Familientrio:Tränen am Morgen

Wie soll man mit seinem vierjährigen Sohn umgehen, der seit einiger Zeit jeden Morgen vor dem Kindergarten weint, obwohl keiner der Erzieher von Problemen dort berichtet und offenbar auch zu Hause alles gut ist?

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Mein Sohn (4) geht seit einem Jahr in den Kindergarten. Er hat viele Freunde, es geht ihm gut, was mir auch bestätigt wird. Trotzdem weint er jeden Morgen. Anfangs dachte ich, das wäre eine Phase, nun weint er seit Monaten täglich - oft plötzlich oder wegen Kleinigkeiten. In unserer Familie gibt es keine Probleme. Will mein Sohn einfach daheim sein oder liegt ein Problem vor? Andreas Z., Fürstenfeldbruck

Kirsten Boie

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Manche Kinder brauchen lange, bis sie die morgendliche Trennung von den Eltern vergnügt überstehen. Ein Jahr erscheint mir allerdings ungewöhnlich. Ihr Sohn weint ja nicht mehr nur bei der Trennung - haben die Erzieher Ihnen etwas über die Anlässe erzählt? Geht es um Konflikte mit anderen Kindern? Fühlt er sich überfordert? Ist er integriert? Gibt es vielleicht auch zu Hause ähnliche Situationen? Weint er auch, wenn er Freunde besucht? Dass Ihr Sohn nur Ihre nachvollziehbare Unsicherheit bei der Trennung spürt und dadurch selbst verunsichert ist, kann kaum der Grund sein, dass er noch im Kindergarten weint. Was genau sind also die Auslöser? Vielleicht kommen Sie dem Problem mit einer Auflistung der Anlässe auf die Schliche? Außerdem (das schreibe ich nicht gerne) haben Sie nur die Aussagen der Erzieher dafür, dass es ihm gut geht. Vielleicht wäre ein anderer Kindergarten besser? Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugend- büchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Jesper Juul

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(Foto: Anne Kring)

In Familien ist es immer ein wenig anmaßend zu behaupten, es gäbe keine Probleme. Damit will ich Ihnen nicht unterstellen, dass es welche gibt, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Ihr Sohn auf etwas in der Familie oder dem Kindergarten reagiert. Sie haben bestimmt von Erwachsenen gehört, die sich ständig mit ihrem Partner wegen Kleinigkeiten in den Haaren liegen. Dahinter steckt immer etwas Größeres, auch wenn es nicht angesprochen wird. Ich denke, dass dies auch bei Ihrem Sohn der Fall ist. Er trägt jede Menge Tränen in sich, die nun überlaufen. Fragen Sie sich: Was macht ihn so traurig? - anstatt sich selbst zu sagen, dass es nichts gibt, das ihn traurig machen könnte. Sie können ihn auch direkt fragen: "Du weinst oft und ich weiß nicht, was dich so traurig macht. Hilfst du mir?" Geben Sie ihm Zeit und auch, wenn er Ihnen eine genaue Antwort gibt, pochen Sie nicht darauf, sofort Dinge zu "richten". Wenn Sie das tun, könnte er denken, dass seine Gefühle Panik bei Ihnen auslösen, und beschließt, sie künftig geheim zu halten. Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internatio- naler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

Katia Saalfrank

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(Foto: picture alliance / dpa)

Ich beschränke mich in meiner Antwort darauf, was dazu führen kann, dass ein Kind auf einmal nicht mehr gerne in den Kindergarten geht. Ich erhalte oft solche Anfragen und wenn wir dann genauer hinschauen, gibt es immer bestimmte Aspekte, die dazu führen, dass das Verhalten von Kindern nachvollziehbar wird: Tagesablauf der Familie, seine Entwicklung (braucht er gerade mehr Nähe?) und/oder Ereignisse in der Familie (Veränderungen im Alltag wie Jobwechsel, Geschwister, etc.). Eine weitere Frage: Sind Sie oder Ihre Frau mit einem Geschwisterkind daheim? Das könnte dazu führen, dass Ihr Sohn vielleicht das Gefühl hat, zu Hause etwas zu "verpassen". Natürlich kann es auch sein, dass er einfach gerne zu Hause ist, ein Kompliment für Sie! Kinder sind in der Regel sehr gerne in der Nähe ihrer Eltern, Ihr Sohn scheint das deutlich zu machen. Haben Sie ihn gefragt, was ihn so betrübt und was er sich wünscht? Wenn er grundsätzlich gerne in die Kita geht, fragen Sie ihn, ob Sie etwas tun können, damit er wieder fröhlicher geht. Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musik- therapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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