Film:Ausgeturtelt

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Abschiedskuss: Die romantische Komödie, noch vor kurzem ein Erfolgsgenre, wird zum Kassengift. Was viel über das Kino erzählt - und noch mehr über das Verlieben.

Von Martin Wittmann

Der neue, dritte Teil der "Bridget Jones"-Reihe handelt von der Schwangerschaft seiner Protagonistin. Zu Beginn trifft Jones (gespielt von Renée Zellweger) ihren Ex (Colin Firth) wieder, und zwar auf der Beerdigung eines anderen Ex (Hugh Grant), der nach einem Flugzeugabsturz für tot erklärt wurde. Der Film ist eine klassische Romantic Comedy, kurz Rom Com, und da sollte es nicht viel zu grübeln geben. Ein wenig schmunzeln und ein paar Tränen in den Sofaüberwurf drücken, das müsste reichen.

Aber es sind dies steinharte Zeiten für herzerweichende Filme. Mit dem nötigen Analyseblick wird das Ganze dann auch doppelbödig wie Bridget Jones' Oma-Unterhosen. Zellweger, 47, die ihre Karriere einst mit Rom Coms wie "Jerry Maguire" und eben "Bridget Jones" begründete, will mit einem Kind die erkaltete Beziehung zum Publikum aufwärmen; so was ist noch selten gut gegangen. Und zu Grabe getragen wird ja nicht nur Hugh Grant in seiner Rolle als Daniel Cleaver, sondern das Gesamtkonzept Hugh Grant.

Niemand hat den Geist der Rom Coms souveräner verkörpert als der heute 56 Jahre alte Brite. Wie oft hat er als höflicher, ungeschickter, argloser Junggeselle die störrische Frau herumgekriegt? Wer sich nicht erinnert, findet gewiss Filme wie "Notting Hill" oder "Tatsächlich...Liebe" im Adventsfernsehen, zwischen Don Camillo und tschechischen Märchen - auf dem Programmfriedhof der toten Genres also. Hier stelle man sich bitte Hugh Grants vor Sorge zerknitterte Stirn vor.

Der Tod der Rom-Com ist an Zahlen abzulesen: Fielen 1999 noch fast zehn Prozent der Einspielergebnisse in den USA auf dieses Segment, waren es 2015 nur 0,64 Prozent. Die 25 erfolgreichsten Rom Coms wurden alle zwischen 1995 und 2009 gedreht. Hits wie "Crazy, Stupid, Love." waren in den vergangenen Jahren die Ausnahme. Eine gängige Erklärung: Hollywood schielt verstärkt auf internationale Märkte, und eine Explosion lässt sich eben einfacher in fremde Kulturkreise übersetzen als Dialoge. Eine andere: Die Leute gehen nur noch des Spektakels wegen ins Kino; Liebesfilme (oder neue Serien wie "Love") streamen sie gemütlich daheim. Noch eine Erklärung, diesmal von Expertin Drew Barrymore: Die Studios konzentrierten sich mehr und mehr auf zwei Arten von Filmen, auf die mit Oscar-Chancen und auf die mit Einspielpotenzial. Auf die Rom Coms gemünzt: Mit Preisen überhäuft wurden sie noch nie, und jetzt haben sie auch noch ihr Publikum verloren.

Wie konnte das passieren? Eine in jeder Hinsicht grobe Antwort: Das spielerische und komplizierte Zueinanderfinden zweier Menschen, die Grundlage jeder Rom Com, gibt es in der heutigen Wirklichkeit nicht mehr. Der Tod der romantischen Komödie ist kein cineastisches Phänomen, sondern ein reales.

Die Helden der Rom Com fanden bereits im Vorgängergenre, der Screwball-Komödie, nur über Umwege und Hindernisse zusammen. Einst waren dies Klassenunterschiede, zum Beispiel in "Ein Herz und eine Krone" aus dem Jahr 1953, mit Gregory Peck als Journalist und Audrey Hepburn als Prinzessin. Weil Schichtgrenzen arg löchrig geworden sind, ist eine Mesalliance heute reizlos.

Ein weiteres Merkmal des Genres ist das Unwissen der Verliebten. Oft sind die Zuschauer über die Geschichte informierter als die Protagonisten selbst, was deren Irrungen und Wirrungen nur noch lustiger oder tragischer macht. Ein Beispiel: Tom Hanks und Meg Ryan schreiben sich 1998 in "E-Mail für Dich" inkognito Nachrichten; sie ahnen dabei nicht, dass sie einander längst kennen. Heute ist eine Identität schneller ergoogelt, als Meg Ryan für ihren falschen Orgasmus in "Harry und Sally" brauchte. Beim Gespräch mit der SZ erinnerte sich Hanks 2011 an die bittere Einsicht von "E-Mail für Dich"-Regisseurin Nora Ephron. Die habe gesagt, das Handy habe "ganz viel in der Tradition der romantischen Komödie vernichtet, weil jeder jeden immer anrufen kann, oder man macht ein Foto von etwas, und die Wahrheit kommt heraus".

Noch kulturpessimistischer gesagt: Die Digitalisierung hat Liebes- und Abschiedsbriefe zerstört, die Kommunikation findet quasi in einer Post-Post-Moderne statt. Whatsapp-Nachrichten sind längst nicht so telegen wie Papier und Handschrift. Auch birgt das algorithmisierte Kennenlernen über Dating-Apps wie Tinder nicht mehr so viel Raum für Fettnäpfchen und Peinlichkeiten (und die Schauspielkunst) wie eine Anbandel-Szene in einer Bar. Der erste Kuss, Höhepunkt vieler Rom Coms, ist in superliberalen Zeiten nicht mehr das ersehnte Ende eines Zueinanderfindens, sondern oft genug ihr lapidarer Beginn. Sex ist nicht mehr Ziel, sondern Grundlage vieler frischer Beziehungen. Komödienrelevante Geschlechterklischees sind so angestaubt, dass männlicher Eroberungsehrgeiz und weibliche Schmacht- oder Beißzangenreflexe nicht mehr ernst genommen werden können. Die allgegenwärtige Ironie hat dem Geist der Rom Com das letzte Licht ausgeblasen.

Auch "Bridget Jones's Baby" hat die Erwartungen nicht erfüllt - obwohl es eine Fortsetzung ist, was in dem Genre nicht oft vorkommt. Hollywood liebt Filmreihen, weil sie sichere Einnahmen versprechen. Rom Coms bieten sich dafür nicht an, schließen sie doch meist mit einem Happy End. Niemand will wirklich wissen, wie es danach weitergeht, oder wie das US-Magazin The Paris Review schrieb: "Jeder Thriller über häusliche Gewalt ist das Sequel einer romantischen Komödie." Es brauche nicht viel Fantasie, um den fiesen Ehemann aus dem Julia-Roberts-Thriller "Der Feind in meinem Bett" als spätere Version von Richard Geres Rolle in der Julia-Roberts-Komödie "Pretty Woman" zu identifizieren. Schaut man sich heute die alten Filme an, erweist sich tatsächlich jeder zweite Annäherungsversuch als massives Stalking.

Hoffnung macht, dass noch jedes ausgestorbene Kinogenre, ob nun der Western oder der Piratenfilm, irgendwann wieder auferstanden ist. Am Ende von "Bridget Jones's Baby" sieht man übrigens eine Zeitung herumliegen. Auf dem Titel ist ein Foto von Hugh Grant zu sehen. Die Nachricht dazu: Der Mann hat den Absturz doch überlebt.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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