Familie:Geliebter Freund aus Stoff

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Durchgeliebt: Kuschelbär. (Foto: N/A)

Manche Kuscheltiere sind nicht einfach Kuscheltiere - sie sind Freunde fürs Leben, oder zumindest für die ersten Jahre. Wehe, wenn sie plötzlich verschwinden.

Von Christian Mayer

Kürzlich war US-Präsident Barack Obama mit seiner Frau Michelle zu Besuch im Kensington Palast in London, genauer gesagt in Apartment 1A, der Wohnung von Prinz William, seiner Frau Kate und ihren Kindern George und Charlotte. Wie man auf den offiziellen Pressefotos sieht, war es ein entspanntes Zusammentreffen: Die Royals sitzen neben den Gästen aus Washington beim Plausch auf dem Designersofa, und dann kommt auch noch der kleine Prinz George im Pyjama und Frotteemäntelchen hinzu, es ist ja schon halb neun, Schlafenszeit. Nur einer wirkte leicht deplatziert: Der schwarze Stoffhund, den die Obamas dem Prinzen zur Geburt seiner Schwester geschenkt hatten. Er lag wie ein Beweisstück auf einem gepolsterten Tisch, als Beleg dafür, dass Präsente aus dem Weißen Haus im britischen Königshaus in höchsten Ehren gehalten werden.

Wer sich nur ein wenig mit Kindern auskennt, wird da sofort stutzig. Hätte der kleine George den Plüschhund wirklich lieb, dann hätte er ihn selbstverständlich niemals mehr freiwillig aus der Hand gegeben. "First Dog Bo" ist also ein Pflichtgeschenk, das erst in irgendeinem Schrank für besondere Anlässe aufbewahrt wird und dann in der Mottenkiste landet. Aus den Augen, aus dem Sinn. Was nicht weiter schlimm ist, denn die Nummer drei der britischen Thronfolge hat viele andere anschmiegsame Freunde, die ihm immer dann beistehen, wenn seine Eltern mal wieder auf wichtigen Terminen sind.

Erwachsene und Kuscheltiere
:Stoff für Träume

Die wenigsten Erwachsenen geben es öffentlich zu, aber erstaunlich viele teilen das Bett mit einem Gefährten aus Plüsch. Das kann der klassische Steiff-Teddy sein oder die Börsenratte "Black Friday". Der Fotograf Mark Nixon hat die seltsame Liebe der Erwachsenen zu ihren Kuscheltieren dokumentiert.

Von Titus Arnu

Welches Kuscheltier zum dauerhaften Spielgefährten wird, lässt sich nie vorhersagen. Es ist ein wenig wie bei der Partnerwahl im Erwachsenenleben: Sie ist relativ unberechenbar. Wo die Liebe hinfällt, entscheidet oft ein Augenblick, ein Moment des Innehaltens, manchmal auch eine zarte Berührung, wobei nicht selten der Weichheitsfaktor eine große Rolle spielt. Früher waren Teddybären tatsächlich eher steife Gesellen mit einem robusten Körper unter dem struppigen Fell; heute dagegen sind sie oft flauschig und in alle Himmelsrichtungen beliebig formbar wie die berühmten Barbapapa-Figuren aus den Siebzigerjahren.

Viele Kinderzimmer, und das quer durch alle Gesellschaftsschichten, sehen heute aus wie Spielzeughandlungen. Sie sind von oben bis unten so vollgestopft wie die alten Setzkästen in früheren Jahrzehnten, in denen man Kuriositäten und kleine Schätze deponierte. Oft setzt der Geschenke-Irrsinn sogar schon vor der Geburt ein, sodass selbst Neugeborene bereits über ein Sammelsurium an lustigen Handpuppen, entzückenden Lernkäfern, rasselnden Pferden oder badewannentauglichen Enten verfügen - lauter Zeug, mit dem sie lange Zeit nicht das Geringste anfangen können.

