Fotodokumentation:Irgendwie weiterleben

Zwei Millionen syrische Kinder sind auf der Flucht, sie leben in Libanon, Jordanien, Ägypten und in der Türkei. Welche Spuren das hinterlässt, dokumentiert der schwedische Fotograf Magnus Wennman.

Zwei Millionen syrische Kinder sind auf der Flucht, sie leben in Libanon, Jordanien, Ägypten und in der Türkei. Welche Spuren das hinterlässt, dokumentiert der schwedische Fotograf Magnus Wennman.

Shiar, 10 Jahre

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(Foto: Magnus Wennman)

Monatelang war die Stadt Kobanê an der syrisch-türkischen Grenze unter Beschuss, die Terrormiliz Islamischer Staat hatte große Teile der Stadt mit überwiegend kurdischen Bewohnern eingenommen. Die Familie von Shiar hielt es in ihrer Heimat nicht mehr aus und beschloss, nachts die Grenze zu überqueren. Sie fühlte sich im Schutz der Dunkelheit sicherer. In der Nähe der Grenze fasste die Familie dann den Beschluss, sich auszuruhen. Shiar wurde als Erster wach, lief ein bisschen umher - und stieg auf eine Landmine. Er verlor seine linke Hand und zwei Finger an der rechten. Seine Brust, sein Hals und Kinn sind stark vernarbt. Heute lebt er in einem kurdischen Lager in der Türkei. Er sagt: "Mir ist dauernd kalt. Vor allem an meinem linken Arm. Da, wo meine Hand mal war."

Walaa, 5 Jahre

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(Foto: Magnus Wennman)

Nachts kamen die Fassbomben: mit Sprengstoff und Metallstücken gefüllte Behälter, die aus Hubschraubern oder Flugzeugen über ihrer Heimatstadt Aleppo abgeworfen wurden. "Ich fürchte mich vor der Nacht, das ist die schlimmste Zeit", sagt das Mädchen heute. "Und ich fürchte mich vor meinem Kissen." Das Kissen ist für Walaa das Zeichen fürs Zubettgehen - und der damit verbundenen Panik. Jeden Abend weint die Fünfjährige, wenn sie schlafen soll. Früher hat sie nie geweint. Um ihr Kind etwas zu beruhigen, baut Walaas Mutter tagsüber oft einen kleinen Unterschlupf aus Kissen, damit sich das Mädchen sicherer fühlt. In Aleppo hatte Walaa ein eigenes Kinderzimmer. "Ich möchte heim", sagt sie.

Mohammed, 4 Jahre

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(Foto: Magnus Wennman)

Etwas anderes als den Krieg kennt Mohammed nicht. Als er noch ein Baby war, flüchtete seine Familie mit ihm aus Raqqa im Osten Syriens; die Stadt steht heute unter der Kontrolle des "Islamischen Staates". Jetzt lebt er in einem kleinen Flüchtlingslager in der Bekaa-Ebene in Libanon. Dort wurden nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR bis Ende August mehr als 390 000 Syrer offiziell registriert, etwa ein Drittel aller Flüchtlinge in Libanon. Mohammed hat noch nie im Leben ein Wort gesprochen, und er ist kleinwüchsig. Seine Eltern würden ihn gerne zu einem Arzt bringen, um die Ursache für sein Wachstumsproblem zu klären. Aber sie rechnen nicht damit, je Hilfe zu bekommen.

Tiram

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(Foto: Magnus Wennman)

Das Mädchen weiß nicht, wie alt es ist, an Geburtstagsfeiern kann es sich nicht erinnern, eine Schule hat es nie besucht. Tiram hat Schmerzen im Rücken und ist blind. Deswegen kann sie auch nicht einfach aus dem Zelt laufen, obwohl sie gerne draußen wäre. Manchmal krabbelt sie ins Freie und setzt sich vor das Zelt, um wenigstens ein bisschen von dem Leben im Flüchtlingslager mitzubekommen. "Ich höre gerne zu, was im Fernsehen läuft", sagt sie. "So verbringe ich die meiste Zeit. Am liebsten mag ich Cartoons."

Maram, 8 Jahre

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(Foto: Magnus Wennman)

Sie kam gerade aus der Schule, als eine Rakete im Haus der Familie einschlug. Ein Teil des Dachs stürzte auf Marams Kopf. Ihre Mutter brachte sie in ein Feldlazarett, von dort aus wurde sie mit einer Gehirnblutung über die Grenze nach Jordanien ausgeflogen. Elf Tage lang lag sie im Koma. Ihr Kiefer ist immer noch gebrochen, und obwohl sie wieder wach ist, hat sie seit dem Unfall kein Wort mehr gesagt.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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