Familientrio:Ungewollte Tippgeber

Wird das Kind von den Eltern verweichlicht? Was kann man tun, wenn die Großeltern den eigenen Erziehungsstil kritisieren?

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Unsere 7 Monate alte Tochter schläft wenig und will nicht alleine sein. Also tragen wir sie viel im Tuch, einer von uns ist immer bei ihr. Meine Eltern kritisieren uns dafür und behaupten, wir würden sie verweichlichen. Mich verletzt, dass sie unsere Kompetenz infrage stellen. Reden bringt nichts. Wie kann ich also für stressfreien Kontakt sorgen und zeigen, dass es viele richtige Arten der Erziehung gibt? Julia T., Hannover

Kirsten Boie

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Ein sieben Monate altes Kind kann man kaum verweichlichen: Wenn Ihre Tochter und Sie sich so wohlfühlen, ist doch alles wunderbar! Manche Kinder brauchen sehr viel Nähe. Eine deutliche Grenze würde ich aber ziehen, wenn sich alles und alle nur noch nach ihren Bedürfnissen richten müssen. Nicht, weil Sie Ihr Kind damit verweichlichen würden, nur: So hat die Natur sich die Entwicklung kleiner Menschen sicher nicht vorgestellt. Schon wenn ein zweites Kind kommt, ist es nicht mehr möglich, dass sich alles nach jedem Kind richtet. Darum sind gerade kleine Kinder, solange sie sich sicher und geliebt fühlen, unglaublich adaptionsfähig und in der Lage, sich neuen Menschen und Situationen neugierig und begeistert zuzuwenden. Dazu ist es überhaupt nicht nötig, dass sie die ganze Zeit im Mittelpunkt stehen. Wenn sie etwa bei Familientreffen einfach dabei sind, reicht ihnen das vielfach schon aus. Sie werden Ihre Eltern kaum umerziehen können. Aber ein vergnügtes Kind, das sich gut entwickelt und trotzdem seine Umgebung nicht permanent in Schach hält, wird sie vielleicht überzeugen. Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Jesper Juul

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(Foto: Anne Kring)

Zunächst möchte ich mich an die Großeltern richten: Wenn Sie darüber diskutieren wollen, wie Ihre Kinder ihre Kinder großziehen, sollten Sie sicher sein, dass dies auch gewünscht ist. Fragen Sie, ob Sie Ihre Gedanken teilen dürfen. Allerdings bedeutet ein Nein auch Nein. Und Frau T.: Was Sie zu dem Schluss kommen lässt, dass Ihre Tochter nicht alleine sein will, weiß ich nicht. Ich mache mir keine Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes, aber so können Sie die nächsten Jahre nicht weitermachen. Sie gewöhnt sich gerade daran, Ihnen immer nah zu sein, und daher wird sie vielleicht panisch, wenn Sie sie alleine zum Spielen auf dem Boden legen. Sie helfen ihr vermutlich dabei, sich etwas anzugewöhnen, das Ihnen allen Ärger einbringen könnte, aber auch das weiß natürlich niemand mit Sicherheit. Also tun Sie das, was Sie richtig finden, und lassen Sie sich vom Leben erziehen anstatt von Großeltern oder "Experten". Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

Katia Saalfrank

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(Foto: picture alliance / dpa)

In Deutschland galt lange die Prämisse: Das Kind ist ein Tyrann, den es zu bändigen gilt und zwar schon als Säugling. Das bedeutete: schreien lassen, es nicht auf den Arm nehmen, überhaupt nicht zu viel Aufmerksamkeit und Nähe. Ich erzähle Ihnen das, weil ich möchte, dass Sie verstehen, wo diese "Ammenmärchen" von verwöhnten Säuglingen herkommen. Diskutieren Sie nicht mit Ihren Eltern, sondern sagen Sie nur: "Ich höre, was ihr sagt, und mache es so, wie ich es für richtig halte." Ich möchte Sie in Ihrem Gefühl bestärken, dass Sie für Ihre Tochter so sein dürfen, wie Sie sind. Sie wird Ihnen nicht auf der Nase herumtanzen, sondern ein tiefes Vertrauen entwickeln. Ihr feinfühliges Verhalten führt zu einer sicheren Bindung zwischen Ihnen und Ihrer Tochter. Ihr Kind braucht Sie, es sucht bei Ihnen Wärme, Geborgenheit und Schutz. Diese Form von Kontakt und Interaktion ist die Voraussetzung von Dialog und die Grundlage von Beziehung. Lassen Sie sich nicht verunsichern. Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musiktherapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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