Irgendwann wird ein Hase zum besten Freund

Im Lauf der ersten Monate kommt dann noch ein ganzer Kuscheltierpark dazu. Bären, Hunde, Katzen, Hasen, Esel, Schafe, Schweine, Löwen, Affen, Giraffen und neuerdings auch Eulen, und zwar in allen Variationen. Über den Siegeszug der knopfäugigen, vorzugsweise auch luftdurchlässigen und maschinenwaschbaren Eule (am besten mit integrierter Rassel) ist eigentlich noch viel zu wenig gesagt und geschrieben worden. Zufall oder nicht: Der Eulenboom begann genau in der Zeit, als die Geschichten von Harry Potter erstmals um die Welt gingen. Harry und seine geliebte Schnee-Eule Hedwig ist auch so eine besondere Beziehung, eine Herz-Schmerz-Geschichte, die man, wie vieles im Leben, erst einmal verkraften muss.

Irgendwann zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr suchen sich die Kinder dann aus der Fülle des Angebots ihren festen Freund aus, und zwar ohne aktive Mithilfe von Eltern und Großeltern. Das ist das Alter, in dem sie ihr Lieblingskuscheltier überall mit herumschleppen, sogar in den Kindergarten, weil sie den Grundsatz, dass Eigentum nicht nur verpflichtet, sondern auch verteidigt werden muss, schon früh verinnerlicht haben. Viele Erzieher haben sich längst darauf eingestellt, weshalb es vielerorts feste "Kuscheltier-Tage" gibt, an denen die Vorschulkinder nur jeweils einen ihrer Lieblinge mitbringen dürfen - für ein paar erlesene Stunden. Auf diese Weise sollen sie lernen, auch mal loszulassen.

In dieser besonders anschmiegsamen Phase tragen die Kuscheltiere meist auch sehr seltsame, nicht selten dadaistische Namen. Kuscheln regt ja die Fantasie an. Wehe den Eltern, deren Kinder auf einmal feststellen, dass ihr eigener kleiner Liebling verschwunden ist, und sei es nur, dass er auf dem Abenteuerspielplatz vergessen wurde. Oder bei Freunden, die dummerweise aus der Großstadt ins entfernte Umland gezogen sind. Ist ein Leben ohne Wauwi, ohne Hasi oder ohne Euli überhaupt noch möglich? Selbstverständlich nicht, selbst Grundschulkinder entwickeln oft eine akute Verlustangst, eine tränenreiche Mischung aus Wut und Trauer, die verantwortungsvolle Väter sofort ins Auto steigen lässt, um spätabends noch mal den weiten Weg in jenen entlegenen Vorort am Rande des Münchner Speckgürtels zurückzulegen, damit der Stoffgefährte schnellstmöglich zu seiner weinenden Besitzerin zurückgebracht werden kann.

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(Foto: Philipp Häfner)

Zerliebt und geflickt: Wenn Kuscheltiere von ihren kleinen Besitzer ins Herz geschlossen wurde, fällt es ihnen schwer, sie loszulassen.

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(Foto: Philipp Häfner)

Das Internetportal kuscheltier-vermisst.de hat sich auf dramatische Fälle spezialisiert. Hier kann man hoffen, spurlos verschwundene Freunde doch noch wiederzubekommen. Zum Beispiel das einäugige Eselchen, gleich zwei Kuscheleinhörner namens Honigschnute und Fienchen, das Löwenmädchen Dodo und den Leoparden aus Berlin-Marzahn, um nur ein paar jüngere Vermisstenanzeigen aus den vergangenen Wochen aufzugreifen. Auf der Seite kann man herzergreifende Geschichten lesen: von stundenlangen Suchaktionen in entlegenen Parks und stadtteilweiten Aufrufen, aus denen die nackte Verzweiflung der Eltern spricht.

Der kleine Prinz George, dessen sonniges Gemüt ganz Britannien erfreut, kann sich dagegen vor lauter Kuscheltieren kaum mehr retten. Bereits bei seinen Antrittsreisen nach Australien und Neuseeland erhielt der Sohn von William und Kate einen ganzen Plüschtierzoo geschenkt, darunter diverse Kängurus und Wombats in Originalgröße. Die Miniaturversion eines gräulichen Kaninchennasenbeutlers, die ihm ebenfalls feierlich angetragen wurde, ließ George aber sofort wieder fallen. Lässiger hätte er sein Desinteresse nicht zum Ausdruck bringen können.

Ein Kuscheltier wird eben nur dann ein Kuscheltier, wenn die Gefühle groß genug sind.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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