichgesinnten. Gemeinheim statt Eigenheim, quasi. Denn das kann schon auch eine Lösung sein. Mithilfe des Mietshäuser Syndikats aus Freiburg etwa haben sich in ganz Deutschland Menschen zusammengetan, ein, zwei Dutzend meist, eine GmbH gegründet und mit einer Mischung aus Eigenkapital und Bankdarlehen Mietshäuser gekauft. "Entprivatisiert", wie sie beim Syndikat sagen. Das ist nicht einfach, die Menschen müssen passen, sie müssen idealerweise Kontakte zu Stadtpolitikern und -beamten - oft ist die Kommune Verkäufer - knüpfen, auch viel Verwaltungskram erledigen und vor allem lange suchen und verhandeln; es geht im Zweifel auch darum, dass nicht der höchstbietende Investor siegt, sondern eine gut finanzierte Idee. Aber wenn eine Truppe über Jahre am Ball bleibt, kann sie Erfolg haben. Das Syndikat hat das bereits 104 Mal geschafft.

Beim bunten Haus in der Rigaer Straße in Berlin lief das ähnlich: Einige haben sich zusammengetan und es gekauft. Nun renovieren sie es nach und nach. Nicht immer ist es unkompliziert, immer noch gibt es Plena mit Palaver. Aber das hätte man auch mit einer gekauften Wohnung und den Eigentümerversammlungen.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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