Freiheitsindex 2011:Verbotsrepublik Deutschland

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Zum ersten Mal hat eine Untersuchung die Freiheitsliebe der Deutschen gemessen. Das Ergebnis: Abstrakt wird sie durchaus geschätzt. Konkret nehmen die Forderungen nach Verboten zu - von radikalen Parteien bis zu hochprozentigem Alkohol.

Gewaltvideos und Pornos, radikale Parteien und Blasphemie: All das sollte nach Einschätzung vieler Deutscher vom Staat verboten werden, um "den Menschen vor sich selber zu schützen". Gemeinsam mit dem renommierten Institut für Demoskopie Allensbach und dem Mainzer Institut für Publizistik hat sich das John Stuart Mill Institut aufgemacht, im "Freiheitsindex Deutschland" die Freiheitsliebe der Deutschen zu ergründen. Ganz im Sinne seines Namensgebers: John Stuart Mill gilt als Vordenker des britischen Liberalismus.

Die Deutschen wünschen sich in vielen Bereichen staatliche Verbote - für starken Alkohol ebenso wie für Gewaltspiele und radikale Parteien. (Foto: DPA/DPAWEB)

Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig und widersprüchlich zugleich: Zwar ist die abstrakte Wertschätzung der Freiheit gerade unter den Jüngeren gestiegen. So stimmten zum Beispiel deutlich mehr Befragte der Aussage "Jeder ist seines Glückes Schmied (...)" zu, als der fatalistischeren Einschätzung "Tatsächlich ist es so, dass die einen oben sind, und die anderen sind unten und kommen bei den heutigen Verhältnissen auch nicht hoch (...)." . Gerade die unter 30-Jährigen sind überwiegend (zu 58 Prozent im Westen und 56 Prozent im Osten) überzeugt, ihr Leben selbst in der Hand zu haben.

Gleichzeitig haben Forderungen nach staatlichen Verboten deutlich zuzugenommen. Danach gefragt, welche Dinge der Staat "in jedem Fall verbieten" sollte, konnten die 1792 Befragten aus einer Liste wählen. Fast jede mögliche Antwort fand dabei deutlich mehr Anhänger als bei einer Erhebung von 2003. Ganz oben auf der Liste der geforderten Verbote landeten gesellschaftliche Themen: So sprachen sich mit

[] 92 Prozent die meisten für ein Verbot von harten Drogen aus, auf Platz zwei der geforderten Verbote kam das

[] Klonen von Menschen (84 Prozent), gefolgt von einem staatlichen

[] Verkaufsverbot für Filme (62 Prozent) und Computerspiele (65 Prozent) mit vielen Gewaltdarstellungen.

Auch in der Politik würden viele den Staat gerne stärker in die Pflicht nehmen: Für ein Verbot rechtsradikaler Parteien sprachen sich 71 Prozent der Befragten aus, 2003 waren es lediglich 54 Prozent. Auch am anderen Ende des Spektrums ist die Ablehnung für extreme Positionen gewachsen: Ein Verbot linksradikaler Parteien fordern 43 Prozent der Bürger, deutlich mehr als noch vor acht Jahren (32 Prozent).

Mit den aktuellen Erkenntnissen über rechtsextremen Terror in der Bundesrepublik hat diese Entwicklung jedoch nichts zu tun: Die Daten wurden bereits im August erhoben.

Die gestiegene Zustimmung zu einem Kreditaufnahme-Verbot bei Verschuldung dürfte hingegen unmittelbar von der Finanz- und Eurokrise beeinflusst sein: 2003 sprach sich nur gut ein Drittel der Befragten für eine solche Vorschrift aus, im August dieses Jahres waren es mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent).

Die Rufe nach staatlichen Verboten nehmen quer durch die Politikfelder und Konsumbereiche zu:

[] 36 Prozent würden Pornographie am liebsten ganz verbieten,

[] jeder Vierte fordert, Gotteslästerung zu untersagen, und

[] gut ein Fünftel spricht sich für ein Verkaufsverbot von hochprozentigem Alkohol aus.

Das Ergebnis des "Freiheitsindex Deutschland" spricht eine deutliche Sprache: Die Menschen sehnen sich nach einem väterlichen Staat, der regulierend in alle Lebensbereiche hineinwirkt und die Bürger so von ihrer eigenen Verantwortung befreit. Dieses Bild sieht das John Stuart Mill Institut auch im zweiten Teil der Untersuchung - einer quantitativen Medieninhaltsanalyse - bestätigt. In der öffentlichen Meinung, wie sie in den großen Printmedien Ausdruck finde, überwiege als Grundhaltung das Verbots- gegenüber dem Selbstbestimmungsparadigma. Das Resümee: "Der Ruf nach Verboten scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein."

Der Freiheitsindex soll von nun an jährlich erhoben werden - und im nächsten Jahr eine dritte Säule bekommen: Dann wollen die Forscher zusätzlich erheben, welcher Wert der Freiheit in der Gesetzgebung zukommt.

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